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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Ginporkommen Bonapartes

Thron und Altar kämpfenden Westen bezeichnete, sich dem General Hedouville
in Montfaucon unterwarf; die Fügsamkeit der Vendee schien die Fügsamkeit
des Westens zu bedeuten. Bezeichnend aber ist, daß die Vendeer in zwei
Punkten unnachgiebig blieben: sie wollten nichts von dem Versprechen der
Priester in betreff der Verfassung wissen, und sie wollten ihre Waffen nicht
ausliefern. Hedouville gewann sie nur dadurch, daß er zu verstehn gab, man
müsse zwar im Prinzip das Versprechen verlangen, werde aber in der Praxis
ein Auge zudrücken, und daß er einwilligte, die Waffen den Eigentümern der
Bauernhöfe und den Pächtern zu lassen, "damit sie sich gegen die Diebe und
das herumstreichende Raubgesindel verteidigen könnten". Das hieß nichts
andres als der Mehrheit der Aufrührer die Waffen lassen; wenn im Frühjahr
die republikanischen Heere in gefährlichem Ringen mit den Feinden waren,
konnte man wieder hinter jedem Busch der Vendee die Gewehre blitzen und
den unstillbaren Krieg sich erneuern sehen. Aber für den Augenblick wirkte
das Beispiel der Vendeer in der Tat so ansteckend, daß sich auch andre
Gegenden auf jene Bedingungen von Montfaucon hin unterwarfen; mit den
Hartnäckigen wurde man um so leichter durch Gewalt fertig; so wurde Bourmont
in der Nähe von Laval von Chabot geschlagen, verlor ein Pferd unter dem
Leibe und sah seine zahlreiche Schar zersprengt; mehr als dreißig Wagen voll
Verwundeter wurden weggeführt. Von verhängnisvollen Einfluß war die
feige Haltung der verjagten Bourbonen; feit neun Jahren ließ der Graf Karl
von Artois, der jüngste Bruder Ludwigs des Sechzehnten und Ludwigs des
Achtzehnter, seine Ankunft im Westen ankündigen, kam aber nicht; er war
is xrinvs toujours attsiulu; seine Anhänger verlangten, er solle sich im Not¬
fall einem Fischerboot anvertrauen und von England nach der Bretagne her¬
überkommen. Er hütete sich wohl, das zu tun; in ihm war nichts von seinem
Ahnherrn Heinrich dem Vierten, dessen weißen Federbusch man überall da
hatte wehen sehen, wo die Gefahr am größten war.

Welcher Abstand von da zu dem ersten Konsul, der sich immer als Kriegs¬
held hervortat und außerdem durchweg der Nation das eine durchschlagende Ge¬
fühl erweckte, daß sie endlich einen Führer und Regierer hatte. Gewiß, noch
gab es schwarze Punkte genug, die Zerrüttung der Finanzen, den Ruin des
Kredits, die Seltenheit des baren Geldes, die Unsicherheit über die Wahl der
künftigen Beamten der Gemeinden und Departements, die Fortdauer des
Kriegs, da England und Österreich bestündig unnachgiebig blieben, die Aussicht
also auf einen neuen Feldzug. Aber trotzdem -- die Zeit war vorüber, wo
Frankreich ein Schiff ohne Kapitän war; man fühlte sich beschützt und gelenkt,
und ein Wort flog durchs Land: heute kriechen die Parteien am Boden, die
Menschen gehen wieder, und die Regierung regiert! Die, die den ersten Konsul
u: der Nähe beobachten konnten, versicherten, daß er achtzehn Stunden am
Tag arbeite, wenig esse, kaum schlafe, in einem ausgemergelten Körper einen
unrer freien Geist trage. Die Polizeiberichte zeigen seit dem Ende des Januar


Das Ginporkommen Bonapartes

Thron und Altar kämpfenden Westen bezeichnete, sich dem General Hedouville
in Montfaucon unterwarf; die Fügsamkeit der Vendee schien die Fügsamkeit
des Westens zu bedeuten. Bezeichnend aber ist, daß die Vendeer in zwei
Punkten unnachgiebig blieben: sie wollten nichts von dem Versprechen der
Priester in betreff der Verfassung wissen, und sie wollten ihre Waffen nicht
ausliefern. Hedouville gewann sie nur dadurch, daß er zu verstehn gab, man
müsse zwar im Prinzip das Versprechen verlangen, werde aber in der Praxis
ein Auge zudrücken, und daß er einwilligte, die Waffen den Eigentümern der
Bauernhöfe und den Pächtern zu lassen, „damit sie sich gegen die Diebe und
das herumstreichende Raubgesindel verteidigen könnten". Das hieß nichts
andres als der Mehrheit der Aufrührer die Waffen lassen; wenn im Frühjahr
die republikanischen Heere in gefährlichem Ringen mit den Feinden waren,
konnte man wieder hinter jedem Busch der Vendee die Gewehre blitzen und
den unstillbaren Krieg sich erneuern sehen. Aber für den Augenblick wirkte
das Beispiel der Vendeer in der Tat so ansteckend, daß sich auch andre
Gegenden auf jene Bedingungen von Montfaucon hin unterwarfen; mit den
Hartnäckigen wurde man um so leichter durch Gewalt fertig; so wurde Bourmont
in der Nähe von Laval von Chabot geschlagen, verlor ein Pferd unter dem
Leibe und sah seine zahlreiche Schar zersprengt; mehr als dreißig Wagen voll
Verwundeter wurden weggeführt. Von verhängnisvollen Einfluß war die
feige Haltung der verjagten Bourbonen; feit neun Jahren ließ der Graf Karl
von Artois, der jüngste Bruder Ludwigs des Sechzehnten und Ludwigs des
Achtzehnter, seine Ankunft im Westen ankündigen, kam aber nicht; er war
is xrinvs toujours attsiulu; seine Anhänger verlangten, er solle sich im Not¬
fall einem Fischerboot anvertrauen und von England nach der Bretagne her¬
überkommen. Er hütete sich wohl, das zu tun; in ihm war nichts von seinem
Ahnherrn Heinrich dem Vierten, dessen weißen Federbusch man überall da
hatte wehen sehen, wo die Gefahr am größten war.

