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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Eine Hochzeit in Jerusalem

darf die Schritte nicht größer machen, als ihre Füße sind, wenn sie auch nicht
mit Schrittkettchen gebunden waren, wie bei den eiteln Weibern Jerusalems
zur Zeit des Propheten Jesaia (Kapitel 3, 16 ff,). Der Weg von etwa zehn
Minuten wurde so in dreiviertel Stunden zurückgelegt.

Die Trauung fand in einem mäßig großen Zimmer statt, worin sich die
Schar der Gäste, über hundert waren es, zusammendrängte. Man hat kaum
die Möglichkeit zu atmen. Auf dem Tisch in der Mitte stehn die heiligen
Bücher und die Geräte, davor die Knaben mit den Limonenstüben, an der andern
Seite die Priester. Die Zeremonie ist endlos. Von einem langen blauen Band,
das der Bräutigam danach als Schärpe umhängt, nimmt der Priester die Ringe,
hält sie wechselnd Braut und Bräutigam an die Stirn und steckt sie ihnen dann
an die Finger. Dann stellt er das Paar Angesicht gegen Angesicht, neigt
ihre Häupter, daß sie sich mit der Stirn berühren, und legt auf sie das
Evangelienbuch, das beide darauf küssen. Der Liturg verliest die Geschichte
vou der Hochzeit zu Kana. Ein Knabe und ein Mädchen nahen sich mit Kronen,
Braut und Bräutigam heben die Kinder auf den Arm, die ihnen die goldnen
Kronen aufsetzen und sie mit der einen Hand berühren müssen; während der
langen Zeremonie werden sie unausgesetzt auf den Armen des Brautpaares
getragen. Aus einem Glas empfangen dann beide mit einem Löffel geweihten
Wein und Brot. Dann kommt der Schluß der priesterlichen Handlung.

Der Priester legt die Rechte der Braut in die Rechte des ihr gegenüber¬
stehenden Bräutigams, zieht den linken freien Arm des Bräutigams zwischen
dem an den Händen verbundnen Paar hindurch und führt daran wie am
Halfterband die Neuvermählten dreimal um den Tisch. Nun kommt Leben in
die Zuschauer. Stürmischer Jubel umbraust das junge Paar. Die Gäste holen
aus ihren Taschen kleine Münzen, Konfetti und Gerstenkörner und werfen sie
über das Paar hin unter dem Zuruf: Seid fruchtbar und mehret euch! Im
Winkel des Zimmers stand ein großes Himmelbett. Aus dem erhebt sich plötzlich
zu unserm Erstaunen eine Gestalt halb empor, um den letzten Ausbruch der
Freude mit anzuschauen. Es ist der Schwiegervater, der Hausherr, hochbetagt,
der sich auf seine Weise die Strapazen des Festes verkürzt hat.

Das Fest neigt sich nun seinem Ende zu, aber nicht ohne daß die Gäste
noch einmal bewirtet werden. Alle männlichen Teilnehmer begeben sich mit
dem unsagbar stumpfsinnig dreinschauenden Bräutigam in ein Zimmer des
Hauses, die Frauen mit der Braut in ein entgegengesetzt gelegnes. Jeder bringt
dem Bräutigam die Glückwünsche dar. Zum Glück ist die Bewirtung eiliger
als zum Anfang im Hause der Braut: Arrak, Kaffee, Zigaretten, Marmelade,
Zuckerwerk und Apfelsinen -- die Gänge des Menüs -- folgen in rascher Weise
aufeinander. Zuletzt wird noch einmal Kaffee gereicht, bei jedem offiziellen Besuch
im Orient zugleich das Zeichen zum Aufbruch. Die Braut ist unterdessen um¬
gekleidet worden und darf nun auch die Glückwünsche der männlichen Gäste
entgegennehmen.


Eine Hochzeit in Jerusalem

darf die Schritte nicht größer machen, als ihre Füße sind, wenn sie auch nicht
mit Schrittkettchen gebunden waren, wie bei den eiteln Weibern Jerusalems
zur Zeit des Propheten Jesaia (Kapitel 3, 16 ff,). Der Weg von etwa zehn
Minuten wurde so in dreiviertel Stunden zurückgelegt.

Die Trauung fand in einem mäßig großen Zimmer statt, worin sich die
Schar der Gäste, über hundert waren es, zusammendrängte. Man hat kaum
die Möglichkeit zu atmen. Auf dem Tisch in der Mitte stehn die heiligen
Bücher und die Geräte, davor die Knaben mit den Limonenstüben, an der andern
Seite die Priester. Die Zeremonie ist endlos. Von einem langen blauen Band,
das der Bräutigam danach als Schärpe umhängt, nimmt der Priester die Ringe,
hält sie wechselnd Braut und Bräutigam an die Stirn und steckt sie ihnen dann
an die Finger. Dann stellt er das Paar Angesicht gegen Angesicht, neigt
ihre Häupter, daß sie sich mit der Stirn berühren, und legt auf sie das
Evangelienbuch, das beide darauf küssen. Der Liturg verliest die Geschichte
vou der Hochzeit zu Kana. Ein Knabe und ein Mädchen nahen sich mit Kronen,
Braut und Bräutigam heben die Kinder auf den Arm, die ihnen die goldnen
Kronen aufsetzen und sie mit der einen Hand berühren müssen; während der
langen Zeremonie werden sie unausgesetzt auf den Armen des Brautpaares
getragen. Aus einem Glas empfangen dann beide mit einem Löffel geweihten
Wein und Brot. Dann kommt der Schluß der priesterlichen Handlung.

