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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Der Internationale Telegraphenverein

Überschuß oder gar mit Defizit arbeiten, sind stets in ihrer Tätigkeit beschränkt
und in Tariffragen sehr ängstlich. So konnte es vorkommen, daß fünf Wochen
dauernde Telegraphenkonferenzen keinerlei Beschlüsse zu fassen vermochten, die
für die Allgemeinheit von Bedeutung gewesen wären. Darum erfreut sich das
aller fünf Jahre zusammentretende Welttelegraphenparlament auch nicht der
Aufmerksamkeit der Bevölkerung in dem Grade wie der Weltpostverein und
seine Kongresse, deren Beschlüsse fast immer die Interessen weiter Volkskreise
berühren. Die diesjährige Internationale Telegraphenkonferenz in Lissabon hat
im deutschen Blätterwalde kaum eine Bewegung hervorgerufen.

Man würde aber der Bedeutung des Internationalen Telegraphenvereins
nicht gerecht werden, wenn man seiner Wirksamkeit eine geringere Wichtigkeit
beimessen wollte. Die Telegraphie ist ihrem ganzen Wesen nach international
und auf internationale Abmachungen angewiesen; denn sie ist dazu bestimmt,
in weite Fernen zu wirken, Raum und Zeit im Verkehr der Völker zu über¬
brücken. Die in verschiednen Ländern, wie in Frankreich, England, Preußen,
bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ausgebildete optische Telegraphie
konnte solcher Mittel zur Not noch entbehren, weil sie lediglich militärische und
staatspolitische Aufgaben zu erfüllen hatte. Die preußische Linie ging von
Berlin über Magdeburg, Köln, Koblenz nach Trier, die französische Linie von
Paris nach Metz. Die preußischen Gesandten in London, im Haag, in Brüssel und
Paris sandten ihre Staatsdepeschen schon im Interesse der Geheimhaltung mit
Kurieren direkt nach einer preußischen Station zur Abtelegraphierung nach
Berlin; eine Benutzung der französischen und preußischen Linien konnte nur
für unverfängliche politische oder sonstige Nachrichten in Betracht kommen. Für
die elektrischen Telegraphen aber, denen bald nach ihrer Einführung die er¬
weiterte Aufgabe des öffentlichen Dienstes zufiel, ergab sich die Notwendigkeit
geregelter Beziehungen von Land zu Land von selbst, und so bildet denn auch
die fernere Entwicklungsgeschichte des Telegraphenwesens eine fortlaufende Kette
von internationalen Verträgen zwischen den verschiednen Staatsregierungen.

Es war schon für Preußen ein tüchtiges Stück diplomatischer Arbeit, in
den zerstückelten deutschen Landen mit seinen ersten Telegraphenlinien zurecht¬
zukommen. Daß diese bei den damaligen geographischen Verhältnissen durch
das Gebiet andrer deutscher Staaten geführt wurden, war gar nicht zu ver¬
meiden; um sich nur das Recht zur Anlegung der ersten Linien zu sichern, mußte
die preußische Regierung mit fünfzehn Staaten und fünfundzwanzig Eisenbahn¬
gesellschaften Verträge schließen, die mit allerlei lustigen Bedingungen gespickt
waren. In Beziehung zu den größern Staaten Sachsen, Bayern, Württemberg,
Österreich, die selber Telegraphen bauten, kam es in der Hauptsache zunächst darauf
an, gemeinschaftliche Anschlußpunkte an den Grenzen festzusetzen. Zwar ergab
es sich bei dem internationalen Charakter der Telegraphie in stillschweigender
Übereinstimmung meist von selbst, daß den von den Hauptstädten ausgehenden
Linien eine Richtung gegeben wurde, die zu einer unmittelbaren Verbindung


Der Internationale Telegraphenverein

Überschuß oder gar mit Defizit arbeiten, sind stets in ihrer Tätigkeit beschränkt
und in Tariffragen sehr ängstlich. So konnte es vorkommen, daß fünf Wochen
dauernde Telegraphenkonferenzen keinerlei Beschlüsse zu fassen vermochten, die
für die Allgemeinheit von Bedeutung gewesen wären. Darum erfreut sich das
aller fünf Jahre zusammentretende Welttelegraphenparlament auch nicht der
Aufmerksamkeit der Bevölkerung in dem Grade wie der Weltpostverein und
seine Kongresse, deren Beschlüsse fast immer die Interessen weiter Volkskreise
berühren. Die diesjährige Internationale Telegraphenkonferenz in Lissabon hat
im deutschen Blätterwalde kaum eine Bewegung hervorgerufen.

Man würde aber der Bedeutung des Internationalen Telegraphenvereins
nicht gerecht werden, wenn man seiner Wirksamkeit eine geringere Wichtigkeit
beimessen wollte. Die Telegraphie ist ihrem ganzen Wesen nach international
und auf internationale Abmachungen angewiesen; denn sie ist dazu bestimmt,
in weite Fernen zu wirken, Raum und Zeit im Verkehr der Völker zu über¬
brücken. Die in verschiednen Ländern, wie in Frankreich, England, Preußen,
bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ausgebildete optische Telegraphie
konnte solcher Mittel zur Not noch entbehren, weil sie lediglich militärische und
staatspolitische Aufgaben zu erfüllen hatte. Die preußische Linie ging von
Berlin über Magdeburg, Köln, Koblenz nach Trier, die französische Linie von
Paris nach Metz. Die preußischen Gesandten in London, im Haag, in Brüssel und
Paris sandten ihre Staatsdepeschen schon im Interesse der Geheimhaltung mit
Kurieren direkt nach einer preußischen Station zur Abtelegraphierung nach
Berlin; eine Benutzung der französischen und preußischen Linien konnte nur
für unverfängliche politische oder sonstige Nachrichten in Betracht kommen. Für
die elektrischen Telegraphen aber, denen bald nach ihrer Einführung die er¬
weiterte Aufgabe des öffentlichen Dienstes zufiel, ergab sich die Notwendigkeit
geregelter Beziehungen von Land zu Land von selbst, und so bildet denn auch
die fernere Entwicklungsgeschichte des Telegraphenwesens eine fortlaufende Kette
von internationalen Verträgen zwischen den verschiednen Staatsregierungen.

Es war schon für Preußen ein tüchtiges Stück diplomatischer Arbeit, in
den zerstückelten deutschen Landen mit seinen ersten Telegraphenlinien zurecht¬
zukommen. Daß diese bei den damaligen geographischen Verhältnissen durch
das Gebiet andrer deutscher Staaten geführt wurden, war gar nicht zu ver¬
meiden; um sich nur das Recht zur Anlegung der ersten Linien zu sichern, mußte
die preußische Regierung mit fünfzehn Staaten und fünfundzwanzig Eisenbahn¬
gesellschaften Verträge schließen, die mit allerlei lustigen Bedingungen gespickt
waren. In Beziehung zu den größern Staaten Sachsen, Bayern, Württemberg,
Österreich, die selber Telegraphen bauten, kam es in der Hauptsache zunächst darauf
an, gemeinschaftliche Anschlußpunkte an den Grenzen festzusetzen. Zwar ergab
es sich bei dem internationalen Charakter der Telegraphie in stillschweigender
Übereinstimmung meist von selbst, daß den von den Hauptstädten ausgehenden
Linien eine Richtung gegeben wurde, die zu einer unmittelbaren Verbindung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/418>, abgerufen am 22.07.2024.