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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Literarhistorische Rundschau

zu reden. Es ist demnach nicht die Sittlichkeit überhaupt, sondern nur eine
ihrer Seiten, die sich von einer vorwiegend ästhetischen Kultur Förderung ver¬
sprechen darf. Diese Kultur erzeugt ihre eignen Völkertypen: den hellenischen,
den italienischen, den spanischen, oder richtiger: wird von solchen Völkern,
denen sie im Blute liegt oder durchs Milieu eingeimpft ist, erzeugt, sodaß
ihre besondre Pflege gar nicht Vonnöten ist, die vielmehr wir Nordländer
brauchen. So hat denn die ästhetische Erziehung des Menschen ihren guten
Sinn, nur soll ihre Bedeutung nicht überschätzt, auch nicht unterschätzt werden.
Wenden wir nun die Grundsätze dieser Erziehung auf das Theater an, so ist
es klar, daß dieses im gedachten Sinne nur so weit wirken kann, als es Schönes
bietet, daß also auf der Bühne nichts Häßliches. Rohes, schmutziges vorkommen
darf, daß die Iphigenien und die Schillerschen Gestalten überwiegen müssen, daß
auch die Bösewichter keine ordinären Spitzbuben, Trunkenbolde. Defraudanten
und Lüstlinge sein dürfen, sondern Größe und Stil haben müssen. Hat sich
die Bühne diesem Ideal seit Schillers Zeit genähert? Nach allem zu urteilen,
was man so gelegentlich aus Zeitungen erfährt, scheint das Gegenteil der Fall
zu sein. Doch soll sich nach Schillers Ansicht die moralische Wirkung der Bühne
auf den Einfluß, den sie durch Darbietung des Schönen übt, nicht beschränken.




Literarhistorische Rundschau
Heinrich Spiero von

cum es unter deutschen Schriftstellern einen Mann gibt, auf deu
die Bezeichnung Idealist ohne Einschränkung angewandt werden
darf, so ist es Eugen Reichel. Ein Idealist ist doch ein Mann,
der einer Idee folgt, ohne an persönlichen Nutzen oder Nachteil
zu denken, und dem die Hingebung an sie zur Lebensaufgabe über
n -! alles andre hinaus wird: so tat und tut Eugen Reichel mit seinem
Lebensziel. Gottsched den ihm gebührenden Platz in der deutschen Geschichte
!Uo im Bewußtsein der deutschen Bildung zu erwerben. Daß dabei zuerst, im
Übereifer des in seiner Entdeckung vorschreitender manche zu hohen Worte
^elem, daß nicht immer mit der sachlichen Milde eines Richters objektive Ge¬
rechtigkeit gegen andre geübt werden konnte, ist selbstverständlich; man braucht
oaruber nicht erst zu reden. Nur war es freilich Reichels Schicksal, wie das
^."er solcher Männer, daß man sich vielfach an die Übertreibungen hielt, an
le M Anfang recht weit übers Ziel schießenden Worte über Lessing und
Mundes, und daß man glaubte, damit den Mann beiseite schieben zu können,
fahrend man doch höchstens ein paar Außenforts der von ihm aufgeführten
'5^ng wegnahm. Denn die Begeisterung für Gottsched war bei Reichel kein
aufflackerndes Strohfeuer, sondern eine zuerst wohl aus einem starken, allen
^pnußen eignen Heimatgefühl herausgewachsn?, dann aber in der Beschäftigung'e>er Jahre dauerhaft begründete Liebe, die auch denen allmählich ihre Wahrheit


Literarhistorische Rundschau

zu reden. Es ist demnach nicht die Sittlichkeit überhaupt, sondern nur eine
ihrer Seiten, die sich von einer vorwiegend ästhetischen Kultur Förderung ver¬
sprechen darf. Diese Kultur erzeugt ihre eignen Völkertypen: den hellenischen,
den italienischen, den spanischen, oder richtiger: wird von solchen Völkern,
denen sie im Blute liegt oder durchs Milieu eingeimpft ist, erzeugt, sodaß
ihre besondre Pflege gar nicht Vonnöten ist, die vielmehr wir Nordländer
brauchen. So hat denn die ästhetische Erziehung des Menschen ihren guten
Sinn, nur soll ihre Bedeutung nicht überschätzt, auch nicht unterschätzt werden.
Wenden wir nun die Grundsätze dieser Erziehung auf das Theater an, so ist
es klar, daß dieses im gedachten Sinne nur so weit wirken kann, als es Schönes
bietet, daß also auf der Bühne nichts Häßliches. Rohes, schmutziges vorkommen
darf, daß die Iphigenien und die Schillerschen Gestalten überwiegen müssen, daß
auch die Bösewichter keine ordinären Spitzbuben, Trunkenbolde. Defraudanten
und Lüstlinge sein dürfen, sondern Größe und Stil haben müssen. Hat sich
die Bühne diesem Ideal seit Schillers Zeit genähert? Nach allem zu urteilen,
was man so gelegentlich aus Zeitungen erfährt, scheint das Gegenteil der Fall
zu sein. Doch soll sich nach Schillers Ansicht die moralische Wirkung der Bühne
auf den Einfluß, den sie durch Darbietung des Schönen übt, nicht beschränken.




