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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

Frankreich bis zum letzten Atemzuge kämpfen. Auch gegen den Einzug der
Deutschen in Paris sträubte sich Thiers hartnäckig. Plötzlich stellte ihm Bismarck
die Alternative: entweder Belfort oder Einzug in Paris; da entschied sich Thiers
natürlich sofort für die Rettung der Festung und nahm den Einzug der Deutschen
in Paris mit in den Kauf.

Nach Favres Darstellung soll Bismarck, durch die Furcht vor dem Kampfe
"bis zum letzten Atemzuge" oder vor der Gefahr eines nahen Nachekrieges er¬
schüttert, seine Forderung ermäßigt und zweimal den Kaiser und Moltke auf¬
gesucht haben; das Ergebnis ihrer Besprechung sei dann der Verzicht auf Belfort
gewesen. Die deutschen Berichte lassen den Hergang in anderm Lichte erscheinen,
und von "Furcht" Bismarcks kann selbstverständlich keine Rede sein. Bezeichnend
ist seine von Thiers selbst erwähnte Klage, man werfe ihm in Deutschland vor,
daß er die von Moltke gewonnenen Schlachten durch seine Nachgiebigkeit verliere.
Etwa um zweidreiviertel^Uhr waren sich die Unterhändler darüber einig, daß Elsaß
ohne Belfort, aber Deutsch-Lothringen mit Metz an Deutschland fallen und daß
fünf Milliarden gezahlt werden sollten. Bismarck sandte dann gegen drei Uhr
Abeken zum Kaiser und ließ ihm melden, wenn er diese Bedingungen genehmige,
so könne am folgenden Tage unterzeichnet werden. Abeken traf den Herrscher
nicht an und begab sich deshalb nach vier Uhr wiederum zu ihm; der Kaiser war
mit allem einverstanden, wenn Moltke wegen Belforts keine zu großen Be¬
denken trüge, und rief Abeken noch aus dem Fenster nach, er solle sich er¬
kundigen, ob auch die Schlachtfelder vom 16. und 18. August einbegriffen wären-
Unterdessen hatte Bismarck bei Moltke angefragt und war von diesem per¬
sönlich seiner Zustimmung zum Verzicht auf Belfort versichert worden. Nach¬
dem somit eine völlige Einigung erreicht war, trat die Dinerpause ein, und
darauf folgte nur noch eine kürzere Unterredung über die Abtretung der Sol¬
datengräber und die Abgrenzung des Rayons um Belfort. Etwa um zwei¬
einhalb Uhr erreichten die Verhandlungen für diesen Tag ihr Ende, und Abeken
berichtete dem Kaiser sofort über das Ergebnis. Nicht dcchiu also kann es zu¬
sammengefaßt werden (wie es an jenem Tage geschah), daß Bismarck Belfort
aufgegeben und nur dadurch es verstanden habe, Metz zu gewinnen, sondern
weil man deutscherseits schon am 23. Februar an Metz festhielt, so suchte Thiers
wenigstens Belfort zu retten, und es gelang ihm.

Viel anstrengender als am 24. Februar sollten namentlich für Bismarck,
der zudem (ganz so wie sein kaiserlicher Herr seit dem 5. Februar) an heftigem
Rheumatismus litt, die Verhandlungen am folgenden Tage werden, über die
wir verschiedne sehr eingehende Berichte besitzen, sodaß wir mancherlei Un-
genauigkeiten in den Erinnerungen von Thiers nachweisen können. Um zwölf
Uhr erschienen der bayrische und der badische Minister, Bray und Jolly*), später



Zwischen Thiers und Jolly kam es zu einer ähnlichen Szene wie zwischen Ranke
und Thiers in Wien. Dieser fragte den Berliner Historiker bekanntlich: "Mit wem führt ihr
Bismarck und Thiers als Unterhändler

Frankreich bis zum letzten Atemzuge kämpfen. Auch gegen den Einzug der
Deutschen in Paris sträubte sich Thiers hartnäckig. Plötzlich stellte ihm Bismarck
die Alternative: entweder Belfort oder Einzug in Paris; da entschied sich Thiers
natürlich sofort für die Rettung der Festung und nahm den Einzug der Deutschen
in Paris mit in den Kauf.

Nach Favres Darstellung soll Bismarck, durch die Furcht vor dem Kampfe
„bis zum letzten Atemzuge" oder vor der Gefahr eines nahen Nachekrieges er¬
schüttert, seine Forderung ermäßigt und zweimal den Kaiser und Moltke auf¬
gesucht haben; das Ergebnis ihrer Besprechung sei dann der Verzicht auf Belfort
gewesen. Die deutschen Berichte lassen den Hergang in anderm Lichte erscheinen,
und von „Furcht" Bismarcks kann selbstverständlich keine Rede sein. Bezeichnend
ist seine von Thiers selbst erwähnte Klage, man werfe ihm in Deutschland vor,
daß er die von Moltke gewonnenen Schlachten durch seine Nachgiebigkeit verliere.
Etwa um zweidreiviertel^Uhr waren sich die Unterhändler darüber einig, daß Elsaß
ohne Belfort, aber Deutsch-Lothringen mit Metz an Deutschland fallen und daß
fünf Milliarden gezahlt werden sollten. Bismarck sandte dann gegen drei Uhr
Abeken zum Kaiser und ließ ihm melden, wenn er diese Bedingungen genehmige,
so könne am folgenden Tage unterzeichnet werden. Abeken traf den Herrscher
nicht an und begab sich deshalb nach vier Uhr wiederum zu ihm; der Kaiser war
mit allem einverstanden, wenn Moltke wegen Belforts keine zu großen Be¬
denken trüge, und rief Abeken noch aus dem Fenster nach, er solle sich er¬
kundigen, ob auch die Schlachtfelder vom 16. und 18. August einbegriffen wären-
Unterdessen hatte Bismarck bei Moltke angefragt und war von diesem per¬
sönlich seiner Zustimmung zum Verzicht auf Belfort versichert worden. Nach¬
dem somit eine völlige Einigung erreicht war, trat die Dinerpause ein, und
darauf folgte nur noch eine kürzere Unterredung über die Abtretung der Sol¬
datengräber und die Abgrenzung des Rayons um Belfort. Etwa um zwei¬
einhalb Uhr erreichten die Verhandlungen für diesen Tag ihr Ende, und Abeken
berichtete dem Kaiser sofort über das Ergebnis. Nicht dcchiu also kann es zu¬
sammengefaßt werden (wie es an jenem Tage geschah), daß Bismarck Belfort
aufgegeben und nur dadurch es verstanden habe, Metz zu gewinnen, sondern
weil man deutscherseits schon am 23. Februar an Metz festhielt, so suchte Thiers
wenigstens Belfort zu retten, und es gelang ihm.

