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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das ästhetische Problem in der Photographie

liegenden Schatten einiger hochstieliger Pflanzen, Disteln etwa, kann eine
wundervolle stilistische Erscheinung geben, in der die Gestalt selbst unkörperhaft,
"ständig" und lichtdurchflossen wird. Für die künstlerische Wirkung der Photo¬
graphie, namentlich wenn sie die Bestimmung hat, als Wandschmuck zu dienen,
soll die Betonung der Fläche ja nicht vergessen werden. Hier ist das Problem,
die zurückweichenden Verkleinerungen, die Perspektiven, die gleichsam Löcher in
die Wand legen, ganz zu vermeiden. In der Skala von Schwarz und Weiß,
von Hell und Dunkel soll alles in einer Ebene auf der Bildfläche liegen. Die
klare und scharfe Auszeichnung der Konturen ist dabei nicht so wichtig als
die dekorative Nebeneinandersetzung von Hell und Dunkel, von Nuance gegen
Nuance, die die Konturen eher auflösen als verschärfen. Wenn es einer Unter¬
stützung durch Analogien bedarf, so könnte man sagen, daß die Kunst des
Amateurs in solchen Fällen eine schmuckhafte, um nicht gleich zu sagen eine
schmucksteinähnliche Wirkung mit Glück anstreben kann oder etwas, das in der
Tendenz der ebenfalls auf Flächenwirkungen hinarbeitenden alten gotischen
Gobelins oder des modernen Ornaments liegt, das ebenfalls Flächencharakter
anstrebt. Wo eine künstlerische Wirkung erwünscht ist, wird sie am ehesten
erreicht werden durch das Streben nach ornamentaler Erscheinung. Was sich
im modernen Plakat durch die Vorgängerschaft der modernen Stilisten in der
Malerei längst vollzogen hat, die stündig dekorative Durchführung, das hat die
Photographie mit ihren Mitteln von Licht und Schatten, die die abwesende
Farbe unter Umständen auf das herrlichste suggerieren können, noch zu tun.
Dann erst wird sie sich die ursprüngliche Heimat alles Bildmäßigen erobern, die
Wand. Vielleicht nicht die Plakatwand, sondern die Wand des Interieurs, des
Wohnraumes. Die ständig dekorative Behandlung der künstlerischen Photo¬
graphie, die auf diese Art ins Ornamentale gesteigert wird, fordert eine sorg¬
fältige Beobachtung der Licht- und Schattenverteilnng, der rhythmischen Ab¬
wechslung und Anordnung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Es wird
im allgemeinen viel zuwenig beachtet, daß im Ornament überhaupt und selbst¬
verständlich auch in der modernen Malerei, in der Raumausstattung und in der
Architektur die dunkeln Teile der Farbengebung eine ebenso wichtige Rolle
spielen wie die hellen Teile, und daß beide in der Wiederkehr und Variation
von dem künstlerischen Intellekt voraus empfunden werden. Die Proportionalität
spielt also auch in der Farbengebung, in der Licht- und Schattenverteilung
eine außerordentliche Rolle, und je strenger, gebundner, stilistischer der künstlerische
Ausdruck erscheint, desto bewußtvoller wird das Geheimnis der schönen Proportion
auch in der Hinsicht behandelt. Der Photograph, der auf diesem Wege experimentell
vordringt, kann Ungewöhnliches leisten, wenn seine Erfahrung in der Wahr¬
scheinlichkeitsberechnung der Licht- und Schattenwirkung auf der Platte hin¬
länglich gediehen ist. Glücklicherweise gibt es für diese künstlerischen Möglichkeiten
kein Rezept, das sich zu einer handwerksmäßigen Konvention verknöchern ließe.
Das Glucken des Experiments hängt hier von dem künstlerischen Instinkt des


