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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Gin Wort Schtvinds über das "Malen-Rönnen"

daß von dem, was eine altere Schule für richtig hielt, immer just das Gegen¬
teil für richtig erklärt wird.

Sucht man in der Kunstgeschichte der Neuzeit nach dem Beispiel einer
einzelnen Streitfrage, die bedeutsame Parteibildungen hervorgerufen, Kunst¬
schulen zueinander in Gegensatz gebracht, Publikum und Kunstschriftsteller an¬
dauernd in dem Maße beschäftigt hat. daß der Gegensatz jedem gebildeten
Kunstfreunde geläufig geworden ist, so stößt man vor allem auf den Kampf
der Meinungen, der sich darüber entsponnen hat, welcher Grad von Wichtig¬
keit in der Kunst im Gegensatz zum Erfinden, Zeichnen und Komponieren
dein Malen, besonders der Technik des Ölmalens, dieser verhältnismäßig noch
jungen, aber so hoher Entwicklung fähigen, wenn schon bei aller Vollkommen-
heit nicht ans allen Gebieten der Malerei anwendbaren Kunstübung, einzu-
räumen sei.

Man kann passend von einer brieflichen Äußerung des alten Schadow
in einem Schreiben an Karl August Böttiger vom 13. Dezember 1817 aus¬
gehen, die seinen ältesten Sohn. Rudolf Schadow. betrifft und lautet: "Er
hat überdem bei dem historischen Wettkampf mit Cornelius und Overbeck
Verdruß gehabt, und diese beiden Herren, die recht geschickt, aber keine
Koloristen sind, haben sich wollen eine Superioritüt anmaßen." Man glaubt
aus dieser Äußerung schon die Worte herauszuhören, die man später und
bis in die jüngste Vergangenheit nicht müde wurde zu wiederholen: "Kunst
kommt her von Können!"; "Der Maler muß malen können!" Daß das
Können, dem das Wort Kunst seinen Ursprung verdankt, nicht notwendiger¬
weise nur ein technisches Können und insbesondre nicht bloß Virtuosität im
Gebrauche von Pinsel und Palette bedeuten müsse, sondern mit dem gleichen
Rechte als Benennung für ein jedes meisterliches schöpferisches oder repro¬
duktives Vermögen, jede bildnerische Kraft, auch eine nicht mit Farben, ins¬
besondre Ölfarben, arbeitende, in Anspruch genommen werden könne, bedachte
man nicht. schlagend glaubte man dem Maler, dem es noch beikam, außer¬
halb des Gebiets der Ölmalerei Lorbeeren pflücken zu wollen, dem Maler,
der in großartigen Kartonzeichnungen und Wandgemälden einer edeln ernsten
Kunst vermeinte würdig dienen zu können, seinen Irrtum vorzuhalten, wenn
man ihn an den deutschen Namen der Kunst, die er auszuüben beflissen war,
erinnerte, und man ahnte nicht, daß gerade die deutsche Sprache mit ihrem
Worte malen, wie auch die griechische mit ihrem graphein, sprachgeschichtlich
dem Recht gibt, den man durch einen Wortklang glaubte zurechtweisen zu
können. Keine der beiden Sprachen, weder die griechische noch die deutsche,
hat ein eignes Wort für farbiges Darstellen auf der Fläche hervorgebracht,
keine durch ihre Wortbildungen anerkannt, daß der Farbe in der bildenden
Kunst eine überragende Bedeutung zukomme. Wenn ein alter griechischer
Zographos -- so nannte der Grieche seine Maler -- jetzt in das Dresdner
Museum käme und hier einen Teil der Räume den "graphischen" Künsten, einen


Grenzboten IV 1908 5
Gin Wort Schtvinds über das „Malen-Rönnen"

daß von dem, was eine altere Schule für richtig hielt, immer just das Gegen¬
teil für richtig erklärt wird.

Sucht man in der Kunstgeschichte der Neuzeit nach dem Beispiel einer
einzelnen Streitfrage, die bedeutsame Parteibildungen hervorgerufen, Kunst¬
schulen zueinander in Gegensatz gebracht, Publikum und Kunstschriftsteller an¬
dauernd in dem Maße beschäftigt hat. daß der Gegensatz jedem gebildeten
Kunstfreunde geläufig geworden ist, so stößt man vor allem auf den Kampf
der Meinungen, der sich darüber entsponnen hat, welcher Grad von Wichtig¬
keit in der Kunst im Gegensatz zum Erfinden, Zeichnen und Komponieren
dein Malen, besonders der Technik des Ölmalens, dieser verhältnismäßig noch
jungen, aber so hoher Entwicklung fähigen, wenn schon bei aller Vollkommen-
heit nicht ans allen Gebieten der Malerei anwendbaren Kunstübung, einzu-
räumen sei.

