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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kleine graue Katze

tiefe Ruhe, die sich auf ihre Züge legte, als sie an seinem Bette saß, ihre Hand
auf der seinigen, kann ich dir gar nicht beschreiben.

Axel war gegen vier Stunden vollständig bewußtlos, und ich war in Todes¬
angst, er werde die Augen nie wieder aufschlagen. Als er es dann endlich tat
-- freilich nur für ein paar Sekunden --, war es einem doch, als könne man
wieder aufatmen. Er sah müde und erstaunt vor sich hin, Edda kniete an seinem
Bette nieder, um ihm in die Augen sehen zu können, und fragte leise und
deutlich:

Lieber Axel, wie geht es dir?

Gut, antwortete er und schloß sogleich die Augen wieder, wahrend er murmelte:
Es waren so viele Funken da --

Der Arzt meint, der Rücken sei verletzt, und der Stoß in deu Nacken habe
wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung herbeigeführt. Der Professor von Lund
kommt glücklicherweise schon heute abend. Edda hat gleich das ganze Oberkommando
übernommen; sie bestimmt alles, was zu geschehen hat, setzt die andern mit er¬
staunlicher Gedankenklarheit und Umsicht in Bewegung und sitzt ganz ruhig und
aufrecht, aber ebenso blaß wie unser teurer Axel selbst, an seinem Lager.

Vor einer Weile ist ihre Mutter angekommen, und sie wird selbstverständlich
mit der Tochter Hierbleiben. Edda wollte zwar ihre Mutter vor Abend wieder
heimschicken, aber davon wollte die gute Anna nichts hören.

Ich fing da einige Worte von Edda auf. Sie sagte: Wenn sich nur die
allergeringste Möglichkeit zeigt, lasse ich mich mit Axel trauen, damit ihr mich ganz
beruhigt mit ihm allein lassen könnt.

Anna brach in Tränen aus, und ich verstand sie. Welche erdrückend schwere
Aussicht -- diese Trauung an seinem Schmerzenslager, anstatt der frohen Hochzeit,
die unsre liebste Hoffnung war! Die Vereinigung unsrer geliebten Kinder, wie
sie sagte.

Ich bin viel bei Anna, denn es beruhigt sie, wenn sie sich bei mir aussprechen
kann, und ich fühle, daß mich der Gedanke, sie aufrecht erhalten zu müssen,
selbst stärkt.

Der Arzt von Lund ist jetzt eingetroffen, und er hat erklärt: Ich halte es
nicht für durchaus hoffnungslos.

Der Ertrinkende klammert sich an einen Strohhalm, und unsre Hoffnung
klammert sich nun an diesen einen Ausspruch. Ach, daß sie sich erfüllte!

Ich gehe heute nacht nicht zu Bett, sondern lege mich auf das Kanapee, mit
einem Schal zugedeckt, oder vielleicht mit einer Federdecke.

Morgen telegraphiere ich dir wieder, wie die Nacht verlaufen ist. Per nimmt
jetzt diese Zeilen mit auf den Bahnhof.

Ach, daß wir ihn behalten dürften! Er war der Lichtpunkt meines Lebens!


Friedrich Dein tiefbekümmerter Bruder

(Schluß folgt)




Die kleine graue Katze

tiefe Ruhe, die sich auf ihre Züge legte, als sie an seinem Bette saß, ihre Hand
auf der seinigen, kann ich dir gar nicht beschreiben.

Axel war gegen vier Stunden vollständig bewußtlos, und ich war in Todes¬
angst, er werde die Augen nie wieder aufschlagen. Als er es dann endlich tat
— freilich nur für ein paar Sekunden —, war es einem doch, als könne man
wieder aufatmen. Er sah müde und erstaunt vor sich hin, Edda kniete an seinem
Bette nieder, um ihm in die Augen sehen zu können, und fragte leise und
deutlich:

Lieber Axel, wie geht es dir?

Gut, antwortete er und schloß sogleich die Augen wieder, wahrend er murmelte:
Es waren so viele Funken da —

Der Arzt meint, der Rücken sei verletzt, und der Stoß in deu Nacken habe
wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung herbeigeführt. Der Professor von Lund
kommt glücklicherweise schon heute abend. Edda hat gleich das ganze Oberkommando
übernommen; sie bestimmt alles, was zu geschehen hat, setzt die andern mit er¬
staunlicher Gedankenklarheit und Umsicht in Bewegung und sitzt ganz ruhig und
aufrecht, aber ebenso blaß wie unser teurer Axel selbst, an seinem Lager.

Vor einer Weile ist ihre Mutter angekommen, und sie wird selbstverständlich
mit der Tochter Hierbleiben. Edda wollte zwar ihre Mutter vor Abend wieder
heimschicken, aber davon wollte die gute Anna nichts hören.