Literarhistorische Rundschau
Heinrich Spiero von

cum es unter deutschen Schriftstellern einen Mann gibt, auf deu
die Bezeichnung Idealist ohne Einschränkung angewandt werden
darf, so ist es Eugen Reichel. Ein Idealist ist doch ein Mann,
der einer Idee folgt, ohne an persönlichen Nutzen oder Nachteil
zu denken, und dem die Hingebung an sie zur Lebensaufgabe über
n -! alles andre hinaus wird: so tat und tut Eugen Reichel mit seinem
Lebensziel. Gottsched den ihm gebührenden Platz in der deutschen Geschichte
!Uo im Bewußtsein der deutschen Bildung zu erwerben. Daß dabei zuerst, im
Übereifer des in seiner Entdeckung vorschreitender manche zu hohen Worte
^elem, daß nicht immer mit der sachlichen Milde eines Richters objektive Ge¬
rechtigkeit gegen andre geübt werden konnte, ist selbstverständlich; man braucht
oaruber nicht erst zu reden. Nur war es freilich Reichels Schicksal, wie das
^."er solcher Männer, daß man sich vielfach an die Übertreibungen hielt, an
le M Anfang recht weit übers Ziel schießenden Worte über Lessing und
Mundes, und daß man glaubte, damit den Mann beiseite schieben zu können,
fahrend man doch höchstens ein paar Außenforts der von ihm aufgeführten
'5^ng wegnahm. Denn die Begeisterung für Gottsched war bei Reichel kein
aufflackerndes Strohfeuer, sondern eine zuerst wohl aus einem starken, allen
^pnußen eignen Heimatgefühl herausgewachsn?, dann aber in der Beschäftigung'e>er Jahre dauerhaft begründete Liebe, die auch denen allmählich ihre Wahrheit


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[0347] Literarhistorische Rundschau zu reden. Es ist demnach nicht die Sittlichkeit überhaupt, sondern nur eine ihrer Seiten, die sich von einer vorwiegend ästhetischen Kultur Förderung ver¬ sprechen darf. Diese Kultur erzeugt ihre eignen Völkertypen: den hellenischen, den italienischen, den spanischen, oder richtiger: wird von solchen Völkern, denen sie im Blute liegt oder durchs Milieu eingeimpft ist, erzeugt, sodaß ihre besondre Pflege gar nicht Vonnöten ist, die vielmehr wir Nordländer brauchen. So hat denn die ästhetische Erziehung des Menschen ihren guten Sinn, nur soll ihre Bedeutung nicht überschätzt, auch nicht unterschätzt werden. Wenden wir nun die Grundsätze dieser Erziehung auf das Theater an, so ist es klar, daß dieses im gedachten Sinne nur so weit wirken kann, als es Schönes bietet, daß also auf der Bühne nichts Häßliches. Rohes, schmutziges vorkommen darf, daß die Iphigenien und die Schillerschen Gestalten überwiegen müssen, daß auch die Bösewichter keine ordinären Spitzbuben, Trunkenbolde. Defraudanten und Lüstlinge sein dürfen, sondern Größe und Stil haben müssen. Hat sich die Bühne diesem Ideal seit Schillers Zeit genähert? Nach allem zu urteilen, was man so gelegentlich aus Zeitungen erfährt, scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Doch soll sich nach Schillers Ansicht die moralische Wirkung der Bühne auf den Einfluß, den sie durch Darbietung des Schönen übt, nicht beschränken. Literarhistorische Rundschau Heinrich Spiero von cum es unter deutschen Schriftstellern einen Mann gibt, auf deu die Bezeichnung Idealist ohne Einschränkung angewandt werden darf, so ist es Eugen Reichel. Ein Idealist ist doch ein Mann, der einer Idee folgt, ohne an persönlichen Nutzen oder Nachteil zu denken, und dem die Hingebung an sie zur Lebensaufgabe über n -! alles andre hinaus wird: so tat und tut Eugen Reichel mit seinem Lebensziel. Gottsched den ihm gebührenden Platz in der deutschen Geschichte !Uo im Bewußtsein der deutschen Bildung zu erwerben. Daß dabei zuerst, im Übereifer des in seiner Entdeckung vorschreitender manche zu hohen Worte ^elem, daß nicht immer mit der sachlichen Milde eines Richters objektive Ge¬ rechtigkeit gegen andre geübt werden konnte, ist selbstverständlich; man braucht oaruber nicht erst zu reden. Nur war es freilich Reichels Schicksal, wie das ^."er solcher Männer, daß man sich vielfach an die Übertreibungen hielt, an le M Anfang recht weit übers Ziel schießenden Worte über Lessing und Mundes, und daß man glaubte, damit den Mann beiseite schieben zu können, fahrend man doch höchstens ein paar Außenforts der von ihm aufgeführten '5^ng wegnahm. Denn die Begeisterung für Gottsched war bei Reichel kein aufflackerndes Strohfeuer, sondern eine zuerst wohl aus einem starken, allen ^pnußen eignen Heimatgefühl herausgewachsn?, dann aber in der Beschäftigung'e>er Jahre dauerhaft begründete Liebe, die auch denen allmählich ihre Wahrheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/347>, abgerufen am 22.07.2024.