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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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jeder Gelegenheit dafür empfänglich erhält. Der politische Sinn ist in allen
englischen in Betracht kommenden Kreisen hoch entwickelt und übertrifft in der
Regel den andrer Völker, dennoch ist aber nicht gerade anzunehmen, daß alle
eine klare Einsicht in die Wirklichkeiten der politischen Weltlage haben. Es
herrscht nur das bestimmte Gefühl einer gewissen Gefährdung der britischen
Stellung, und dieses sucht sich einen Gegenstand, gegen den es sich wenden
möchte. Dieser Gegenstand ist gegenwärtig Deutschland mit seiner Absicht, sich
auch eine seinen Seeinteresseu entsprechende Flotte zu schaffen, wogegen ernstlich
gar nichts eingewandt werden kann. Weil dem so ist, läßt auch die Anfeindung
Deutschlands jeweilig nach, tritt aber beim nächsten Anlaß von neuem wieder
hervor. Wollte man auf alle" Seiten, die in solchen Fragen von Einfluß sind,
der Bewegung ernstlich Halt gebieten, so brauchte man nur dem zugrunde
liegenden Irrtum entschieden durch Aufklärung entgegenzuwirken. Vorderhand
haben aber verschiedne Kreise ein Interesse daran, daß das Feuer im Glimmen
erhalten wird, wenn man auch Sorge trägt, daß es nicht in hellen Flammen
aufschlägt. Der Regierung ist es gar nicht unwillkommen, daß infolge davon
eine gewisse Wärme für die Flottenerneuerung besteht, was ihr gegenüber den
bekannten, in der langjährigen Oppositionsstellung eifrig genährten friedens¬
freundlichen Ideen nur erwünscht sein kann. Die Parteien wieder brauchen
diese Stimmung für ihre Herrschaftszwecke. Als die Unionisten ihre Stellung
in der Volksmeinung Warten sahn, erfanden sie die deutsche Flottengefahr und
suchten sie gegen die friedensfreuudlichen Liberalen zu verwerten, was sie auch
jetzt fortsetzen. Die an die Regierung gelangten Liberalen können aber auch
dieses Reizmittels bei den bekannten Neigungen eines großen Teils ihrer An¬
hänger nicht gut entbehren.

Die Weltlage drängt das britische Reich zur Fortsetzung seiner bisherigen
Flottenpolitik, und die Imperialisten in den beiden großen Parteilagern stimmen
in diesem Punkte mich vollkommen überein. Wenn sich England früher unter
der "monistischen Negierung besonders wegen der geringen Sympathie des
Auslands für den Krieg gegen die Buren darin gefiel, eine Europa abgewandte
Politik zu führen, sich seiner 8p1eMiä isolg-lion zu erfreuen und sich gern in
einen gewissen Gegensatz zur Haltung der Festlandsmächte zu stellen, was ja
am auffälligsten in dem befremdenden Bündnisse mit Japan zutage trat, hat
es jetzt alle Ursache, sich mit den europäischen Mächten gut zu stellen, um für
alle Fälle den Rücken frei zu haben. Japan hat seinerzeit mit englischer Zu¬
stimmung China besiegt und mit moralischer nud finanzieller Unterstützung
Englands den Entscheidungskampf mit Rußland siegreich bestanden. Die See¬
schlacht von Tsuschima hatte aber für deu Großen Ozean eine ähnliche Bedeutung
wie die Schlacht von Königgrätz für Mitteleuropa. Die Analogie springt noch
deutlicher in die Augen durch die beiden Ereignissen folgende Überraschung der
Nichtbeteiligten. Die Entscheidungskraft der Schlacht von Königgrätz hatte alle
Berechnungen Napoleons des Dritten über den Haufen geworfen, der japanische


Flottmfrage» und Mcltpolitik

jeder Gelegenheit dafür empfänglich erhält. Der politische Sinn ist in allen
englischen in Betracht kommenden Kreisen hoch entwickelt und übertrifft in der
Regel den andrer Völker, dennoch ist aber nicht gerade anzunehmen, daß alle
eine klare Einsicht in die Wirklichkeiten der politischen Weltlage haben. Es
herrscht nur das bestimmte Gefühl einer gewissen Gefährdung der britischen
Stellung, und dieses sucht sich einen Gegenstand, gegen den es sich wenden
möchte. Dieser Gegenstand ist gegenwärtig Deutschland mit seiner Absicht, sich
auch eine seinen Seeinteresseu entsprechende Flotte zu schaffen, wogegen ernstlich
gar nichts eingewandt werden kann. Weil dem so ist, läßt auch die Anfeindung
Deutschlands jeweilig nach, tritt aber beim nächsten Anlaß von neuem wieder
hervor. Wollte man auf alle» Seiten, die in solchen Fragen von Einfluß sind,
der Bewegung ernstlich Halt gebieten, so brauchte man nur dem zugrunde
liegenden Irrtum entschieden durch Aufklärung entgegenzuwirken. Vorderhand
haben aber verschiedne Kreise ein Interesse daran, daß das Feuer im Glimmen
erhalten wird, wenn man auch Sorge trägt, daß es nicht in hellen Flammen
aufschlägt. Der Regierung ist es gar nicht unwillkommen, daß infolge davon
eine gewisse Wärme für die Flottenerneuerung besteht, was ihr gegenüber den
bekannten, in der langjährigen Oppositionsstellung eifrig genährten friedens¬
freundlichen Ideen nur erwünscht sein kann. Die Parteien wieder brauchen
diese Stimmung für ihre Herrschaftszwecke. Als die Unionisten ihre Stellung
in der Volksmeinung Warten sahn, erfanden sie die deutsche Flottengefahr und
suchten sie gegen die friedensfreuudlichen Liberalen zu verwerten, was sie auch
jetzt fortsetzen. Die an die Regierung gelangten Liberalen können aber auch
dieses Reizmittels bei den bekannten Neigungen eines großen Teils ihrer An¬
hänger nicht gut entbehren.

Die Weltlage drängt das britische Reich zur Fortsetzung seiner bisherigen
Flottenpolitik, und die Imperialisten in den beiden großen Parteilagern stimmen
in diesem Punkte mich vollkommen überein. Wenn sich England früher unter
der »monistischen Negierung besonders wegen der geringen Sympathie des
Auslands für den Krieg gegen die Buren darin gefiel, eine Europa abgewandte
Politik zu führen, sich seiner 8p1eMiä isolg-lion zu erfreuen und sich gern in
einen gewissen Gegensatz zur Haltung der Festlandsmächte zu stellen, was ja
am auffälligsten in dem befremdenden Bündnisse mit Japan zutage trat, hat
es jetzt alle Ursache, sich mit den europäischen Mächten gut zu stellen, um für
alle Fälle den Rücken frei zu haben. Japan hat seinerzeit mit englischer Zu¬
stimmung China besiegt und mit moralischer nud finanzieller Unterstützung
Englands den Entscheidungskampf mit Rußland siegreich bestanden. Die See¬
schlacht von Tsuschima hatte aber für deu Großen Ozean eine ähnliche Bedeutung
wie die Schlacht von Königgrätz für Mitteleuropa. Die Analogie springt noch
deutlicher in die Augen durch die beiden Ereignissen folgende Überraschung der
Nichtbeteiligten. Die Entscheidungskraft der Schlacht von Königgrätz hatte alle
Berechnungen Napoleons des Dritten über den Haufen geworfen, der japanische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/11>, abgerufen am 22.06.2024.