Viel anstrengender als am 24. Februar sollten namentlich für Bismarck,
der zudem (ganz so wie sein kaiserlicher Herr seit dem 5. Februar) an heftigem
Rheumatismus litt, die Verhandlungen am folgenden Tage werden, über die
wir verschiedne sehr eingehende Berichte besitzen, sodaß wir mancherlei Un-
genauigkeiten in den Erinnerungen von Thiers nachweisen können. Um zwölf
Uhr erschienen der bayrische und der badische Minister, Bray und Jolly*), später



Zwischen Thiers und Jolly kam es zu einer ähnlichen Szene wie zwischen Ranke
und Thiers in Wien. Dieser fragte den Berliner Historiker bekanntlich: „Mit wem führt ihr
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[0430] Bismarck und Thiers als Unterhändler Frankreich bis zum letzten Atemzuge kämpfen. Auch gegen den Einzug der Deutschen in Paris sträubte sich Thiers hartnäckig. Plötzlich stellte ihm Bismarck die Alternative: entweder Belfort oder Einzug in Paris; da entschied sich Thiers natürlich sofort für die Rettung der Festung und nahm den Einzug der Deutschen in Paris mit in den Kauf. Nach Favres Darstellung soll Bismarck, durch die Furcht vor dem Kampfe „bis zum letzten Atemzuge" oder vor der Gefahr eines nahen Nachekrieges er¬ schüttert, seine Forderung ermäßigt und zweimal den Kaiser und Moltke auf¬ gesucht haben; das Ergebnis ihrer Besprechung sei dann der Verzicht auf Belfort gewesen. Die deutschen Berichte lassen den Hergang in anderm Lichte erscheinen, und von „Furcht" Bismarcks kann selbstverständlich keine Rede sein. Bezeichnend ist seine von Thiers selbst erwähnte Klage, man werfe ihm in Deutschland vor, daß er die von Moltke gewonnenen Schlachten durch seine Nachgiebigkeit verliere. Etwa um zweidreiviertel^Uhr waren sich die Unterhändler darüber einig, daß Elsaß ohne Belfort, aber Deutsch-Lothringen mit Metz an Deutschland fallen und daß fünf Milliarden gezahlt werden sollten. Bismarck sandte dann gegen drei Uhr Abeken zum Kaiser und ließ ihm melden, wenn er diese Bedingungen genehmige, so könne am folgenden Tage unterzeichnet werden. Abeken traf den Herrscher nicht an und begab sich deshalb nach vier Uhr wiederum zu ihm; der Kaiser war mit allem einverstanden, wenn Moltke wegen Belforts keine zu großen Be¬ denken trüge, und rief Abeken noch aus dem Fenster nach, er solle sich er¬ kundigen, ob auch die Schlachtfelder vom 16. und 18. August einbegriffen wären- Unterdessen hatte Bismarck bei Moltke angefragt und war von diesem per¬ sönlich seiner Zustimmung zum Verzicht auf Belfort versichert worden. Nach¬ dem somit eine völlige Einigung erreicht war, trat die Dinerpause ein, und darauf folgte nur noch eine kürzere Unterredung über die Abtretung der Sol¬ datengräber und die Abgrenzung des Rayons um Belfort. Etwa um zwei¬ einhalb Uhr erreichten die Verhandlungen für diesen Tag ihr Ende, und Abeken berichtete dem Kaiser sofort über das Ergebnis. Nicht dcchiu also kann es zu¬ sammengefaßt werden (wie es an jenem Tage geschah), daß Bismarck Belfort aufgegeben und nur dadurch es verstanden habe, Metz zu gewinnen, sondern weil man deutscherseits schon am 23. Februar an Metz festhielt, so suchte Thiers wenigstens Belfort zu retten, und es gelang ihm. Viel anstrengender als am 24. Februar sollten namentlich für Bismarck, der zudem (ganz so wie sein kaiserlicher Herr seit dem 5. Februar) an heftigem Rheumatismus litt, die Verhandlungen am folgenden Tage werden, über die wir verschiedne sehr eingehende Berichte besitzen, sodaß wir mancherlei Un- genauigkeiten in den Erinnerungen von Thiers nachweisen können. Um zwölf Uhr erschienen der bayrische und der badische Minister, Bray und Jolly*), später Zwischen Thiers und Jolly kam es zu einer ähnlichen Szene wie zwischen Ranke und Thiers in Wien. Dieser fragte den Berliner Historiker bekanntlich: „Mit wem führt ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/430>, abgerufen am 22.07.2024.