Der Priester legt die Rechte der Braut in die Rechte des ihr gegenüber¬
stehenden Bräutigams, zieht den linken freien Arm des Bräutigams zwischen
dem an den Händen verbundnen Paar hindurch und führt daran wie am
Halfterband die Neuvermählten dreimal um den Tisch. Nun kommt Leben in
die Zuschauer. Stürmischer Jubel umbraust das junge Paar. Die Gäste holen
aus ihren Taschen kleine Münzen, Konfetti und Gerstenkörner und werfen sie
über das Paar hin unter dem Zuruf: Seid fruchtbar und mehret euch! Im
Winkel des Zimmers stand ein großes Himmelbett. Aus dem erhebt sich plötzlich
zu unserm Erstaunen eine Gestalt halb empor, um den letzten Ausbruch der
Freude mit anzuschauen. Es ist der Schwiegervater, der Hausherr, hochbetagt,
der sich auf seine Weise die Strapazen des Festes verkürzt hat.

Das Fest neigt sich nun seinem Ende zu, aber nicht ohne daß die Gäste
noch einmal bewirtet werden. Alle männlichen Teilnehmer begeben sich mit
dem unsagbar stumpfsinnig dreinschauenden Bräutigam in ein Zimmer des
Hauses, die Frauen mit der Braut in ein entgegengesetzt gelegnes. Jeder bringt
dem Bräutigam die Glückwünsche dar. Zum Glück ist die Bewirtung eiliger
als zum Anfang im Hause der Braut: Arrak, Kaffee, Zigaretten, Marmelade,
Zuckerwerk und Apfelsinen — die Gänge des Menüs — folgen in rascher Weise
aufeinander. Zuletzt wird noch einmal Kaffee gereicht, bei jedem offiziellen Besuch
im Orient zugleich das Zeichen zum Aufbruch. Die Braut ist unterdessen um¬
gekleidet worden und darf nun auch die Glückwünsche der männlichen Gäste
entgegennehmen.


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[0148] Eine Hochzeit in Jerusalem darf die Schritte nicht größer machen, als ihre Füße sind, wenn sie auch nicht mit Schrittkettchen gebunden waren, wie bei den eiteln Weibern Jerusalems zur Zeit des Propheten Jesaia (Kapitel 3, 16 ff,). Der Weg von etwa zehn Minuten wurde so in dreiviertel Stunden zurückgelegt. Die Trauung fand in einem mäßig großen Zimmer statt, worin sich die Schar der Gäste, über hundert waren es, zusammendrängte. Man hat kaum die Möglichkeit zu atmen. Auf dem Tisch in der Mitte stehn die heiligen Bücher und die Geräte, davor die Knaben mit den Limonenstüben, an der andern Seite die Priester. Die Zeremonie ist endlos. Von einem langen blauen Band, das der Bräutigam danach als Schärpe umhängt, nimmt der Priester die Ringe, hält sie wechselnd Braut und Bräutigam an die Stirn und steckt sie ihnen dann an die Finger. Dann stellt er das Paar Angesicht gegen Angesicht, neigt ihre Häupter, daß sie sich mit der Stirn berühren, und legt auf sie das Evangelienbuch, das beide darauf küssen. Der Liturg verliest die Geschichte vou der Hochzeit zu Kana. Ein Knabe und ein Mädchen nahen sich mit Kronen, Braut und Bräutigam heben die Kinder auf den Arm, die ihnen die goldnen Kronen aufsetzen und sie mit der einen Hand berühren müssen; während der langen Zeremonie werden sie unausgesetzt auf den Armen des Brautpaares getragen. Aus einem Glas empfangen dann beide mit einem Löffel geweihten Wein und Brot. Dann kommt der Schluß der priesterlichen Handlung. Der Priester legt die Rechte der Braut in die Rechte des ihr gegenüber¬ stehenden Bräutigams, zieht den linken freien Arm des Bräutigams zwischen dem an den Händen verbundnen Paar hindurch und führt daran wie am Halfterband die Neuvermählten dreimal um den Tisch. Nun kommt Leben in die Zuschauer. Stürmischer Jubel umbraust das junge Paar. Die Gäste holen aus ihren Taschen kleine Münzen, Konfetti und Gerstenkörner und werfen sie über das Paar hin unter dem Zuruf: Seid fruchtbar und mehret euch! Im Winkel des Zimmers stand ein großes Himmelbett. Aus dem erhebt sich plötzlich zu unserm Erstaunen eine Gestalt halb empor, um den letzten Ausbruch der Freude mit anzuschauen. Es ist der Schwiegervater, der Hausherr, hochbetagt, der sich auf seine Weise die Strapazen des Festes verkürzt hat. Das Fest neigt sich nun seinem Ende zu, aber nicht ohne daß die Gäste noch einmal bewirtet werden. Alle männlichen Teilnehmer begeben sich mit dem unsagbar stumpfsinnig dreinschauenden Bräutigam in ein Zimmer des Hauses, die Frauen mit der Braut in ein entgegengesetzt gelegnes. Jeder bringt dem Bräutigam die Glückwünsche dar. Zum Glück ist die Bewirtung eiliger als zum Anfang im Hause der Braut: Arrak, Kaffee, Zigaretten, Marmelade, Zuckerwerk und Apfelsinen — die Gänge des Menüs — folgen in rascher Weise aufeinander. Zuletzt wird noch einmal Kaffee gereicht, bei jedem offiziellen Besuch im Orient zugleich das Zeichen zum Aufbruch. Die Braut ist unterdessen um¬ gekleidet worden und darf nun auch die Glückwünsche der männlichen Gäste entgegennehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/148>, abgerufen am 24.08.2024.