Welcher Abstand von da zu dem ersten Konsul, der sich immer als Kriegs¬
held hervortat und außerdem durchweg der Nation das eine durchschlagende Ge¬
fühl erweckte, daß sie endlich einen Führer und Regierer hatte. Gewiß, noch
gab es schwarze Punkte genug, die Zerrüttung der Finanzen, den Ruin des
Kredits, die Seltenheit des baren Geldes, die Unsicherheit über die Wahl der
künftigen Beamten der Gemeinden und Departements, die Fortdauer des
Kriegs, da England und Österreich bestündig unnachgiebig blieben, die Aussicht
also auf einen neuen Feldzug. Aber trotzdem — die Zeit war vorüber, wo
Frankreich ein Schiff ohne Kapitän war; man fühlte sich beschützt und gelenkt,
und ein Wort flog durchs Land: heute kriechen die Parteien am Boden, die
Menschen gehen wieder, und die Regierung regiert! Die, die den ersten Konsul
u: der Nähe beobachten konnten, versicherten, daß er achtzehn Stunden am
Tag arbeite, wenig esse, kaum schlafe, in einem ausgemergelten Körper einen
unrer freien Geist trage. Die Polizeiberichte zeigen seit dem Ende des Januar


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[0019] Das Ginporkommen Bonapartes Thron und Altar kämpfenden Westen bezeichnete, sich dem General Hedouville in Montfaucon unterwarf; die Fügsamkeit der Vendee schien die Fügsamkeit des Westens zu bedeuten. Bezeichnend aber ist, daß die Vendeer in zwei Punkten unnachgiebig blieben: sie wollten nichts von dem Versprechen der Priester in betreff der Verfassung wissen, und sie wollten ihre Waffen nicht ausliefern. Hedouville gewann sie nur dadurch, daß er zu verstehn gab, man müsse zwar im Prinzip das Versprechen verlangen, werde aber in der Praxis ein Auge zudrücken, und daß er einwilligte, die Waffen den Eigentümern der Bauernhöfe und den Pächtern zu lassen, „damit sie sich gegen die Diebe und das herumstreichende Raubgesindel verteidigen könnten". Das hieß nichts andres als der Mehrheit der Aufrührer die Waffen lassen; wenn im Frühjahr die republikanischen Heere in gefährlichem Ringen mit den Feinden waren, konnte man wieder hinter jedem Busch der Vendee die Gewehre blitzen und den unstillbaren Krieg sich erneuern sehen. Aber für den Augenblick wirkte das Beispiel der Vendeer in der Tat so ansteckend, daß sich auch andre Gegenden auf jene Bedingungen von Montfaucon hin unterwarfen; mit den Hartnäckigen wurde man um so leichter durch Gewalt fertig; so wurde Bourmont in der Nähe von Laval von Chabot geschlagen, verlor ein Pferd unter dem Leibe und sah seine zahlreiche Schar zersprengt; mehr als dreißig Wagen voll Verwundeter wurden weggeführt. Von verhängnisvollen Einfluß war die feige Haltung der verjagten Bourbonen; feit neun Jahren ließ der Graf Karl von Artois, der jüngste Bruder Ludwigs des Sechzehnten und Ludwigs des Achtzehnter, seine Ankunft im Westen ankündigen, kam aber nicht; er war is xrinvs toujours attsiulu; seine Anhänger verlangten, er solle sich im Not¬ fall einem Fischerboot anvertrauen und von England nach der Bretagne her¬ überkommen. Er hütete sich wohl, das zu tun; in ihm war nichts von seinem Ahnherrn Heinrich dem Vierten, dessen weißen Federbusch man überall da hatte wehen sehen, wo die Gefahr am größten war. Welcher Abstand von da zu dem ersten Konsul, der sich immer als Kriegs¬ held hervortat und außerdem durchweg der Nation das eine durchschlagende Ge¬ fühl erweckte, daß sie endlich einen Führer und Regierer hatte. Gewiß, noch gab es schwarze Punkte genug, die Zerrüttung der Finanzen, den Ruin des Kredits, die Seltenheit des baren Geldes, die Unsicherheit über die Wahl der künftigen Beamten der Gemeinden und Departements, die Fortdauer des Kriegs, da England und Österreich bestündig unnachgiebig blieben, die Aussicht also auf einen neuen Feldzug. Aber trotzdem — die Zeit war vorüber, wo Frankreich ein Schiff ohne Kapitän war; man fühlte sich beschützt und gelenkt, und ein Wort flog durchs Land: heute kriechen die Parteien am Boden, die Menschen gehen wieder, und die Regierung regiert! Die, die den ersten Konsul u: der Nähe beobachten konnten, versicherten, daß er achtzehn Stunden am Tag arbeite, wenig esse, kaum schlafe, in einem ausgemergelten Körper einen unrer freien Geist trage. Die Polizeiberichte zeigen seit dem Ende des Januar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/19>, abgerufen am 24.08.2024.