Man kann passend von einer brieflichen Äußerung des alten Schadow
in einem Schreiben an Karl August Böttiger vom 13. Dezember 1817 aus¬
gehen, die seinen ältesten Sohn. Rudolf Schadow. betrifft und lautet: „Er
hat überdem bei dem historischen Wettkampf mit Cornelius und Overbeck
Verdruß gehabt, und diese beiden Herren, die recht geschickt, aber keine
Koloristen sind, haben sich wollen eine Superioritüt anmaßen." Man glaubt
aus dieser Äußerung schon die Worte herauszuhören, die man später und
bis in die jüngste Vergangenheit nicht müde wurde zu wiederholen: „Kunst
kommt her von Können!"; „Der Maler muß malen können!" Daß das
Können, dem das Wort Kunst seinen Ursprung verdankt, nicht notwendiger¬
weise nur ein technisches Können und insbesondre nicht bloß Virtuosität im
Gebrauche von Pinsel und Palette bedeuten müsse, sondern mit dem gleichen
Rechte als Benennung für ein jedes meisterliches schöpferisches oder repro¬
duktives Vermögen, jede bildnerische Kraft, auch eine nicht mit Farben, ins¬
besondre Ölfarben, arbeitende, in Anspruch genommen werden könne, bedachte
man nicht. schlagend glaubte man dem Maler, dem es noch beikam, außer¬
halb des Gebiets der Ölmalerei Lorbeeren pflücken zu wollen, dem Maler,
der in großartigen Kartonzeichnungen und Wandgemälden einer edeln ernsten
Kunst vermeinte würdig dienen zu können, seinen Irrtum vorzuhalten, wenn
man ihn an den deutschen Namen der Kunst, die er auszuüben beflissen war,
erinnerte, und man ahnte nicht, daß gerade die deutsche Sprache mit ihrem
Worte malen, wie auch die griechische mit ihrem graphein, sprachgeschichtlich
dem Recht gibt, den man durch einen Wortklang glaubte zurechtweisen zu
können. Keine der beiden Sprachen, weder die griechische noch die deutsche,
hat ein eignes Wort für farbiges Darstellen auf der Fläche hervorgebracht,
keine durch ihre Wortbildungen anerkannt, daß der Farbe in der bildenden
Kunst eine überragende Bedeutung zukomme. Wenn ein alter griechischer
Zographos — so nannte der Grieche seine Maler — jetzt in das Dresdner
Museum käme und hier einen Teil der Räume den „graphischen" Künsten, einen


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[0041] Gin Wort Schtvinds über das „Malen-Rönnen" daß von dem, was eine altere Schule für richtig hielt, immer just das Gegen¬ teil für richtig erklärt wird. Sucht man in der Kunstgeschichte der Neuzeit nach dem Beispiel einer einzelnen Streitfrage, die bedeutsame Parteibildungen hervorgerufen, Kunst¬ schulen zueinander in Gegensatz gebracht, Publikum und Kunstschriftsteller an¬ dauernd in dem Maße beschäftigt hat. daß der Gegensatz jedem gebildeten Kunstfreunde geläufig geworden ist, so stößt man vor allem auf den Kampf der Meinungen, der sich darüber entsponnen hat, welcher Grad von Wichtig¬ keit in der Kunst im Gegensatz zum Erfinden, Zeichnen und Komponieren dein Malen, besonders der Technik des Ölmalens, dieser verhältnismäßig noch jungen, aber so hoher Entwicklung fähigen, wenn schon bei aller Vollkommen- heit nicht ans allen Gebieten der Malerei anwendbaren Kunstübung, einzu- räumen sei. Man kann passend von einer brieflichen Äußerung des alten Schadow in einem Schreiben an Karl August Böttiger vom 13. Dezember 1817 aus¬ gehen, die seinen ältesten Sohn. Rudolf Schadow. betrifft und lautet: „Er hat überdem bei dem historischen Wettkampf mit Cornelius und Overbeck Verdruß gehabt, und diese beiden Herren, die recht geschickt, aber keine Koloristen sind, haben sich wollen eine Superioritüt anmaßen." Man glaubt aus dieser Äußerung schon die Worte herauszuhören, die man später und bis in die jüngste Vergangenheit nicht müde wurde zu wiederholen: „Kunst kommt her von Können!"; „Der Maler muß malen können!" Daß das Können, dem das Wort Kunst seinen Ursprung verdankt, nicht notwendiger¬ weise nur ein technisches Können und insbesondre nicht bloß Virtuosität im Gebrauche von Pinsel und Palette bedeuten müsse, sondern mit dem gleichen Rechte als Benennung für ein jedes meisterliches schöpferisches oder repro¬ duktives Vermögen, jede bildnerische Kraft, auch eine nicht mit Farben, ins¬ besondre Ölfarben, arbeitende, in Anspruch genommen werden könne, bedachte man nicht. schlagend glaubte man dem Maler, dem es noch beikam, außer¬ halb des Gebiets der Ölmalerei Lorbeeren pflücken zu wollen, dem Maler, der in großartigen Kartonzeichnungen und Wandgemälden einer edeln ernsten Kunst vermeinte würdig dienen zu können, seinen Irrtum vorzuhalten, wenn man ihn an den deutschen Namen der Kunst, die er auszuüben beflissen war, erinnerte, und man ahnte nicht, daß gerade die deutsche Sprache mit ihrem Worte malen, wie auch die griechische mit ihrem graphein, sprachgeschichtlich dem Recht gibt, den man durch einen Wortklang glaubte zurechtweisen zu können. Keine der beiden Sprachen, weder die griechische noch die deutsche, hat ein eignes Wort für farbiges Darstellen auf der Fläche hervorgebracht, keine durch ihre Wortbildungen anerkannt, daß der Farbe in der bildenden Kunst eine überragende Bedeutung zukomme. Wenn ein alter griechischer Zographos — so nannte der Grieche seine Maler — jetzt in das Dresdner Museum käme und hier einen Teil der Räume den „graphischen" Künsten, einen Grenzboten IV 1908 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/41>, abgerufen am 21.06.2024.