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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

die Fürsorge für die verschiedentlicher Universitätsinstitute Jenas einschließlich
der Universitätsbibliothek, für die Bibliothek, das Museum, die Zeichen- und
Gewcrkschulc in Weimar, die dem Chef die Verpflichtung auferlegte, zahlreiche
verschiedne Rechnungen zu prüfen, Neuanschaffungen anzuordnen und Per¬
sonalien aller Art zu regeln, legte diesem doch eine nicht geringe Bürde auf.
Aus dem Tagebuch ist zu ersehen, wie sich häufige Beratungen mit Hofrat
Vogel nötig machten, wie andauernd gewisse Angelegenheiten, so zum Beispiel
die Frage wegen der Anschaffung des Voigtschen Münzkabinetts, die Mängel
der Veterinärschule in Jena, Anliegen der Sternwarte, den Dichter beschäftigt
haben. Die Rubrik "Oberaufsichtliches" geht durch das Jahr 1831 von
Woche zu Woche fort? noch für sieben Tage des März 1832, des Todes¬
monats, bezeugt das Tagebuch solche Arbeit. Sicher ist dem zweiundachtzig-
jährigen Greise die treue Ausdauer hoch anzurechnen, mit der er diese gewiß
wenig erquicklichen, oft aber geistanstrengenden Geschäfte neben seinen Anliegen
als Dichter, Forscher und Denker bis zu seinem Ende besorgt hat.

Zu diesen letztern bahnen wir uns den Übergang durch einen Überblick
über des Dichters Lektüre im Jahre 1831. Soweit Achtzigjährige noch den
Trieb zu zusammenhängender Lektüre verspüren, pflegen sie nach leichter Lese¬
kost zu greifen. Um so mehr verdient Bewunderung, was Goethe 1831 in
diesem Stücke geleistet hat. Nur ganz selten, mitunter Ottilien zuliebe, befaßt
er sich mit reiner Unterhaltungslektüre, so zum Beispiel mit Romanen
W. Scotts, über die er sich sehr entzückt äußert, mit Schriften von Viktor
Hugo, Dumas, Balzac u. a., die ihm nur sehr teilweise zusagen. In der
Hauptsache liest er schwere geschichtliche Werke, Memoiren und Briefwechsel,
vornehmlich solche, die sich auf die neuere französische Geschichte beziehen,
daneben Reisewerke aller Art, die ihn bald nach Griechenland, Rom, Persien,
dem indischen Archipelagus, Neu-Südwales, Brasilien führen (so u. a. O. v. Kotze-
bues Reise um die Welt), Politisches, Nationalökonomisches, Ästhetisches, wenn
von den naturwissenschaftlichen Werken, die das Tagebuch von 1831 erwähnt,
hier ganz abgesehen wird, da sie doch mehr gründlich durchstudiert als bloß
gelesen worden sind. Bemerkenswert ist, daß am 3. November auch Euripides
an die Reihe kommt, noch mehr, daß sich Goethe von Ende September 1331
bis Ende Februar 1332 mit geringen Unterbrechungen abends von der
Schwiegertochter aus Plutarchs Lebensbeschreibungen vorlesen ließ, die nach
festem Plane durchgenommen wurden. Man kann nur staunen über die Aus¬
dauer und geistige Spannkraft, die der Hochbetagte und ihm zuliebe die fünf-
unddreißigjährige Ottilie dabei bewiesen haben.

Hätte Goethe mit 1330 die Weiterarbeit auf geistigem Gebiet, zufrieden
mit dem Erreichten, eingestellt, so hätte das niemandem auffallen können. Die
unter Beistand von Eckermann, Riemer und Göttling von 1827 ab mit Mühe
und Bedacht hergestellte "vollständige Ausgabe letzter Hand mit des durch¬
lauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien" lag Anfang 1831 in


Goethes letztes Lebensjahr

die Fürsorge für die verschiedentlicher Universitätsinstitute Jenas einschließlich
der Universitätsbibliothek, für die Bibliothek, das Museum, die Zeichen- und
Gewcrkschulc in Weimar, die dem Chef die Verpflichtung auferlegte, zahlreiche
verschiedne Rechnungen zu prüfen, Neuanschaffungen anzuordnen und Per¬
sonalien aller Art zu regeln, legte diesem doch eine nicht geringe Bürde auf.
Aus dem Tagebuch ist zu ersehen, wie sich häufige Beratungen mit Hofrat
Vogel nötig machten, wie andauernd gewisse Angelegenheiten, so zum Beispiel
die Frage wegen der Anschaffung des Voigtschen Münzkabinetts, die Mängel
der Veterinärschule in Jena, Anliegen der Sternwarte, den Dichter beschäftigt
haben. Die Rubrik „Oberaufsichtliches" geht durch das Jahr 1831 von
Woche zu Woche fort? noch für sieben Tage des März 1832, des Todes¬
monats, bezeugt das Tagebuch solche Arbeit. Sicher ist dem zweiundachtzig-
jährigen Greise die treue Ausdauer hoch anzurechnen, mit der er diese gewiß
wenig erquicklichen, oft aber geistanstrengenden Geschäfte neben seinen Anliegen
als Dichter, Forscher und Denker bis zu seinem Ende besorgt hat.

Zu diesen letztern bahnen wir uns den Übergang durch einen Überblick
über des Dichters Lektüre im Jahre 1831. Soweit Achtzigjährige noch den
Trieb zu zusammenhängender Lektüre verspüren, pflegen sie nach leichter Lese¬
kost zu greifen. Um so mehr verdient Bewunderung, was Goethe 1831 in
diesem Stücke geleistet hat. Nur ganz selten, mitunter Ottilien zuliebe, befaßt
er sich mit reiner Unterhaltungslektüre, so zum Beispiel mit Romanen
W. Scotts, über die er sich sehr entzückt äußert, mit Schriften von Viktor
Hugo, Dumas, Balzac u. a., die ihm nur sehr teilweise zusagen. In der
Hauptsache liest er schwere geschichtliche Werke, Memoiren und Briefwechsel,
vornehmlich solche, die sich auf die neuere französische Geschichte beziehen,
daneben Reisewerke aller Art, die ihn bald nach Griechenland, Rom, Persien,
dem indischen Archipelagus, Neu-Südwales, Brasilien führen (so u. a. O. v. Kotze-
bues Reise um die Welt), Politisches, Nationalökonomisches, Ästhetisches, wenn
von den naturwissenschaftlichen Werken, die das Tagebuch von 1831 erwähnt,
hier ganz abgesehen wird, da sie doch mehr gründlich durchstudiert als bloß
gelesen worden sind. Bemerkenswert ist, daß am 3. November auch Euripides
an die Reihe kommt, noch mehr, daß sich Goethe von Ende September 1331
bis Ende Februar 1332 mit geringen Unterbrechungen abends von der
Schwiegertochter aus Plutarchs Lebensbeschreibungen vorlesen ließ, die nach
festem Plane durchgenommen wurden. Man kann nur staunen über die Aus¬
dauer und geistige Spannkraft, die der Hochbetagte und ihm zuliebe die fünf-
unddreißigjährige Ottilie dabei bewiesen haben.

Hätte Goethe mit 1330 die Weiterarbeit auf geistigem Gebiet, zufrieden
mit dem Erreichten, eingestellt, so hätte das niemandem auffallen können. Die
unter Beistand von Eckermann, Riemer und Göttling von 1827 ab mit Mühe
und Bedacht hergestellte „vollständige Ausgabe letzter Hand mit des durch¬
lauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien" lag Anfang 1831 in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/183>, abgerufen am 24.08.2024.