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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Wahlrecht und Idealismus

hat in ernster Stunde den Hohenzollernschen Kaisern die treue Hilfe der Fürsten
gefehlt."

Auf der andern Seite der Reichstag. Als Palladium der nationalen Einheit
war er ins Leben gerufen worden. "Wie die allgemeine Wehrpflicht das beste
Kampfmittel gegen die Gegner draußen, so ist das allgemeine Wahlrecht das
beste Kampfmittel gegen die Partikularistischen Gegner drinnen." Dies Motto
gab im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes Miquel dem neuen
deutschen Parlament auf den Weg. Sechsundzwanzig Jahre später erklärte er
als das Ergebnis dauernder Beobachtung vom besten Standpunkt aus dem Fürsten
Hohenlohe: das allgemeine Wahlrecht sei unmöglich, die Wahlen brächten immer
schlechtere Elemente in den Reichstag. Die Blütenträume von 1867 waren
nicht gereift. Die Gefahr, die dem gemeindeutschen Interesse von seiten der
einzelstaatlichen Regierungen drohte, hatte Bismarck durch die peinlichste Ein¬
haltung der Grenzen der Bundeskompetenz selbst zu beseitigen verstanden. Da¬
gegen ließen ihn die Geister, die er zu Hilfe gerufen hatte, dabei im Stich und
taten ihr Mögliches, den Völkerfrühling der großen Zeit der Einigungskriege
zunichte zu machen. "Der alte deutsche Erbfeind, der Parteihader, der in
dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und in den
Fraktionskämpfen seine Nahrung findet, der übertrug sich auf unser öffentliches
Leben, auf unsre Parlamente, und wir sind angekommen in einem Zustand
unsers öffentlichen Lebens, wo die Regierungen zwar treu zusammenhalten, im
deutschen Reichstag aber der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und ge¬
hofft hatte, nicht zu finden ist, sondern der Parteigeist überwuchert uns; und
der Pnrteigeist, wenn er mit seiner Lokistimme den UrWähler Hödur, der die
Tragweite der Dinge nicht beurteilen kann, verleitet, daß er das eigne Vater¬
land erschlage, der ist es, den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn
das ganze herrliche Werk unsrer Nation von 1866 und von 1870 wieder in
Verfall gerät und durch die Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das
Schwert geschaffen wurde."

Auch das zweite Hindernis des nationalen Gedeihens, den unfruchtbaren
staatsfeindlichen Pseudoliberalismus der Bourgeoisie, hat Bismarcks Lebens¬
arbeit innerlich überwunden, indem er diese Schichten immer mehr jenen Lehren
abwendig gemacht und für den monarchischen Gedanken gewonnen hat. So
konnte denn Treitschke im Todesjahre des ersten Kaisers mit grimmiger Genug¬
tuung feststellen, daß der unbelehrbare Freisinn "im ganzen Reiche nichts
weiter hinter sich hat, als die Mehrheit der Berliner, einzelne in die Politik
verschlagne Gelehrte, die Kaufmannschaft einiger unzufriedner Handelsplätze und
die allerdings ansehnliche Macht des internationalen Judentums".

Während sich so die Wandlung vollzog, die Bismarck am Ende seiner
Tage das Übergewicht derer, die den Besitz vertreten, als nützlich für die Sicher¬
heit und die Fortbildung des Staates anerkennen ließ, hatte das allgemeine
gleiche Wahlrecht diesen Kreisen immer mehr den Boden der parlamentarischen


Wahlrecht und Idealismus

hat in ernster Stunde den Hohenzollernschen Kaisern die treue Hilfe der Fürsten
gefehlt.«

Auf der andern Seite der Reichstag. Als Palladium der nationalen Einheit
war er ins Leben gerufen worden. „Wie die allgemeine Wehrpflicht das beste
Kampfmittel gegen die Gegner draußen, so ist das allgemeine Wahlrecht das
beste Kampfmittel gegen die Partikularistischen Gegner drinnen." Dies Motto
gab im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes Miquel dem neuen
deutschen Parlament auf den Weg. Sechsundzwanzig Jahre später erklärte er
als das Ergebnis dauernder Beobachtung vom besten Standpunkt aus dem Fürsten
Hohenlohe: das allgemeine Wahlrecht sei unmöglich, die Wahlen brächten immer
schlechtere Elemente in den Reichstag. Die Blütenträume von 1867 waren
nicht gereift. Die Gefahr, die dem gemeindeutschen Interesse von seiten der
einzelstaatlichen Regierungen drohte, hatte Bismarck durch die peinlichste Ein¬
haltung der Grenzen der Bundeskompetenz selbst zu beseitigen verstanden. Da¬
gegen ließen ihn die Geister, die er zu Hilfe gerufen hatte, dabei im Stich und
taten ihr Mögliches, den Völkerfrühling der großen Zeit der Einigungskriege
zunichte zu machen. „Der alte deutsche Erbfeind, der Parteihader, der in
dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und in den
Fraktionskämpfen seine Nahrung findet, der übertrug sich auf unser öffentliches
Leben, auf unsre Parlamente, und wir sind angekommen in einem Zustand
unsers öffentlichen Lebens, wo die Regierungen zwar treu zusammenhalten, im
deutschen Reichstag aber der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und ge¬
hofft hatte, nicht zu finden ist, sondern der Parteigeist überwuchert uns; und
der Pnrteigeist, wenn er mit seiner Lokistimme den UrWähler Hödur, der die
Tragweite der Dinge nicht beurteilen kann, verleitet, daß er das eigne Vater¬
land erschlage, der ist es, den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn
das ganze herrliche Werk unsrer Nation von 1866 und von 1870 wieder in
Verfall gerät und durch die Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das
Schwert geschaffen wurde."

