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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Recht und Sitte der Naturvölker

Nachdem sich, schreibt Meyer, "die Eingebornen selbst mit bewaffneter
Hand von den Verträgen losgesagt haben, ist auch das Mutterland der Pflicht,
sie zu wahren, enthoben und wird nach dem Kriegsrecht von der Befugnis freien
Handelns jedenfalls auf dem hier zur Erörterung stehenden Gebiet insoweit
Gebrauch machen, als es zur Begründung einer gesunden Rechtspflege er¬
forderlich erscheint. Eine solche muß unparteiisch, rasch und wirksam sein. Zu
diesem Behufe wird die Justizhoheit der Häuptlinge beseitigt und die Recht¬
sprechung auch in Nechtshcindeln der Eingebornen unter sich, höchstens mit
Ausschluß der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondre der schwierigen
Nachlaßregulierungen, den deutschen Behörden, aber unter Zuziehung eingeborner
Beisitzer, übertragen werden müssen." Das Eingebornenrecht müsse kodifiziert
werden. "Natürlich kann nicht davon die Rede sein, die Rechtsgebräuche der
Eingebornen in abstrakte Sätze zu fassen, obwohl der Anfang dazu schon von
den Eingebornen selbst gemacht worden ist. sDie Farbigen Südafrikas haben
schon so lange unter englischem und holländischem Einfluß gestanden, sich auch
schon mit dem Schriftwesen bekannt gemacht, daß sie noch weniger als die un¬
berührtem Stämme im Innern des schwarzen Kontinents die Bezeichnung
"Naturvölker" verdienen.^ Man wird sich zunächst auf eine authentische
Sammlung der Rechtsgewohnheiten der Eingebornen unter Bestimmung der
Grenzen ihrer Anwendbarkeit beschränken dürfen, um dem Richter einen sichern
Leitfaden und eine zuverlässige Quelle der Rechts findung zu bieten." Auch die
besten Gesetze jedoch nützten nichts, wenn der Richter nichts tauge, während gute
Judikatur auch mit einem mangelhaften Recht erträgliches zu leisten vermöge.
Da aber gute Judikatur ohne Kenntnis der Sprache der Gerichtseingesessenen
nicht möglich sei, müßten die Richter diese erlernen; Dolmetscher, Pidschin-
englisch und Kaphollündisch seien unzulängliche Surrogate. Was die Regelung
des Landeigentums betrifft, so sei das System der Reservationen nicht zu
empfehlen. "Sind die Kantonnements zu klein bemessen, so enthalten sie den
Keim zu steter Unzufriedenheit, sind sie geräumig abgesteckt, so stehen sie der
Besiedlung als ein störendes Hemmnis im Wege. Dazu kommt, daß die
Trennung der Farbigen von den Europäern die Kulturarbeit unter jenen er¬
schwert, geheime Machinationen erleichtert und den Zusammenschluß der wider¬
setzlichen Elemente künstlich fördert. Verteilung der Eingebornen an verschiednen
Plätzen der Kolonie möchte unter den obwaltenden Verhältnissen ratsamer er¬
scheinen."

Steinmetz und Meyer haben sich durch die vorliegenden Arbeiten un¬
streitig um die Förderung des Verständnisses kolonialer Angelegenheiten ver¬
d Carl Jentsch ient gemacht.




Recht und Sitte der Naturvölker

Nachdem sich, schreibt Meyer, „die Eingebornen selbst mit bewaffneter
Hand von den Verträgen losgesagt haben, ist auch das Mutterland der Pflicht,
sie zu wahren, enthoben und wird nach dem Kriegsrecht von der Befugnis freien
Handelns jedenfalls auf dem hier zur Erörterung stehenden Gebiet insoweit
Gebrauch machen, als es zur Begründung einer gesunden Rechtspflege er¬
forderlich erscheint. Eine solche muß unparteiisch, rasch und wirksam sein. Zu
diesem Behufe wird die Justizhoheit der Häuptlinge beseitigt und die Recht¬
sprechung auch in Nechtshcindeln der Eingebornen unter sich, höchstens mit
Ausschluß der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondre der schwierigen
Nachlaßregulierungen, den deutschen Behörden, aber unter Zuziehung eingeborner
Beisitzer, übertragen werden müssen." Das Eingebornenrecht müsse kodifiziert
werden. „Natürlich kann nicht davon die Rede sein, die Rechtsgebräuche der
Eingebornen in abstrakte Sätze zu fassen, obwohl der Anfang dazu schon von
den Eingebornen selbst gemacht worden ist. sDie Farbigen Südafrikas haben
schon so lange unter englischem und holländischem Einfluß gestanden, sich auch
schon mit dem Schriftwesen bekannt gemacht, daß sie noch weniger als die un¬
berührtem Stämme im Innern des schwarzen Kontinents die Bezeichnung
»Naturvölker« verdienen.^ Man wird sich zunächst auf eine authentische
Sammlung der Rechtsgewohnheiten der Eingebornen unter Bestimmung der
Grenzen ihrer Anwendbarkeit beschränken dürfen, um dem Richter einen sichern
Leitfaden und eine zuverlässige Quelle der Rechts findung zu bieten." Auch die
besten Gesetze jedoch nützten nichts, wenn der Richter nichts tauge, während gute
Judikatur auch mit einem mangelhaften Recht erträgliches zu leisten vermöge.
Da aber gute Judikatur ohne Kenntnis der Sprache der Gerichtseingesessenen
nicht möglich sei, müßten die Richter diese erlernen; Dolmetscher, Pidschin-
englisch und Kaphollündisch seien unzulängliche Surrogate. Was die Regelung
des Landeigentums betrifft, so sei das System der Reservationen nicht zu
empfehlen. „Sind die Kantonnements zu klein bemessen, so enthalten sie den
Keim zu steter Unzufriedenheit, sind sie geräumig abgesteckt, so stehen sie der
Besiedlung als ein störendes Hemmnis im Wege. Dazu kommt, daß die
Trennung der Farbigen von den Europäern die Kulturarbeit unter jenen er¬
schwert, geheime Machinationen erleichtert und den Zusammenschluß der wider¬
setzlichen Elemente künstlich fördert. Verteilung der Eingebornen an verschiednen
Plätzen der Kolonie möchte unter den obwaltenden Verhältnissen ratsamer er¬
scheinen."

