Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.Das ästhetische problein in der Photographie des Lichtes, wie in den Augen der Impressionisten, denen der menschliche Körper, Das ästhetische problein in der Photographie des Lichtes, wie in den Augen der Impressionisten, denen der menschliche Körper, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310705"/> <fw type="header" place="top"> Das ästhetische problein in der Photographie</fw><lb/> <p xml:id="ID_1497" prev="#ID_1496" next="#ID_1498"> des Lichtes, wie in den Augen der Impressionisten, denen der menschliche Körper,<lb/> Früchte, ein zerbrochner Krug und ein paar Zwiebeln vom malerischen Stand¬<lb/> punkt gleichwertig erscheinen, weil sie ihnen zunächst nur als Offenbarungsmög¬<lb/> lichkeit des Paradieses der schönen Farben und des Lichtes erscheinen, das<lb/> diesen Farben erst das vibrierende Leben einhaucht. Wenn es sich darum<lb/> handelt, die Schönheiten und die Überlieferungen der Heimat zu hundelt,<lb/> architektonische Werte in der Landschaft, im Städtebau und in der Heimatkunst<lb/> aufzufassen und lichtbildnerisch darzustellen, eine Sache, die heute ziemlich weite<lb/> Kreise beschäftigt und zur Tagesaufgabe des Photographen gehört, dann steht<lb/> das Problem anders vor uns. Der entdeckungsfreudige Schönheitssucher ver¬<lb/> fährt nicht mehr selbstherrlich, er ist nicht mehr hauptsächlich Impressionist,<lb/> sondern sozusagen Architekt, der klar und meßbar zeigen will, was lineare und<lb/> proportionale Schönheit heißt. Ein Instruktives tritt in den Vordergrund.<lb/> An Stelle der Nuance regiert die Linie. Was zunächst interessiert, ist nicht die<lb/> Aufgabe, sondern das Objekt, während im ersten Falle bei dem rein licht-<lb/> künstlerischen Verfahren die Aufnahme das Interessante war, nicht das Objekt.<lb/> In diesem ersten Fall wollte der Photograph ein Bild seines Geistes geben,<lb/> nicht des Modells. Im zweiten Falle will er das Modell zeigen und nur<lb/> indirekt ein Dokument seines Geschmacks, seiner Disziplin, seiner Fähigkeit, das<lb/> Schöne zu erkennen, wo es sich vorfindet, zeigen. Das ist in der Tat keine<lb/> geringe Aufgabe. Um ein Gebäude zu photographieren, soll der Amateur die<lb/> Augen eines Architekten haben, er soll sofort den Standpunkt erkennen, von<lb/> dem aus sich die interessanteste künstlerische Seite der Architektur offenbart. Er<lb/> soll wissen, auf welche Merkmale es gerade den modernen, baukünstlerischen<lb/> Gebildeten ankommt. Natürlich interessiert uns das Detail, einzelne Partien,<lb/> nicht nur der Aufbau des Ganzen. Selbstverständlich soll das Architekturobjekt<lb/> so groß im Rahmen stehn wie nur möglich. Das Geheimnis der schönen Pro¬<lb/> portion, das ja das eigentliche innere Schönheitsmerkmal der Baukunst ist,<lb/> muß dem Photographen vollends aufgegangen sein. Hat er es gefunden, dann<lb/> weiß er es auch mit annähernder Sicherheit an den Werken der alten und<lb/> neuen Baukunst zu entdecken. In der Tat ist es vom architektonischen Stand¬<lb/> punkt aus das Wichtigste, was uns an den Architekturwerken interessiert, das,<lb/> woran sich das auf Rhythmus und Harmonie gestellte Empfinden zuerst und<lb/> instinktiv wendet. Die Ausbildung dieses Sinnes, des sechsten, ohne den die<lb/> Musik bloßer Lärm, architektonische Masse» nur Ungetüme, Farbe, Licht und<lb/> Schatten unvermittelte Gegensätze, Tahl- und Geschmacksempfindungen lediglich<lb/> Quantitätseindrücke sind, diese Ausbildung liegt der Hauptsache nach außerhalb<lb/> der Betätigungssphäre des Amateurs, sie bildet den allumfassenden Bezirk der<lb/> künstlerischen Bildung, aber sie hat natürlich den stärksten Einfluß auf die<lb/> künstlerischen Leistungen in der Photographie. Vielleicht wird später einmal<lb/> Gelegenheit sein, das künstlerische Gesetz der schönen Proportion und ihre An¬<lb/> wendung auf die Amateurphotographie ausführlich zu behandeln, was in diesem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Das ästhetische problein in der Photographie
