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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Historisches und Ethnographisches zum Balkankonfllkt

durch einen Fernen die bulgarische Kirche unter einem eignen Exarchen be¬
stätigte, der natürlich zunächst auf Rußland sah. Der ganze Kampf um die
Einzelheiten kam noch hinterher. Man kann sich leicht hineinversetzen, wenn
man bedenkt, daß unzählige Kirchen und Pfründen in bulgarischen Ortschaften
der griechischen Kirche gehörten. Die Bulgaren erhielten nun zwar die Er¬
laubnis, sich eigne Kirchen zu bauen und eigne Geistliche zu unterhalten,
unterdessen aber saß der griechische Geistliche ohne Gemeinde oder mit wenigen
Gläubigen auf der Pfründe. Mochte diese auch armselig sein, dem bulgarischen
Geistlichen, der sich von den kümmerlichen Spenden seiner Getreuen ernähren
mußte, erschien sie als die Quelle ungerecht erworbnen Mammons. Die Ver¬
hältnisse wurden nun ähnlich wie früher die der protestantischen Kirche im
katholischen Irland. "Hassen, wie nur die Kirche haßt", dieses Wort sollte
sich bald in den Gefühlen zwischen Griechen und Bulgare" bewahrheiten.
Dieser Gegensatz ist eine weitere Veranlassung des Wirrwarrs. Die Serben
sind auf der griechischen Seite geblieben, ebenso die christlichen Albanesen.

Wären die Nationalitäten regional leidlich abgegrenzt, so ließe sich eine
Neuordnung der politischen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel leichter denken.
Statt dessen sehen wir recht in der Mitte des Landes die Gemengelage herrschen.
Bulgarische Täter wechseln mit serbischen, mit albanesischen ab. Oft ist von
ganz nahe gelegnen Ortschaften die eine in der Hand einer bulgarischen Be¬
völkerung, während man in der andern serbisch spricht. Und ähnlich berühren
sich Serben und Albanesen. Im Süden Mazedoniens und Albaniens liegen
griechische Landbezirke dazwischen; griechische Stadtbevölkernngen, mehr oder
weniger geschlossen und gar dominierend, kommen überall vor. Die Griechen
haben wohl kaum die Hoffnung, noch wesentliche Teile der Balkanhalbinsel zu
gewinnen. Früher haben sie von Konstantinopel geträumt -- das dürfte vorbei
sein. Konstantinopel ist in ethnographischer Beziehung ein Problem, zugleich
in religiöser, vollends in geographischer und strategischer Beziehung. Bulgarien
richtet wohl sein Augenmerk darauf, aber sicher wird Nußland die meerengen¬
beherrschende Stadt niemals in andre Hände übergehn lassen. Ob Österreich-
Ungarn, ob England ruhig zusehen werden, wenn sich die Sehnsucht des
russischen Volkes nach Aufpflanzung des griechischen Kreuzes auf der Hagia
Sophia erfüllen wird, bleibe dahingestellt. Die Türken werden Stambul wohl
nur nach einem Verzweiflungskampf aufgeben. Wer auch Konstantinopel be¬
herrscht, er wird mit einer leidenschaftlichen Opposition der Unterworfnen zu
tun haben. Früher fiel das Gewicht der Bulgaren und Armenier ohne weiteres
in die Schale Rußlands. Das ist nicht mehr. Die Armenier im eigentlichen
Armenien haben uuter der russischen Herrschaft nicht das gefunden, was sie
erwartet hatten. Die Bulgaren vollends streben nach Selbständigkeit.

Die Türken sind zurzeit das Herrenvolk. Aber sie sind an Zahl, an
Macht, an Kulturwert nicht bedeutend genug, daß sie sich die andern Nationa¬
litüten und Religionsgemeinschaften genügend unterwerfen könnten. Es ist


Historisches und Ethnographisches zum Balkankonfllkt

durch einen Fernen die bulgarische Kirche unter einem eignen Exarchen be¬
stätigte, der natürlich zunächst auf Rußland sah. Der ganze Kampf um die
Einzelheiten kam noch hinterher. Man kann sich leicht hineinversetzen, wenn
man bedenkt, daß unzählige Kirchen und Pfründen in bulgarischen Ortschaften
der griechischen Kirche gehörten. Die Bulgaren erhielten nun zwar die Er¬
laubnis, sich eigne Kirchen zu bauen und eigne Geistliche zu unterhalten,
unterdessen aber saß der griechische Geistliche ohne Gemeinde oder mit wenigen
Gläubigen auf der Pfründe. Mochte diese auch armselig sein, dem bulgarischen
Geistlichen, der sich von den kümmerlichen Spenden seiner Getreuen ernähren
mußte, erschien sie als die Quelle ungerecht erworbnen Mammons. Die Ver¬
hältnisse wurden nun ähnlich wie früher die der protestantischen Kirche im
katholischen Irland. „Hassen, wie nur die Kirche haßt", dieses Wort sollte
sich bald in den Gefühlen zwischen Griechen und Bulgare» bewahrheiten.
Dieser Gegensatz ist eine weitere Veranlassung des Wirrwarrs. Die Serben
sind auf der griechischen Seite geblieben, ebenso die christlichen Albanesen.

