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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien und die Türkei

größten Teile nur Feldschanzen; in der letzten Zeit scheint die Permanierung
einzelner Forts in Angriff genommen worden zu sein. Günstige Verhältnisse
für die Anlage des Gürtels bestehn nur im südlichen Rayon der Stadt, wo
auf den Hängen des Vitoschplateaus fünf bis sechs Werke errichtet wurden; im
Norden herrscht ebenes, durch zahlreiche Wasseradern und Weichlandstrecken
durchzognes Gelände vor; die nächste Hügelreihe ist etwa 15 Kilometer von
der Stadt entfernt. Diese Terrainbeschaffenheit nötigte zur Beschränkung der
Befestigungen auf die Südseite der Stadt; im Norden und Osten derselben
schützt einerseits die Linie der an der Grenze angelegten Forts, andrerseits
der schwer gangbare Abschnitt am Jskerdurchbruch. Nach neuern Nachrichten
scheint das Projekt zu bestehn, auf und südlich des Gintschipasses mehrere
Werke zu errichten.

Die bedeutend größere Schlagfertigkeit und Tüchtigkeit des bulgarischen
Heeres gegenüber dem serbischen läßt die Lücken in seinem Befestigungssystcm
an der Westgrenze ungefährlich erscheinen. Für den Fall einer ungünstigen
Entscheidung bieten das verschanzte Lager von Slivnica und jenes von Sofia
einer zurückgehenden Armee hinreichend starke Stützpunkte. Die aus dem obern
Moravatale über die serbische Grenze auf Sofia führenden und die befestigten
Stellungen am Dragomanpaß umgehenden Wege werden durch das befestigte
Lager von Vrabca V1. aufgefangen. Die Dislozierung je einer Infanterie¬
division nördlich und südlich Sofia in Vrabca und Dubnica schützt den bei
Sofia stehenden Heeresteil vor Umgehungen und ermöglicht andrerseits ein
umfassendes Vorgehn über die serbische Grenze.

Die Befestigungen an der türkischen Grenze. An der türkischen
Grenze ist nur Semeru als Maricabrückenkopf mit einer vor diesem liegenden
verschanzten Stellung ausgebaut. Die Marina ist etwa 270 Meter breit und
im Raume Philippopel-Adrianopel stellenweise furtbar; sie durchfließt von
Semeru bis nahe an Adrianopel ein tiefes Engtal, das von den begleitenden
Höhen um etwa 250 bis 300 Meter überhöht wird.

Durch dieses Durchbruchtal führt eine Bahn und eine Straße, die bei
Semeru gesperrt werden. Die Stellung bei Semeru kann jedoch auf einer
großen Zahl von Wegen umgangen werden. Die Befestigungen haben die
Aufgabe, der im Maricatale aufmarschierenden bulgarischen Armee Schutz vor
strategischen Überfällen seitens der in und um Adrianopel stehenden türkischen
Truppen zu bieten. Die Befestigungen sind nur in Erde ausgeführt. Wenn
nun auch die 1200 bis 1700 Meter hohen südlichen Grenzgebirge ein Vor¬
gehn starker türkischer Streitkrüfte in das Maricabecken sehr erschweren, in
gewissen Räumen auch ausschließen, so muß doch das Fehlen von Befestigungen
im Raume um Köstendil-Samokow und Haskiöj als Nachteil empfunden werden.
Bestrebt, den Krieg in türkisches Gebiet zu tragen, wird sich die bulgarische
Heeresleitung bei möglicherweise eintretenden Rückschlägen, die angesichts der
großen numerischen Überlegenheit des Gegners und seiner umfassend angelegten


Bulgarien und die Türkei

größten Teile nur Feldschanzen; in der letzten Zeit scheint die Permanierung
einzelner Forts in Angriff genommen worden zu sein. Günstige Verhältnisse
für die Anlage des Gürtels bestehn nur im südlichen Rayon der Stadt, wo
auf den Hängen des Vitoschplateaus fünf bis sechs Werke errichtet wurden; im
Norden herrscht ebenes, durch zahlreiche Wasseradern und Weichlandstrecken
durchzognes Gelände vor; die nächste Hügelreihe ist etwa 15 Kilometer von
der Stadt entfernt. Diese Terrainbeschaffenheit nötigte zur Beschränkung der
Befestigungen auf die Südseite der Stadt; im Norden und Osten derselben
schützt einerseits die Linie der an der Grenze angelegten Forts, andrerseits
der schwer gangbare Abschnitt am Jskerdurchbruch. Nach neuern Nachrichten
scheint das Projekt zu bestehn, auf und südlich des Gintschipasses mehrere
Werke zu errichten.

Die bedeutend größere Schlagfertigkeit und Tüchtigkeit des bulgarischen
Heeres gegenüber dem serbischen läßt die Lücken in seinem Befestigungssystcm
an der Westgrenze ungefährlich erscheinen. Für den Fall einer ungünstigen
Entscheidung bieten das verschanzte Lager von Slivnica und jenes von Sofia
einer zurückgehenden Armee hinreichend starke Stützpunkte. Die aus dem obern
Moravatale über die serbische Grenze auf Sofia führenden und die befestigten
Stellungen am Dragomanpaß umgehenden Wege werden durch das befestigte
Lager von Vrabca V1. aufgefangen. Die Dislozierung je einer Infanterie¬
division nördlich und südlich Sofia in Vrabca und Dubnica schützt den bei
Sofia stehenden Heeresteil vor Umgehungen und ermöglicht andrerseits ein
umfassendes Vorgehn über die serbische Grenze.

