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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Haut

Und sie kehrten um.

Hier nach Norden zu führt sonst mein gewöhnlicher Weg.

Ich finde, es ist hier so ungeschützt!

Freilich, ein wenig rauh ist es hier ja. Aber dafür ist es hier auch so
friedlich.

Ja, hier geht wohl niemand!

Niemand außer mir. Aber ich finde, daß man seine Gedanken so gut
sammeln kann auf einem so einsamen Wege. Man denkt so viel tiefer, man
kommt sich selbst so viel näher. -- Ja, hier habe ich manchen Gedanken zu Ende
gedacht, das können Sie mir glauben! Während dieser fünf Jahre, die ich hier
gewesen bin.

Sind sie schon fünf Jahre hier?

Ja, schon im sechsten. Das sollte im Grunde die Grenze für die Zeit
eines jungen Geistlichen hier oben sein. Ja, der Bischof hat mich auch gerade
gefragt, ob ich nicht daran denke, mich um eine Anstellung weiter südwärts zu
bemühen.

Nun, und beabsichtigen Sie das nicht?

Ach ja, Sie können es mir glauben, ich denke schon daran. Wenn ich hier
so mit meinen einsamen Grübeleien einhergehe. Es zieht mich ja natürlich nach
mildern Gegenden, wo auch meine Heimat ist. Aber man hat auch hier so vieles
liebgewonnen. Die schöne stolze Natur und die höchst eigentümlichen Lebens¬
bedingungen --

Das verstehe ich so gut!

Und vielleicht sind da auch Dinge rein persönlicher Art, die einen binden.
Herz und Gemüt können auf so mancherlei Art festwachsen. Es kann so unmerk¬
lich geschehen, Fräulein Berry, ja ehe man es selber ahnt, kann man fühlen, wie
die ganze Seele gefesselt und gebunden ist -- an einen Menschen, den man lieb¬
gewonnen hat --

Ja, das kann wohl kommen --

Und -- ja, ein Heim wie das Ihre -- so etwas findet man nicht so leicht
wieder. Ihre Mutter, ja, und Ihr Vater -- sind mir zu einem großen Segen
geworden. Ja, und Sie nehmen es mir nicht übel, Fräulein Berry, wenn ich auch
Sie mit dazu zähle!

Ach, mit mir ist nicht viel Staat zu machen! sagte Berry nervös, indem sie
ihren Gang beschleunigte. Sie waren jetzt an den ersten Häusern der Stadt und
der ersten elektrischen Laterne angelangt.

Sie gehn so schnell! Haben Sie eine solche Eile?

Ach --

Ich möchte so gern mit Ihnen reden, Fräulein Berry, mir liegt etwas so
schwer auf dem Herzen, etwas, worüber ich lange nachgedacht habe, und das schon
längst in meinem Innern gereift ist. Schon vor ein paar Jahren, schon ehe Sie
uns verließen. Und nun seit Ihrer Heimkehr mehr als je!

Berry lief beinahe. Da wandte er sich zu ihr um und blieb stehn. Sie sah
sich gezwungen, ebenfalls stehn zu bleiben.

Ich habe Ihrer Frau Mutter mein Herz erschlossen -- kurz vor Ihrer Ab¬
reise im vergangnen Jahre -- ich sagte ihr, Fräulein Berry, daß ich eine so
starke Zuneigung für Sie empfände, daß ich es nicht für richtig hielt, meine so
nahen Beziehungen zu Ihrem Hause fortzusetzen, ohne Ihre Mutter mit dem be¬
kannt zu machen, was in meinem Herzen aufgesproßt war, und was, das fühlte
ich, weiter wachsen würde. Ich mußte wissen, ob sich Ihre Mutter unwillig zu


Oberlehrer Haut

Und sie kehrten um.

Hier nach Norden zu führt sonst mein gewöhnlicher Weg.

Ich finde, es ist hier so ungeschützt!

Freilich, ein wenig rauh ist es hier ja. Aber dafür ist es hier auch so
friedlich.

Ja, hier geht wohl niemand!

Niemand außer mir. Aber ich finde, daß man seine Gedanken so gut
sammeln kann auf einem so einsamen Wege. Man denkt so viel tiefer, man
kommt sich selbst so viel näher. — Ja, hier habe ich manchen Gedanken zu Ende
gedacht, das können Sie mir glauben! Während dieser fünf Jahre, die ich hier
gewesen bin.

Sind sie schon fünf Jahre hier?

Ja, schon im sechsten. Das sollte im Grunde die Grenze für die Zeit
eines jungen Geistlichen hier oben sein. Ja, der Bischof hat mich auch gerade
gefragt, ob ich nicht daran denke, mich um eine Anstellung weiter südwärts zu
bemühen.

Nun, und beabsichtigen Sie das nicht?

Ach ja, Sie können es mir glauben, ich denke schon daran. Wenn ich hier
so mit meinen einsamen Grübeleien einhergehe. Es zieht mich ja natürlich nach
mildern Gegenden, wo auch meine Heimat ist. Aber man hat auch hier so vieles
liebgewonnen. Die schöne stolze Natur und die höchst eigentümlichen Lebens¬
bedingungen —

Das verstehe ich so gut!

