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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Samt - Simon

Jahre alt, seine literarische Tätigkeit. Nur eine kleine, von seinem Aufenthalt
in Genf inspirierte Schrift war vorausgegangen. Von da an wechselten Zeiten
bitterster Not mit erträglichen, in denen er von Verwandten und Freunden
unterstützt wurde. Seine Werke wurden ihrer Formlosigkeit wegen wenig
gelesen. Nur in einer politischen Episode -- von der Politik hat er sonst
wenig gehalten -- gelang es ihm, sich Gehör zu verschaffen. Zwar der erste
Versuch blieb ganz unbeachtet. Es war eine kurz vor Napoleons Sturz an
diesen gerichtete Denkschrift, in der er vorschlägt, es solle ein Preis von
23 Millionen dem Verfasser des besten Werkes über die politische Organisation
Europas versprochen werden; zunächst handle es sich darum, die Engländer
zur Anerkennung der Rechte der andern seefahrenden Nationen zu zwingen,
und die erste Bedingung dafür sei, daß Napoleon -- auf alle seine Eroberungen,
auf jede Einmischung in die Angelegenheiten andrer Staaten verzichte und
sich auf Frankreich beschränke; nur dadurch könnten die Völker des Festlandes
geeint werden. Das Werk gedachte er natürlich selbst zu schreiben. Es er¬
schien, als der Wiener Kongreß schon versammelt war. Die 23 Millionen hat
es ihm zwar nicht eingebracht, aber es hat wenigstens Aufsehen erregt, weil
ihm der junge Thierry, der später berühmt gewordne Geschichtschreiber, den
er als Sekretär gewonnen hatte, die Form gab. In dieser Schrift: Os 1k
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<?t U. ^. Idisrry, son klövo, schlägt er vor, es sollten sich alle Staaten
Parlamente nach dem Muster des englischen und dann ein gemeinsames
europäisches Parlament geben. Der Frieden und das Wohlergehn der Völker
könnten nicht auf papierne Verträge, sondern nur auf Interessengemeinschaft
gegründet werden. Diese sei vorhanden und müsse eben in einer Zentral¬
behörde ihren Ausdruck und ihre Vertretung finden. Dieses Parlament werde
n. a. durch ein Kanalnetz den Verkehr erleichtern, werde die rückständigen
Länder kultivieren, das Unterrichtswesen überwachen, vernünftigen Moral¬
grundsätzen Geltung verschaffen, die Gewissensfreiheit und die Freiheit der
Religionsübung verbürgen: it 7 aura mers los psuxlss suropsens os ani kalt
Is lien se ig, dg.86 <is deines iWovig-lion xolitiWö: vonkvrmitv ä'institutions,
union et'intvröts, raxport av mkrximöK, on>mauna,ut<z als nioM se et'instiuvtion
pndliciue. Der Vorschlag war, wie Muckle richtig bemerkt, ein Rückfall in die
von Saint-Simon längst überwundne und sogar heftig bekämpfte rationalistische
Manier, den besten Staat künstlich konstruieren zu wollen. Doch verdient
-- gerade in diesen unsern Tagen -- der Einfall hervorgehoben zu werden,
zunächst müßten sich die in dem erlangten Kulturgrade einander nahestehenden
Staaten England und Frankreich vereinigen und dann für ihren Bund die
Deutschen zu gewinnen suchen, von denen gerühmt wird: "Die reinste Moral,
seltene Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit zeichneten dieses' Volk aus, und
selbst während der schrecklichsten Kriege, in Zeiten der unerträglichsten Unter¬
drückung, habe es diese seine Eigenschaften bewahrt. Noch habe hier nicht, wie in


Samt - Simon

Jahre alt, seine literarische Tätigkeit. Nur eine kleine, von seinem Aufenthalt
in Genf inspirierte Schrift war vorausgegangen. Von da an wechselten Zeiten
bitterster Not mit erträglichen, in denen er von Verwandten und Freunden
unterstützt wurde. Seine Werke wurden ihrer Formlosigkeit wegen wenig
gelesen. Nur in einer politischen Episode — von der Politik hat er sonst
wenig gehalten — gelang es ihm, sich Gehör zu verschaffen. Zwar der erste
Versuch blieb ganz unbeachtet. Es war eine kurz vor Napoleons Sturz an
diesen gerichtete Denkschrift, in der er vorschlägt, es solle ein Preis von
23 Millionen dem Verfasser des besten Werkes über die politische Organisation
Europas versprochen werden; zunächst handle es sich darum, die Engländer
zur Anerkennung der Rechte der andern seefahrenden Nationen zu zwingen,
und die erste Bedingung dafür sei, daß Napoleon — auf alle seine Eroberungen,
auf jede Einmischung in die Angelegenheiten andrer Staaten verzichte und
sich auf Frankreich beschränke; nur dadurch könnten die Völker des Festlandes
geeint werden. Das Werk gedachte er natürlich selbst zu schreiben. Es er¬
schien, als der Wiener Kongreß schon versammelt war. Die 23 Millionen hat
es ihm zwar nicht eingebracht, aber es hat wenigstens Aufsehen erregt, weil
ihm der junge Thierry, der später berühmt gewordne Geschichtschreiber, den
er als Sekretär gewonnen hatte, die Form gab. In dieser Schrift: Os 1k
Rsorßimisatioii als ig. sovivtö europ^onus, par N. is ovato als 8Me-8une>n
<?t U. ^. Idisrry, son klövo, schlägt er vor, es sollten sich alle Staaten
Parlamente nach dem Muster des englischen und dann ein gemeinsames
europäisches Parlament geben. Der Frieden und das Wohlergehn der Völker
könnten nicht auf papierne Verträge, sondern nur auf Interessengemeinschaft
gegründet werden. Diese sei vorhanden und müsse eben in einer Zentral¬
behörde ihren Ausdruck und ihre Vertretung finden. Dieses Parlament werde
n. a. durch ein Kanalnetz den Verkehr erleichtern, werde die rückständigen
Länder kultivieren, das Unterrichtswesen überwachen, vernünftigen Moral¬
grundsätzen Geltung verschaffen, die Gewissensfreiheit und die Freiheit der
Religionsübung verbürgen: it 7 aura mers los psuxlss suropsens os ani kalt
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pndliciue. Der Vorschlag war, wie Muckle richtig bemerkt, ein Rückfall in die
von Saint-Simon längst überwundne und sogar heftig bekämpfte rationalistische
Manier, den besten Staat künstlich konstruieren zu wollen. Doch verdient
— gerade in diesen unsern Tagen — der Einfall hervorgehoben zu werden,
zunächst müßten sich die in dem erlangten Kulturgrade einander nahestehenden
Staaten England und Frankreich vereinigen und dann für ihren Bund die
Deutschen zu gewinnen suchen, von denen gerühmt wird: „Die reinste Moral,
seltene Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit zeichneten dieses' Volk aus, und
selbst während der schrecklichsten Kriege, in Zeiten der unerträglichsten Unter¬
drückung, habe es diese seine Eigenschaften bewahrt. Noch habe hier nicht, wie in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/131>, abgerufen am 25.08.2024.