Die Befestigungen an der türkischen Grenze. An der türkischen
Grenze ist nur Semeru als Maricabrückenkopf mit einer vor diesem liegenden
verschanzten Stellung ausgebaut. Die Marina ist etwa 270 Meter breit und
im Raume Philippopel-Adrianopel stellenweise furtbar; sie durchfließt von
Semeru bis nahe an Adrianopel ein tiefes Engtal, das von den begleitenden
Höhen um etwa 250 bis 300 Meter überhöht wird.

Durch dieses Durchbruchtal führt eine Bahn und eine Straße, die bei
Semeru gesperrt werden. Die Stellung bei Semeru kann jedoch auf einer
großen Zahl von Wegen umgangen werden. Die Befestigungen haben die
Aufgabe, der im Maricatale aufmarschierenden bulgarischen Armee Schutz vor
strategischen Überfällen seitens der in und um Adrianopel stehenden türkischen
Truppen zu bieten. Die Befestigungen sind nur in Erde ausgeführt. Wenn
nun auch die 1200 bis 1700 Meter hohen südlichen Grenzgebirge ein Vor¬
gehn starker türkischer Streitkrüfte in das Maricabecken sehr erschweren, in
gewissen Räumen auch ausschließen, so muß doch das Fehlen von Befestigungen
im Raume um Köstendil-Samokow und Haskiöj als Nachteil empfunden werden.
Bestrebt, den Krieg in türkisches Gebiet zu tragen, wird sich die bulgarische
Heeresleitung bei möglicherweise eintretenden Rückschlägen, die angesichts der
großen numerischen Überlegenheit des Gegners und seiner umfassend angelegten


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[0119] Bulgarien und die Türkei größten Teile nur Feldschanzen; in der letzten Zeit scheint die Permanierung einzelner Forts in Angriff genommen worden zu sein. Günstige Verhältnisse für die Anlage des Gürtels bestehn nur im südlichen Rayon der Stadt, wo auf den Hängen des Vitoschplateaus fünf bis sechs Werke errichtet wurden; im Norden herrscht ebenes, durch zahlreiche Wasseradern und Weichlandstrecken durchzognes Gelände vor; die nächste Hügelreihe ist etwa 15 Kilometer von der Stadt entfernt. Diese Terrainbeschaffenheit nötigte zur Beschränkung der Befestigungen auf die Südseite der Stadt; im Norden und Osten derselben schützt einerseits die Linie der an der Grenze angelegten Forts, andrerseits der schwer gangbare Abschnitt am Jskerdurchbruch. Nach neuern Nachrichten scheint das Projekt zu bestehn, auf und südlich des Gintschipasses mehrere Werke zu errichten. Die bedeutend größere Schlagfertigkeit und Tüchtigkeit des bulgarischen Heeres gegenüber dem serbischen läßt die Lücken in seinem Befestigungssystcm an der Westgrenze ungefährlich erscheinen. Für den Fall einer ungünstigen Entscheidung bieten das verschanzte Lager von Slivnica und jenes von Sofia einer zurückgehenden Armee hinreichend starke Stützpunkte. Die aus dem obern Moravatale über die serbische Grenze auf Sofia führenden und die befestigten Stellungen am Dragomanpaß umgehenden Wege werden durch das befestigte Lager von Vrabca V1. aufgefangen. Die Dislozierung je einer Infanterie¬ division nördlich und südlich Sofia in Vrabca und Dubnica schützt den bei Sofia stehenden Heeresteil vor Umgehungen und ermöglicht andrerseits ein umfassendes Vorgehn über die serbische Grenze. Die Befestigungen an der türkischen Grenze. An der türkischen Grenze ist nur Semeru als Maricabrückenkopf mit einer vor diesem liegenden verschanzten Stellung ausgebaut. Die Marina ist etwa 270 Meter breit und im Raume Philippopel-Adrianopel stellenweise furtbar; sie durchfließt von Semeru bis nahe an Adrianopel ein tiefes Engtal, das von den begleitenden Höhen um etwa 250 bis 300 Meter überhöht wird. Durch dieses Durchbruchtal führt eine Bahn und eine Straße, die bei Semeru gesperrt werden. Die Stellung bei Semeru kann jedoch auf einer großen Zahl von Wegen umgangen werden. Die Befestigungen haben die Aufgabe, der im Maricatale aufmarschierenden bulgarischen Armee Schutz vor strategischen Überfällen seitens der in und um Adrianopel stehenden türkischen Truppen zu bieten. Die Befestigungen sind nur in Erde ausgeführt. Wenn nun auch die 1200 bis 1700 Meter hohen südlichen Grenzgebirge ein Vor¬ gehn starker türkischer Streitkrüfte in das Maricabecken sehr erschweren, in gewissen Räumen auch ausschließen, so muß doch das Fehlen von Befestigungen im Raume um Köstendil-Samokow und Haskiöj als Nachteil empfunden werden. Bestrebt, den Krieg in türkisches Gebiet zu tragen, wird sich die bulgarische Heeresleitung bei möglicherweise eintretenden Rückschlägen, die angesichts der großen numerischen Überlegenheit des Gegners und seiner umfassend angelegten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/119>, abgerufen am 22.07.2024.