Steinmetz und Meyer haben sich durch die vorliegenden Arbeiten un¬
streitig um die Förderung des Verständnisses kolonialer Angelegenheiten ver¬
d Carl Jentsch ient gemacht.




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[0473] Recht und Sitte der Naturvölker Nachdem sich, schreibt Meyer, „die Eingebornen selbst mit bewaffneter Hand von den Verträgen losgesagt haben, ist auch das Mutterland der Pflicht, sie zu wahren, enthoben und wird nach dem Kriegsrecht von der Befugnis freien Handelns jedenfalls auf dem hier zur Erörterung stehenden Gebiet insoweit Gebrauch machen, als es zur Begründung einer gesunden Rechtspflege er¬ forderlich erscheint. Eine solche muß unparteiisch, rasch und wirksam sein. Zu diesem Behufe wird die Justizhoheit der Häuptlinge beseitigt und die Recht¬ sprechung auch in Nechtshcindeln der Eingebornen unter sich, höchstens mit Ausschluß der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondre der schwierigen Nachlaßregulierungen, den deutschen Behörden, aber unter Zuziehung eingeborner Beisitzer, übertragen werden müssen." Das Eingebornenrecht müsse kodifiziert werden. „Natürlich kann nicht davon die Rede sein, die Rechtsgebräuche der Eingebornen in abstrakte Sätze zu fassen, obwohl der Anfang dazu schon von den Eingebornen selbst gemacht worden ist. sDie Farbigen Südafrikas haben schon so lange unter englischem und holländischem Einfluß gestanden, sich auch schon mit dem Schriftwesen bekannt gemacht, daß sie noch weniger als die un¬ berührtem Stämme im Innern des schwarzen Kontinents die Bezeichnung »Naturvölker« verdienen.^ Man wird sich zunächst auf eine authentische Sammlung der Rechtsgewohnheiten der Eingebornen unter Bestimmung der Grenzen ihrer Anwendbarkeit beschränken dürfen, um dem Richter einen sichern Leitfaden und eine zuverlässige Quelle der Rechts findung zu bieten." Auch die besten Gesetze jedoch nützten nichts, wenn der Richter nichts tauge, während gute Judikatur auch mit einem mangelhaften Recht erträgliches zu leisten vermöge. Da aber gute Judikatur ohne Kenntnis der Sprache der Gerichtseingesessenen nicht möglich sei, müßten die Richter diese erlernen; Dolmetscher, Pidschin- englisch und Kaphollündisch seien unzulängliche Surrogate. Was die Regelung des Landeigentums betrifft, so sei das System der Reservationen nicht zu empfehlen. „Sind die Kantonnements zu klein bemessen, so enthalten sie den Keim zu steter Unzufriedenheit, sind sie geräumig abgesteckt, so stehen sie der Besiedlung als ein störendes Hemmnis im Wege. Dazu kommt, daß die Trennung der Farbigen von den Europäern die Kulturarbeit unter jenen er¬ schwert, geheime Machinationen erleichtert und den Zusammenschluß der wider¬ setzlichen Elemente künstlich fördert. Verteilung der Eingebornen an verschiednen Plätzen der Kolonie möchte unter den obwaltenden Verhältnissen ratsamer er¬ scheinen." Steinmetz und Meyer haben sich durch die vorliegenden Arbeiten un¬ streitig um die Förderung des Verständnisses kolonialer Angelegenheiten ver¬ d Carl Jentsch ient gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/473>, abgerufen am 22.07.2024.