Das ästhetische Problem in der Photographie

liegenden Schatten einiger hochstieliger Pflanzen, Disteln etwa, kann eine
wundervolle stilistische Erscheinung geben, in der die Gestalt selbst unkörperhaft,
„ständig" und lichtdurchflossen wird. Für die künstlerische Wirkung der Photo¬
graphie, namentlich wenn sie die Bestimmung hat, als Wandschmuck zu dienen,
soll die Betonung der Fläche ja nicht vergessen werden. Hier ist das Problem,
die zurückweichenden Verkleinerungen, die Perspektiven, die gleichsam Löcher in
die Wand legen, ganz zu vermeiden. In der Skala von Schwarz und Weiß,
von Hell und Dunkel soll alles in einer Ebene auf der Bildfläche liegen. Die
klare und scharfe Auszeichnung der Konturen ist dabei nicht so wichtig als
die dekorative Nebeneinandersetzung von Hell und Dunkel, von Nuance gegen
Nuance, die die Konturen eher auflösen als verschärfen. Wenn es einer Unter¬
stützung durch Analogien bedarf, so könnte man sagen, daß die Kunst des
Amateurs in solchen Fällen eine schmuckhafte, um nicht gleich zu sagen eine
schmucksteinähnliche Wirkung mit Glück anstreben kann oder etwas, das in der
Tendenz der ebenfalls auf Flächenwirkungen hinarbeitenden alten gotischen
Gobelins oder des modernen Ornaments liegt, das ebenfalls Flächencharakter
anstrebt. Wo eine künstlerische Wirkung erwünscht ist, wird sie am ehesten
erreicht werden durch das Streben nach ornamentaler Erscheinung. Was sich
im modernen Plakat durch die Vorgängerschaft der modernen Stilisten in der
Malerei längst vollzogen hat, die stündig dekorative Durchführung, das hat die
Photographie mit ihren Mitteln von Licht und Schatten, die die abwesende
Farbe unter Umständen auf das herrlichste suggerieren können, noch zu tun.
Dann erst wird sie sich die ursprüngliche Heimat alles Bildmäßigen erobern, die
Wand. Vielleicht nicht die Plakatwand, sondern die Wand des Interieurs, des
Wohnraumes. Die ständig dekorative Behandlung der künstlerischen Photo¬
graphie, die auf diese Art ins Ornamentale gesteigert wird, fordert eine sorg¬
fältige Beobachtung der Licht- und Schattenverteilnng, der rhythmischen Ab¬
wechslung und Anordnung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Es wird
im allgemeinen viel zuwenig beachtet, daß im Ornament überhaupt und selbst¬
verständlich auch in der modernen Malerei, in der Raumausstattung und in der
Architektur die dunkeln Teile der Farbengebung eine ebenso wichtige Rolle
spielen wie die hellen Teile, und daß beide in der Wiederkehr und Variation
von dem künstlerischen Intellekt voraus empfunden werden. Die Proportionalität
spielt also auch in der Farbengebung, in der Licht- und Schattenverteilung
eine außerordentliche Rolle, und je strenger, gebundner, stilistischer der künstlerische
Ausdruck erscheint, desto bewußtvoller wird das Geheimnis der schönen Proportion
auch in der Hinsicht behandelt. Der Photograph, der auf diesem Wege experimentell
vordringt, kann Ungewöhnliches leisten, wenn seine Erfahrung in der Wahr¬
scheinlichkeitsberechnung der Licht- und Schattenwirkung auf der Platte hin¬
länglich gediehen ist. Glücklicherweise gibt es für diese künstlerischen Möglichkeiten
kein Rezept, das sich zu einer handwerksmäßigen Konvention verknöchern ließe.
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[0292] Das ästhetische Problem in der Photographie liegenden Schatten einiger hochstieliger Pflanzen, Disteln etwa, kann eine wundervolle stilistische Erscheinung geben, in der die Gestalt selbst unkörperhaft, „ständig" und lichtdurchflossen wird. Für die künstlerische Wirkung der Photo¬ graphie, namentlich wenn sie die Bestimmung hat, als Wandschmuck zu dienen, soll die Betonung der Fläche ja nicht vergessen werden. Hier ist das Problem, die zurückweichenden Verkleinerungen, die Perspektiven, die gleichsam Löcher in die Wand legen, ganz zu vermeiden. In der Skala von Schwarz und Weiß, von Hell und Dunkel soll alles in einer Ebene auf der Bildfläche liegen. Die klare und scharfe Auszeichnung der Konturen ist dabei nicht so wichtig als die dekorative Nebeneinandersetzung von Hell und Dunkel, von Nuance gegen Nuance, die die Konturen eher auflösen als verschärfen. Wenn es einer Unter¬ stützung durch Analogien bedarf, so könnte man sagen, daß die Kunst des Amateurs in solchen Fällen eine schmuckhafte, um nicht gleich zu sagen eine schmucksteinähnliche Wirkung mit Glück anstreben kann oder etwas, das in der Tendenz der ebenfalls auf Flächenwirkungen hinarbeitenden alten gotischen Gobelins oder des modernen Ornaments liegt, das ebenfalls Flächencharakter anstrebt. Wo eine künstlerische Wirkung erwünscht ist, wird sie am ehesten erreicht werden durch das Streben nach ornamentaler Erscheinung. Was sich im modernen Plakat durch die Vorgängerschaft der modernen Stilisten in der Malerei längst vollzogen hat, die stündig dekorative Durchführung, das hat die Photographie mit ihren Mitteln von Licht und Schatten, die die abwesende Farbe unter Umständen auf das herrlichste suggerieren können, noch zu tun. Dann erst wird sie sich die ursprüngliche Heimat alles Bildmäßigen erobern, die Wand. Vielleicht nicht die Plakatwand, sondern die Wand des Interieurs, des Wohnraumes. Die ständig dekorative Behandlung der künstlerischen Photo¬ graphie, die auf diese Art ins Ornamentale gesteigert wird, fordert eine sorg¬ fältige Beobachtung der Licht- und Schattenverteilnng, der rhythmischen Ab¬ wechslung und Anordnung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Es wird im allgemeinen viel zuwenig beachtet, daß im Ornament überhaupt und selbst¬ verständlich auch in der modernen Malerei, in der Raumausstattung und in der Architektur die dunkeln Teile der Farbengebung eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die hellen Teile, und daß beide in der Wiederkehr und Variation von dem künstlerischen Intellekt voraus empfunden werden. Die Proportionalität spielt also auch in der Farbengebung, in der Licht- und Schattenverteilung eine außerordentliche Rolle, und je strenger, gebundner, stilistischer der künstlerische Ausdruck erscheint, desto bewußtvoller wird das Geheimnis der schönen Proportion auch in der Hinsicht behandelt. Der Photograph, der auf diesem Wege experimentell vordringt, kann Ungewöhnliches leisten, wenn seine Erfahrung in der Wahr¬ scheinlichkeitsberechnung der Licht- und Schattenwirkung auf der Platte hin¬ länglich gediehen ist. Glücklicherweise gibt es für diese künstlerischen Möglichkeiten kein Rezept, das sich zu einer handwerksmäßigen Konvention verknöchern ließe. Das Glucken des Experiments hängt hier von dem künstlerischen Instinkt des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/292>, abgerufen am 22.07.2024.