Wären die Nationalitäten regional leidlich abgegrenzt, so ließe sich eine
Neuordnung der politischen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel leichter denken.
Statt dessen sehen wir recht in der Mitte des Landes die Gemengelage herrschen.
Bulgarische Täter wechseln mit serbischen, mit albanesischen ab. Oft ist von
ganz nahe gelegnen Ortschaften die eine in der Hand einer bulgarischen Be¬
völkerung, während man in der andern serbisch spricht. Und ähnlich berühren
sich Serben und Albanesen. Im Süden Mazedoniens und Albaniens liegen
griechische Landbezirke dazwischen; griechische Stadtbevölkernngen, mehr oder
weniger geschlossen und gar dominierend, kommen überall vor. Die Griechen
haben wohl kaum die Hoffnung, noch wesentliche Teile der Balkanhalbinsel zu
gewinnen. Früher haben sie von Konstantinopel geträumt — das dürfte vorbei
sein. Konstantinopel ist in ethnographischer Beziehung ein Problem, zugleich
in religiöser, vollends in geographischer und strategischer Beziehung. Bulgarien
richtet wohl sein Augenmerk darauf, aber sicher wird Nußland die meerengen¬
beherrschende Stadt niemals in andre Hände übergehn lassen. Ob Österreich-
Ungarn, ob England ruhig zusehen werden, wenn sich die Sehnsucht des
russischen Volkes nach Aufpflanzung des griechischen Kreuzes auf der Hagia
Sophia erfüllen wird, bleibe dahingestellt. Die Türken werden Stambul wohl
nur nach einem Verzweiflungskampf aufgeben. Wer auch Konstantinopel be¬
herrscht, er wird mit einer leidenschaftlichen Opposition der Unterworfnen zu
tun haben. Früher fiel das Gewicht der Bulgaren und Armenier ohne weiteres
in die Schale Rußlands. Das ist nicht mehr. Die Armenier im eigentlichen
Armenien haben uuter der russischen Herrschaft nicht das gefunden, was sie
erwartet hatten. Die Bulgaren vollends streben nach Selbständigkeit.

Die Türken sind zurzeit das Herrenvolk. Aber sie sind an Zahl, an
Macht, an Kulturwert nicht bedeutend genug, daß sie sich die andern Nationa¬
litüten und Religionsgemeinschaften genügend unterwerfen könnten. Es ist


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[0171] Historisches und Ethnographisches zum Balkankonfllkt durch einen Fernen die bulgarische Kirche unter einem eignen Exarchen be¬ stätigte, der natürlich zunächst auf Rußland sah. Der ganze Kampf um die Einzelheiten kam noch hinterher. Man kann sich leicht hineinversetzen, wenn man bedenkt, daß unzählige Kirchen und Pfründen in bulgarischen Ortschaften der griechischen Kirche gehörten. Die Bulgaren erhielten nun zwar die Er¬ laubnis, sich eigne Kirchen zu bauen und eigne Geistliche zu unterhalten, unterdessen aber saß der griechische Geistliche ohne Gemeinde oder mit wenigen Gläubigen auf der Pfründe. Mochte diese auch armselig sein, dem bulgarischen Geistlichen, der sich von den kümmerlichen Spenden seiner Getreuen ernähren mußte, erschien sie als die Quelle ungerecht erworbnen Mammons. Die Ver¬ hältnisse wurden nun ähnlich wie früher die der protestantischen Kirche im katholischen Irland. „Hassen, wie nur die Kirche haßt", dieses Wort sollte sich bald in den Gefühlen zwischen Griechen und Bulgare» bewahrheiten. Dieser Gegensatz ist eine weitere Veranlassung des Wirrwarrs. Die Serben sind auf der griechischen Seite geblieben, ebenso die christlichen Albanesen. Wären die Nationalitäten regional leidlich abgegrenzt, so ließe sich eine Neuordnung der politischen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel leichter denken. Statt dessen sehen wir recht in der Mitte des Landes die Gemengelage herrschen. Bulgarische Täter wechseln mit serbischen, mit albanesischen ab. Oft ist von ganz nahe gelegnen Ortschaften die eine in der Hand einer bulgarischen Be¬ völkerung, während man in der andern serbisch spricht. Und ähnlich berühren sich Serben und Albanesen. Im Süden Mazedoniens und Albaniens liegen griechische Landbezirke dazwischen; griechische Stadtbevölkernngen, mehr oder weniger geschlossen und gar dominierend, kommen überall vor. Die Griechen haben wohl kaum die Hoffnung, noch wesentliche Teile der Balkanhalbinsel zu gewinnen. Früher haben sie von Konstantinopel geträumt — das dürfte vorbei sein. Konstantinopel ist in ethnographischer Beziehung ein Problem, zugleich in religiöser, vollends in geographischer und strategischer Beziehung. Bulgarien richtet wohl sein Augenmerk darauf, aber sicher wird Nußland die meerengen¬ beherrschende Stadt niemals in andre Hände übergehn lassen. Ob Österreich- Ungarn, ob England ruhig zusehen werden, wenn sich die Sehnsucht des russischen Volkes nach Aufpflanzung des griechischen Kreuzes auf der Hagia Sophia erfüllen wird, bleibe dahingestellt. Die Türken werden Stambul wohl nur nach einem Verzweiflungskampf aufgeben. Wer auch Konstantinopel be¬ herrscht, er wird mit einer leidenschaftlichen Opposition der Unterworfnen zu tun haben. Früher fiel das Gewicht der Bulgaren und Armenier ohne weiteres in die Schale Rußlands. Das ist nicht mehr. Die Armenier im eigentlichen Armenien haben uuter der russischen Herrschaft nicht das gefunden, was sie erwartet hatten. Die Bulgaren vollends streben nach Selbständigkeit. Die Türken sind zurzeit das Herrenvolk. Aber sie sind an Zahl, an Macht, an Kulturwert nicht bedeutend genug, daß sie sich die andern Nationa¬ litüten und Religionsgemeinschaften genügend unterwerfen könnten. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/171>, abgerufen am 22.07.2024.