Ich fing da einige Worte von Edda auf. Sie sagte: Wenn sich nur die
allergeringste Möglichkeit zeigt, lasse ich mich mit Axel trauen, damit ihr mich ganz
beruhigt mit ihm allein lassen könnt.

Anna brach in Tränen aus, und ich verstand sie. Welche erdrückend schwere
Aussicht — diese Trauung an seinem Schmerzenslager, anstatt der frohen Hochzeit,
die unsre liebste Hoffnung war! Die Vereinigung unsrer geliebten Kinder, wie
sie sagte.

Ich bin viel bei Anna, denn es beruhigt sie, wenn sie sich bei mir aussprechen
kann, und ich fühle, daß mich der Gedanke, sie aufrecht erhalten zu müssen,
selbst stärkt.

Der Arzt von Lund ist jetzt eingetroffen, und er hat erklärt: Ich halte es
nicht für durchaus hoffnungslos.

Der Ertrinkende klammert sich an einen Strohhalm, und unsre Hoffnung
klammert sich nun an diesen einen Ausspruch. Ach, daß sie sich erfüllte!

Ich gehe heute nacht nicht zu Bett, sondern lege mich auf das Kanapee, mit
einem Schal zugedeckt, oder vielleicht mit einer Federdecke.

Morgen telegraphiere ich dir wieder, wie die Nacht verlaufen ist. Per nimmt
jetzt diese Zeilen mit auf den Bahnhof.

Ach, daß wir ihn behalten dürften! Er war der Lichtpunkt meines Lebens!


Friedrich Dein tiefbekümmerter Bruder

(Schluß folgt)




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[0436] Die kleine graue Katze tiefe Ruhe, die sich auf ihre Züge legte, als sie an seinem Bette saß, ihre Hand auf der seinigen, kann ich dir gar nicht beschreiben. Axel war gegen vier Stunden vollständig bewußtlos, und ich war in Todes¬ angst, er werde die Augen nie wieder aufschlagen. Als er es dann endlich tat — freilich nur für ein paar Sekunden —, war es einem doch, als könne man wieder aufatmen. Er sah müde und erstaunt vor sich hin, Edda kniete an seinem Bette nieder, um ihm in die Augen sehen zu können, und fragte leise und deutlich: Lieber Axel, wie geht es dir? Gut, antwortete er und schloß sogleich die Augen wieder, wahrend er murmelte: Es waren so viele Funken da — Der Arzt meint, der Rücken sei verletzt, und der Stoß in deu Nacken habe wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung herbeigeführt. Der Professor von Lund kommt glücklicherweise schon heute abend. Edda hat gleich das ganze Oberkommando übernommen; sie bestimmt alles, was zu geschehen hat, setzt die andern mit er¬ staunlicher Gedankenklarheit und Umsicht in Bewegung und sitzt ganz ruhig und aufrecht, aber ebenso blaß wie unser teurer Axel selbst, an seinem Lager. Vor einer Weile ist ihre Mutter angekommen, und sie wird selbstverständlich mit der Tochter Hierbleiben. Edda wollte zwar ihre Mutter vor Abend wieder heimschicken, aber davon wollte die gute Anna nichts hören. Ich fing da einige Worte von Edda auf. Sie sagte: Wenn sich nur die allergeringste Möglichkeit zeigt, lasse ich mich mit Axel trauen, damit ihr mich ganz beruhigt mit ihm allein lassen könnt. Anna brach in Tränen aus, und ich verstand sie. Welche erdrückend schwere Aussicht — diese Trauung an seinem Schmerzenslager, anstatt der frohen Hochzeit, die unsre liebste Hoffnung war! Die Vereinigung unsrer geliebten Kinder, wie sie sagte. Ich bin viel bei Anna, denn es beruhigt sie, wenn sie sich bei mir aussprechen kann, und ich fühle, daß mich der Gedanke, sie aufrecht erhalten zu müssen, selbst stärkt. Der Arzt von Lund ist jetzt eingetroffen, und er hat erklärt: Ich halte es nicht für durchaus hoffnungslos. Der Ertrinkende klammert sich an einen Strohhalm, und unsre Hoffnung klammert sich nun an diesen einen Ausspruch. Ach, daß sie sich erfüllte! Ich gehe heute nacht nicht zu Bett, sondern lege mich auf das Kanapee, mit einem Schal zugedeckt, oder vielleicht mit einer Federdecke. Morgen telegraphiere ich dir wieder, wie die Nacht verlaufen ist. Per nimmt jetzt diese Zeilen mit auf den Bahnhof. Ach, daß wir ihn behalten dürften! Er war der Lichtpunkt meines Lebens! Friedrich Dein tiefbekümmerter Bruder (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/436>, abgerufen am 01.10.2024.