des Lichtes, wie in den Augen der Impressionisten, denen der menschliche Körper,
Früchte, ein zerbrochner Krug und ein paar Zwiebeln vom malerischen Stand¬
punkt gleichwertig erscheinen, weil sie ihnen zunächst nur als Offenbarungsmög¬
lichkeit des Paradieses der schönen Farben und des Lichtes erscheinen, das
diesen Farben erst das vibrierende Leben einhaucht. Wenn es sich darum
handelt, die Schönheiten und die Überlieferungen der Heimat zu hundelt,
architektonische Werte in der Landschaft, im Städtebau und in der Heimatkunst
aufzufassen und lichtbildnerisch darzustellen, eine Sache, die heute ziemlich weite
Kreise beschäftigt und zur Tagesaufgabe des Photographen gehört, dann steht
das Problem anders vor uns. Der entdeckungsfreudige Schönheitssucher ver¬
fährt nicht mehr selbstherrlich, er ist nicht mehr hauptsächlich Impressionist,
sondern sozusagen Architekt, der klar und meßbar zeigen will, was lineare und
proportionale Schönheit heißt. Ein Instruktives tritt in den Vordergrund.
An Stelle der Nuance regiert die Linie. Was zunächst interessiert, ist nicht die
Aufgabe, sondern das Objekt, während im ersten Falle bei dem rein licht-
künstlerischen Verfahren die Aufnahme das Interessante war, nicht das Objekt.
In diesem ersten Fall wollte der Photograph ein Bild seines Geistes geben,
nicht des Modells. Im zweiten Falle will er das Modell zeigen und nur
indirekt ein Dokument seines Geschmacks, seiner Disziplin, seiner Fähigkeit, das
Schöne zu erkennen, wo es sich vorfindet, zeigen. Das ist in der Tat keine
geringe Aufgabe. Um ein Gebäude zu photographieren, soll der Amateur die
Augen eines Architekten haben, er soll sofort den Standpunkt erkennen, von
dem aus sich die interessanteste künstlerische Seite der Architektur offenbart. Er
soll wissen, auf welche Merkmale es gerade den modernen, baukünstlerischen
Gebildeten ankommt. Natürlich interessiert uns das Detail, einzelne Partien,
nicht nur der Aufbau des Ganzen. Selbstverständlich soll das Architekturobjekt
so groß im Rahmen stehn wie nur möglich. Das Geheimnis der schönen Pro¬
portion, das ja das eigentliche innere Schönheitsmerkmal der Baukunst ist,
muß dem Photographen vollends aufgegangen sein. Hat er es gefunden, dann
weiß er es auch mit annähernder Sicherheit an den Werken der alten und
neuen Baukunst zu entdecken. In der Tat ist es vom architektonischen Stand¬
punkt aus das Wichtigste, was uns an den Architekturwerken interessiert, das,
woran sich das auf Rhythmus und Harmonie gestellte Empfinden zuerst und
instinktiv wendet. Die Ausbildung dieses Sinnes, des sechsten, ohne den die
Musik bloßer Lärm, architektonische Masse» nur Ungetüme, Farbe, Licht und
Schatten unvermittelte Gegensätze, Tahl- und Geschmacksempfindungen lediglich
Quantitätseindrücke sind, diese Ausbildung liegt der Hauptsache nach außerhalb
der Betätigungssphäre des Amateurs, sie bildet den allumfassenden Bezirk der
künstlerischen Bildung, aber sie hat natürlich den stärksten Einfluß auf die
künstlerischen Leistungen in der Photographie. Vielleicht wird später einmal
Gelegenheit sein, das künstlerische Gesetz der schönen Proportion und ihre An¬
wendung auf die Amateurphotographie ausführlich zu behandeln, was in diesem
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