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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Flottenfragen und Weltpolitik

ihrer Westküste geltend zu machen gedenkt. Für die Stärkung des Ansehns
der Weißen in Ostasien ist diese Demonstration unstreitig günstig gewesen.

In England ist aber das Auftreten der nordamerikanischen Geschwader
mit großem Unbehagen empfunden worden, deun der neue Zweimächtestandard
fordert größere Opfer als der frühere. Frankreich und Rußland hatte man
gewissermaßen vor der Tür mit sichrer Rückendeckung, aber der Große Ozean
ist so verwünscht entlegen vom britischen Kräftezentrum. Will England seine
machtgebietende Stellung zur See behaupten, so bleibt ihm nichts übrig, als
große Aufwendungen für seine Flotte zu machen. Es hat seit Jahrhunderten,
begünstigt dnrch seine insulare Lage, seine Verteidigung ausschließlich auf die
Flotte gegründet, die zugleich die Grundlage seiner Seeherrschaft geworden ist,
für die aber die Heimat als Hinterland bedenklich klein zu werden beginnt.
Es kann nun auch fernerhin die modernsten und kriegsfähigsten Fahrzeuge
bauen, aber einer ausgedehnten Vergrößerung seiner Flotte stehn vorläufig
unüberwindliche Hindernisse entgegen. Durch das Werbesystem können dafür
keine genügenden Mannschaften beschafft werden. Die heutige Bemannung der
einzelnen englischen Kriegsschiffe steht ohnehin beispielsweise gegenüber gleich¬
wertigen deutschen um reichlich ein Viertel zurück, die neusten größern Schiffe
fordern aber eine noch stärkere Besatzung als die bisherigen. Wie man dann
mit der jetzigen Mannschaftsstärke auch im Ernstfalle auskommen will, ist eine
schwierige Frage. Der gesamte Mannschaftsstand ist für das laufende Jahr
auf 128000, die Zahl der Reserve auf 57366 festgesetzt, die Rekrutierung
durch Anwerbung hat den Anforderungen entsprochen. Es mich aber dabei
dein Nichtengläuder auffallen, daß England für seine Hochseeflotte, die einen
Verdräng von 1587850 Tonnen hat, nnr 128000 Mannschaften aktiv hat,
während'der Mannschaftsstand Deutschlands für 474835 Tonnen über 45000,
der Frankreichs für 514497 Tonnen 41300 und der Japans für 343900
Tonnen 36367 beträgt. Im Ernstfalle würde sich das Verhältnis für Eng¬
land noch ungünstiger stellen, da in den zum Vergleiche herangezognen Staaten
vermöge der allgemeinen Wehrpflicht die Reserven, wenn man auch bloß bis
zum dreißigsten Lebensjahr rechnet, die englische Reservemannschaft an Zahl
übertreffen. Außerdem können namentlich Deutschland und Japan bei jeder
künftigen Erweiterung oder Vermehrung der Flotte die nötige Mannschaft
durch Rekrutierung beschaffen, während England auf die immer schwieriger
werdende Anwerbung angewiesen ist.

Wenn vor wenigen Jahrzehnten noch die Jingoes mit Stolz sangen:
b.g.v' Ave tuo Sulp, of Imo' g'"t, tbs rasn, of Kap' Ave tuo more^ t,vo! so
dürfte das für die nächste Zukunft nicht mehr ganz richtig sein. Schiffe und
Geld werden Wohl immer zu beschaffen sein, aber die Mannschaften werden
und müssen fehlen, solange sich England nicht zu entschließe"! vermag, das
in andern Staaten übliche Verfahren der Rekrutierung einzuführen. Der
Mißstand ist übrigens uicht von neuster Zeit, schon seit mehr als zwanzig


Flottenfragen und Weltpolitik

ihrer Westküste geltend zu machen gedenkt. Für die Stärkung des Ansehns
der Weißen in Ostasien ist diese Demonstration unstreitig günstig gewesen.

In England ist aber das Auftreten der nordamerikanischen Geschwader
mit großem Unbehagen empfunden worden, deun der neue Zweimächtestandard
fordert größere Opfer als der frühere. Frankreich und Rußland hatte man
gewissermaßen vor der Tür mit sichrer Rückendeckung, aber der Große Ozean
ist so verwünscht entlegen vom britischen Kräftezentrum. Will England seine
machtgebietende Stellung zur See behaupten, so bleibt ihm nichts übrig, als
große Aufwendungen für seine Flotte zu machen. Es hat seit Jahrhunderten,
begünstigt dnrch seine insulare Lage, seine Verteidigung ausschließlich auf die
Flotte gegründet, die zugleich die Grundlage seiner Seeherrschaft geworden ist,
für die aber die Heimat als Hinterland bedenklich klein zu werden beginnt.
Es kann nun auch fernerhin die modernsten und kriegsfähigsten Fahrzeuge
bauen, aber einer ausgedehnten Vergrößerung seiner Flotte stehn vorläufig
unüberwindliche Hindernisse entgegen. Durch das Werbesystem können dafür
keine genügenden Mannschaften beschafft werden. Die heutige Bemannung der
einzelnen englischen Kriegsschiffe steht ohnehin beispielsweise gegenüber gleich¬
wertigen deutschen um reichlich ein Viertel zurück, die neusten größern Schiffe
fordern aber eine noch stärkere Besatzung als die bisherigen. Wie man dann
mit der jetzigen Mannschaftsstärke auch im Ernstfalle auskommen will, ist eine
schwierige Frage. Der gesamte Mannschaftsstand ist für das laufende Jahr
auf 128000, die Zahl der Reserve auf 57366 festgesetzt, die Rekrutierung
durch Anwerbung hat den Anforderungen entsprochen. Es mich aber dabei
dein Nichtengläuder auffallen, daß England für seine Hochseeflotte, die einen
Verdräng von 1587850 Tonnen hat, nnr 128000 Mannschaften aktiv hat,
während'der Mannschaftsstand Deutschlands für 474835 Tonnen über 45000,
der Frankreichs für 514497 Tonnen 41300 und der Japans für 343900
Tonnen 36367 beträgt. Im Ernstfalle würde sich das Verhältnis für Eng¬
land noch ungünstiger stellen, da in den zum Vergleiche herangezognen Staaten
vermöge der allgemeinen Wehrpflicht die Reserven, wenn man auch bloß bis
zum dreißigsten Lebensjahr rechnet, die englische Reservemannschaft an Zahl
übertreffen. Außerdem können namentlich Deutschland und Japan bei jeder
künftigen Erweiterung oder Vermehrung der Flotte die nötige Mannschaft
durch Rekrutierung beschaffen, während England auf die immer schwieriger
werdende Anwerbung angewiesen ist.

Wenn vor wenigen Jahrzehnten noch die Jingoes mit Stolz sangen:
b.g.v' Ave tuo Sulp, of Imo' g'»t, tbs rasn, of Kap' Ave tuo more^ t,vo! so
dürfte das für die nächste Zukunft nicht mehr ganz richtig sein. Schiffe und
Geld werden Wohl immer zu beschaffen sein, aber die Mannschaften werden
und müssen fehlen, solange sich England nicht zu entschließe«! vermag, das
in andern Staaten übliche Verfahren der Rekrutierung einzuführen. Der
Mißstand ist übrigens uicht von neuster Zeit, schon seit mehr als zwanzig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/14>, abgerufen am 22.07.2024.