Auch das zweite Hindernis des nationalen Gedeihens, den unfruchtbaren
staatsfeindlichen Pseudoliberalismus der Bourgeoisie, hat Bismarcks Lebens¬
arbeit innerlich überwunden, indem er diese Schichten immer mehr jenen Lehren
abwendig gemacht und für den monarchischen Gedanken gewonnen hat. So
konnte denn Treitschke im Todesjahre des ersten Kaisers mit grimmiger Genug¬
tuung feststellen, daß der unbelehrbare Freisinn „im ganzen Reiche nichts
weiter hinter sich hat, als die Mehrheit der Berliner, einzelne in die Politik
verschlagne Gelehrte, die Kaufmannschaft einiger unzufriedner Handelsplätze und
die allerdings ansehnliche Macht des internationalen Judentums".

Während sich so die Wandlung vollzog, die Bismarck am Ende seiner
Tage das Übergewicht derer, die den Besitz vertreten, als nützlich für die Sicher¬
heit und die Fortbildung des Staates anerkennen ließ, hatte das allgemeine
gleiche Wahlrecht diesen Kreisen immer mehr den Boden der parlamentarischen


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[0506] Wahlrecht und Idealismus hat in ernster Stunde den Hohenzollernschen Kaisern die treue Hilfe der Fürsten gefehlt.« Auf der andern Seite der Reichstag. Als Palladium der nationalen Einheit war er ins Leben gerufen worden. „Wie die allgemeine Wehrpflicht das beste Kampfmittel gegen die Gegner draußen, so ist das allgemeine Wahlrecht das beste Kampfmittel gegen die Partikularistischen Gegner drinnen." Dies Motto gab im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes Miquel dem neuen deutschen Parlament auf den Weg. Sechsundzwanzig Jahre später erklärte er als das Ergebnis dauernder Beobachtung vom besten Standpunkt aus dem Fürsten Hohenlohe: das allgemeine Wahlrecht sei unmöglich, die Wahlen brächten immer schlechtere Elemente in den Reichstag. Die Blütenträume von 1867 waren nicht gereift. Die Gefahr, die dem gemeindeutschen Interesse von seiten der einzelstaatlichen Regierungen drohte, hatte Bismarck durch die peinlichste Ein¬ haltung der Grenzen der Bundeskompetenz selbst zu beseitigen verstanden. Da¬ gegen ließen ihn die Geister, die er zu Hilfe gerufen hatte, dabei im Stich und taten ihr Mögliches, den Völkerfrühling der großen Zeit der Einigungskriege zunichte zu machen. „Der alte deutsche Erbfeind, der Parteihader, der in dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und in den Fraktionskämpfen seine Nahrung findet, der übertrug sich auf unser öffentliches Leben, auf unsre Parlamente, und wir sind angekommen in einem Zustand unsers öffentlichen Lebens, wo die Regierungen zwar treu zusammenhalten, im deutschen Reichstag aber der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und ge¬ hofft hatte, nicht zu finden ist, sondern der Parteigeist überwuchert uns; und der Pnrteigeist, wenn er mit seiner Lokistimme den UrWähler Hödur, der die Tragweite der Dinge nicht beurteilen kann, verleitet, daß er das eigne Vater¬ land erschlage, der ist es, den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn das ganze herrliche Werk unsrer Nation von 1866 und von 1870 wieder in Verfall gerät und durch die Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das Schwert geschaffen wurde." Auch das zweite Hindernis des nationalen Gedeihens, den unfruchtbaren staatsfeindlichen Pseudoliberalismus der Bourgeoisie, hat Bismarcks Lebens¬ arbeit innerlich überwunden, indem er diese Schichten immer mehr jenen Lehren abwendig gemacht und für den monarchischen Gedanken gewonnen hat. So konnte denn Treitschke im Todesjahre des ersten Kaisers mit grimmiger Genug¬ tuung feststellen, daß der unbelehrbare Freisinn „im ganzen Reiche nichts weiter hinter sich hat, als die Mehrheit der Berliner, einzelne in die Politik verschlagne Gelehrte, die Kaufmannschaft einiger unzufriedner Handelsplätze und die allerdings ansehnliche Macht des internationalen Judentums". Während sich so die Wandlung vollzog, die Bismarck am Ende seiner Tage das Übergewicht derer, die den Besitz vertreten, als nützlich für die Sicher¬ heit und die Fortbildung des Staates anerkennen ließ, hatte das allgemeine gleiche Wahlrecht diesen Kreisen immer mehr den Boden der parlamentarischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/506>, abgerufen am 23.07.2024.