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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englands Vordringen in Persien

herbei, eine englische Gesandtschaft zu einer Revision der Vertrüge zu empfangen,
ohne sich jedoch später zu irgendwelchen Bewilligungen herbeizulassen. Als es
dann mit Rußlands Machtstellung immer weiter bergab ging, stattete er Anfang
dieses Jahres selbst dem Vizekönig einen Besuch ab, ein Ereignis, das vor drei
Jahren noch für ganz unmöglich angesehen worden wäre und für England einen
glänzenden Triumph bedeutet. Bis dahin hatte sich Afghanistan nümlich im
Bewußtsein seiner Stellung als Zünglein an der Wage zwischen England und
Rußland immer äußerst reserviert und kühl verhalten. Zur Illustration seiner
eigenartigen Stellung sei angeführt, daß in Afghanistan kein Engländer Zutritt
hat, und daß der englische Gesandte in Kabul ein mohammedanischer Jndier ist.
Der endlich erfolgte Besuch des Emirs hatte nach all den Vorgängen die Be¬
deutung der Entscheidung für England, dessen dankbare Freude aus dem Be¬
grüßungstelegramm des Königs an den Emir bei dessen Ankunft an der Grenze
deutlich hervorging, worin es hieß: "Die Kunde von dem Besuch Eurer
Majestät bei meinem Vizekönig erfüllt mich mit großer Genugtuung, da ich darin
einen Beweis für die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Eurer Majestät
und meiner Negierung sehe. Ich wünsche von Herzen, daß die Reise Ihnen eine
angenehme Erholung von den Staatssorgen bieten wird." Das Telegramm ist
insofern bemerkenswert, als darin der Emir zum erstenmal mit Majestät angeredet
wurde, während ihm bis dahin nur der Titel Hoheit zugebilligt worden war, eine
kleine Höflichkeit für die bittere Pille seiner neuen Stellung England gegenüber.

Wie richtig der Emir damals die Situation erkannt hat, geht jetzt aus
dem Vertrage hervor, worin Rußland die bindende Erklärung abgibt, daß
Afghanistan außerhalb seiner Interessensphäre liege. Damit aber hat der Emir
den Rückhalt an Rußland verloren.

Dieselbe Schlußfolgerung aus den veränderten Machtverhültnissen zu ziehen
wie Afghanistan war Persien nicht in der Lage; dazu liegt es, mag Rußland
auch uoch so machtlos sein, diesem doch zu nahe und ist ihm gegenüber zu
hilflos. Es hat außerdem viel zu viel mit innern Kämpfen zu tun, bei denen
auf der einen Seite das Parlament, auf der andern der Schah mit seinen
Beamten steht. Beide Parteien sind fremdenfeindlich, aber daß die Sympathien
des Parlaments mehr England zuneigen, ist selbstverständlich. Bevor wir auf
diese Vorgänge im Innern des Landes eingehn, seien noch einige wichtige Punkte
aus dem Vertrage berührt.

Daß das Werk überhaupt zustande gekommen ist, war bei den Gegensätzen
der beiderseitigen Ziele nur möglich, wenn ein Teil nachgab, das aber hat
Rußland, das alles besaß, auf der ganzen Linie getan; außerdem waren aber
noch die Interessen der andern Mächte zu berücksichtigen, und auf beiden Seiten
war eine Menge von Gegenströmungen und Widerständen zu überwinden, die
sich während der Verhandlungen häufig in ihrer Presse widerspiegelten. Als
Proben seien hier zwei Stellen aus Artikeln in der Empire Review und der
Nowvje Wremja angeführt. In jener hieß es, daß immer und zu allen Zeiten


Englands Vordringen in Persien

herbei, eine englische Gesandtschaft zu einer Revision der Vertrüge zu empfangen,
ohne sich jedoch später zu irgendwelchen Bewilligungen herbeizulassen. Als es
dann mit Rußlands Machtstellung immer weiter bergab ging, stattete er Anfang
dieses Jahres selbst dem Vizekönig einen Besuch ab, ein Ereignis, das vor drei
Jahren noch für ganz unmöglich angesehen worden wäre und für England einen
glänzenden Triumph bedeutet. Bis dahin hatte sich Afghanistan nümlich im
Bewußtsein seiner Stellung als Zünglein an der Wage zwischen England und
Rußland immer äußerst reserviert und kühl verhalten. Zur Illustration seiner
eigenartigen Stellung sei angeführt, daß in Afghanistan kein Engländer Zutritt
hat, und daß der englische Gesandte in Kabul ein mohammedanischer Jndier ist.
Der endlich erfolgte Besuch des Emirs hatte nach all den Vorgängen die Be¬
deutung der Entscheidung für England, dessen dankbare Freude aus dem Be¬
grüßungstelegramm des Königs an den Emir bei dessen Ankunft an der Grenze
deutlich hervorging, worin es hieß: „Die Kunde von dem Besuch Eurer
Majestät bei meinem Vizekönig erfüllt mich mit großer Genugtuung, da ich darin
einen Beweis für die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Eurer Majestät
und meiner Negierung sehe. Ich wünsche von Herzen, daß die Reise Ihnen eine
angenehme Erholung von den Staatssorgen bieten wird." Das Telegramm ist
insofern bemerkenswert, als darin der Emir zum erstenmal mit Majestät angeredet
wurde, während ihm bis dahin nur der Titel Hoheit zugebilligt worden war, eine
kleine Höflichkeit für die bittere Pille seiner neuen Stellung England gegenüber.

Wie richtig der Emir damals die Situation erkannt hat, geht jetzt aus
dem Vertrage hervor, worin Rußland die bindende Erklärung abgibt, daß
Afghanistan außerhalb seiner Interessensphäre liege. Damit aber hat der Emir
den Rückhalt an Rußland verloren.

Dieselbe Schlußfolgerung aus den veränderten Machtverhültnissen zu ziehen
wie Afghanistan war Persien nicht in der Lage; dazu liegt es, mag Rußland
auch uoch so machtlos sein, diesem doch zu nahe und ist ihm gegenüber zu
hilflos. Es hat außerdem viel zu viel mit innern Kämpfen zu tun, bei denen
auf der einen Seite das Parlament, auf der andern der Schah mit seinen
Beamten steht. Beide Parteien sind fremdenfeindlich, aber daß die Sympathien
des Parlaments mehr England zuneigen, ist selbstverständlich. Bevor wir auf
diese Vorgänge im Innern des Landes eingehn, seien noch einige wichtige Punkte
aus dem Vertrage berührt.

Daß das Werk überhaupt zustande gekommen ist, war bei den Gegensätzen
der beiderseitigen Ziele nur möglich, wenn ein Teil nachgab, das aber hat
Rußland, das alles besaß, auf der ganzen Linie getan; außerdem waren aber
noch die Interessen der andern Mächte zu berücksichtigen, und auf beiden Seiten
war eine Menge von Gegenströmungen und Widerständen zu überwinden, die
sich während der Verhandlungen häufig in ihrer Presse widerspiegelten. Als
Proben seien hier zwei Stellen aus Artikeln in der Empire Review und der
Nowvje Wremja angeführt. In jener hieß es, daß immer und zu allen Zeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/402>, abgerufen am 26.06.2024.