Und vielleicht sind da auch Dinge rein persönlicher Art, die einen binden.
Herz und Gemüt können auf so mancherlei Art festwachsen. Es kann so unmerk¬
lich geschehen, Fräulein Berry, ja ehe man es selber ahnt, kann man fühlen, wie
die ganze Seele gefesselt und gebunden ist — an einen Menschen, den man lieb¬
gewonnen hat —

Ja, das kann wohl kommen —

Und — ja, ein Heim wie das Ihre — so etwas findet man nicht so leicht
wieder. Ihre Mutter, ja, und Ihr Vater — sind mir zu einem großen Segen
geworden. Ja, und Sie nehmen es mir nicht übel, Fräulein Berry, wenn ich auch
Sie mit dazu zähle!

Ach, mit mir ist nicht viel Staat zu machen! sagte Berry nervös, indem sie
ihren Gang beschleunigte. Sie waren jetzt an den ersten Häusern der Stadt und
der ersten elektrischen Laterne angelangt.

Sie gehn so schnell! Haben Sie eine solche Eile?

Ach —

Ich möchte so gern mit Ihnen reden, Fräulein Berry, mir liegt etwas so
schwer auf dem Herzen, etwas, worüber ich lange nachgedacht habe, und das schon
längst in meinem Innern gereift ist. Schon vor ein paar Jahren, schon ehe Sie
uns verließen. Und nun seit Ihrer Heimkehr mehr als je!

Berry lief beinahe. Da wandte er sich zu ihr um und blieb stehn. Sie sah
sich gezwungen, ebenfalls stehn zu bleiben.

Ich habe Ihrer Frau Mutter mein Herz erschlossen — kurz vor Ihrer Ab¬
reise im vergangnen Jahre — ich sagte ihr, Fräulein Berry, daß ich eine so
starke Zuneigung für Sie empfände, daß ich es nicht für richtig hielt, meine so
nahen Beziehungen zu Ihrem Hause fortzusetzen, ohne Ihre Mutter mit dem be¬
kannt zu machen, was in meinem Herzen aufgesproßt war, und was, das fühlte
ich, weiter wachsen würde. Ich mußte wissen, ob sich Ihre Mutter unwillig zu


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[0202] Oberlehrer Haut Und sie kehrten um. Hier nach Norden zu führt sonst mein gewöhnlicher Weg. Ich finde, es ist hier so ungeschützt! Freilich, ein wenig rauh ist es hier ja. Aber dafür ist es hier auch so friedlich. Ja, hier geht wohl niemand! Niemand außer mir. Aber ich finde, daß man seine Gedanken so gut sammeln kann auf einem so einsamen Wege. Man denkt so viel tiefer, man kommt sich selbst so viel näher. — Ja, hier habe ich manchen Gedanken zu Ende gedacht, das können Sie mir glauben! Während dieser fünf Jahre, die ich hier gewesen bin. Sind sie schon fünf Jahre hier? Ja, schon im sechsten. Das sollte im Grunde die Grenze für die Zeit eines jungen Geistlichen hier oben sein. Ja, der Bischof hat mich auch gerade gefragt, ob ich nicht daran denke, mich um eine Anstellung weiter südwärts zu bemühen. Nun, und beabsichtigen Sie das nicht? Ach ja, Sie können es mir glauben, ich denke schon daran. Wenn ich hier so mit meinen einsamen Grübeleien einhergehe. Es zieht mich ja natürlich nach mildern Gegenden, wo auch meine Heimat ist. Aber man hat auch hier so vieles liebgewonnen. Die schöne stolze Natur und die höchst eigentümlichen Lebens¬ bedingungen — Das verstehe ich so gut! Und vielleicht sind da auch Dinge rein persönlicher Art, die einen binden. Herz und Gemüt können auf so mancherlei Art festwachsen. Es kann so unmerk¬ lich geschehen, Fräulein Berry, ja ehe man es selber ahnt, kann man fühlen, wie die ganze Seele gefesselt und gebunden ist — an einen Menschen, den man lieb¬ gewonnen hat — Ja, das kann wohl kommen — Und — ja, ein Heim wie das Ihre — so etwas findet man nicht so leicht wieder. Ihre Mutter, ja, und Ihr Vater — sind mir zu einem großen Segen geworden. Ja, und Sie nehmen es mir nicht übel, Fräulein Berry, wenn ich auch Sie mit dazu zähle! Ach, mit mir ist nicht viel Staat zu machen! sagte Berry nervös, indem sie ihren Gang beschleunigte. Sie waren jetzt an den ersten Häusern der Stadt und der ersten elektrischen Laterne angelangt. Sie gehn so schnell! Haben Sie eine solche Eile? Ach — Ich möchte so gern mit Ihnen reden, Fräulein Berry, mir liegt etwas so schwer auf dem Herzen, etwas, worüber ich lange nachgedacht habe, und das schon längst in meinem Innern gereift ist. Schon vor ein paar Jahren, schon ehe Sie uns verließen. Und nun seit Ihrer Heimkehr mehr als je! Berry lief beinahe. Da wandte er sich zu ihr um und blieb stehn. Sie sah sich gezwungen, ebenfalls stehn zu bleiben. Ich habe Ihrer Frau Mutter mein Herz erschlossen — kurz vor Ihrer Ab¬ reise im vergangnen Jahre — ich sagte ihr, Fräulein Berry, daß ich eine so starke Zuneigung für Sie empfände, daß ich es nicht für richtig hielt, meine so nahen Beziehungen zu Ihrem Hause fortzusetzen, ohne Ihre Mutter mit dem be¬ kannt zu machen, was in meinem Herzen aufgesproßt war, und was, das fühlte ich, weiter wachsen würde. Ich mußte wissen, ob sich Ihre Mutter unwillig zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/202>, abgerufen am 22.07.2024.