Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
windthorst

Wenn Windthorst in Hannover wie in Preußen das Recht der Kirche
auf die Schule verteidigte, so wurde sein staatsrechtlicher Doktrinarismus noch
außerdem durch seinen Mangel an Kenntnis der Weltgeschichte verstärkt. Die
Kirche ist nicht, wie er meinte, die Schöpferin der Volksschule gewesen. Es
hat in den alten Kulturstaaten vor der christlichen Ära Volksschulen gegeben,
und städtische wie private Volksschulen waren mich im Mittelalter zahlreich,
zuerst in Italien, dann später in Frankreich und Deutschland; nur in der
Zeit, wo der römische Klerus und die Mönche die einzigen Träger und Ver¬
breiter der Schreib- und Lesekunst und der Wissenschaften im Norden waren,
darf die Kirche den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, unter der sehr wirk¬
samen Beihilfe großer Monarchen Lehrerin der Völker, und zwar eben nur
der nordischen, gewesen zu sein. -- Zur juristischen Auffassung der Arbeit an
einer Neuschöpfung, die unmöglich nach streng juristischen Grundsätzen voll¬
führt werden konnte, kamen zwei andre Umstände, die Windthorst mißliebig
machen mußten. Er bekannte offen seine Anhänglichkeit an den entthronten
König von Hannover, und solche Anhänglichkeit an einen erklärten und durch
seine verwandtschaftliche Verbindung mit europäischen Potentaten nicht un¬
gefährlichen Reichsfeiud ließ Windthorst zur Mitwirkung am Neubau des
Reiches wenig geeignet erscheinen. Daß er, wie er hervorhebt, seine Pflichten
als preußischer Untertan treu erfüllte, konnte nicht als ausreichendes Gegen¬
gewicht gelten gegen die welfische Neigung seines Herzens in einer Zeit, die
begeisterte Zustimmung zu der Neuordnung forderte. Endlich vertrat er auch
noch die katholischen Interessen, die im Jahre der Unfehlbarkeitsertlürung
mehr als je identisch waren mit den päpstlichen, und Pius der Neunte hatte
eben damals durch das Konzil und was ihm voranging bei den Evangelischen
wie bei allen freiern Geistern unter den Katholiken den alten Haß gegen das
Papsttum erneuert und zur heftigsten Glut entflammt.

Wie kam es nun, daß Windthorst trotz dieser Ungunst seiner Position
gerade in dem Kampfe, der mit der heftigsten Leidenschaft geführt wurde und
die ersten Jahre des neuen Reiches beinahe ausfüllte, Sieger geblieben ist?
Weil der Reichs- und der Staatswagen tatsächlich zu schnell fuhren und der
Hemmung bedurften, weil man in Hurrastimmuug übereilte und undurchführ¬
bare Gesetze beschloß, und weil die Gesetzgebung einen ganz unsinnigen Kurs
einschlug. Gewiß war auch eine neue Abgrenzung der Befugnisse von Kirche
und Staat notwendig geworden; nicht erst durch das Vatikanum, sondern
weil sich im Verlauf der letzten hundert Jahre vieles geändert hatte. Friedrich
der Große zum Beispiel hatte in Schlesien den Pfarrern mancherlei Funktionen
übertragen, aus dem einfachen Grunde, weil andre taugliche Organe für sie
nicht vorhanden waren. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren
solche reichlich vorhanden, und man konnte daran denken, diese Funktionen
nach und nach den Geistlichen abzunehmen und Staatsbeamten zu übertragen.
Aber es eilte nicht damit. Es konnte in gemächlichen Tempo und stückweise


windthorst

Wenn Windthorst in Hannover wie in Preußen das Recht der Kirche
auf die Schule verteidigte, so wurde sein staatsrechtlicher Doktrinarismus noch
außerdem durch seinen Mangel an Kenntnis der Weltgeschichte verstärkt. Die
Kirche ist nicht, wie er meinte, die Schöpferin der Volksschule gewesen. Es
hat in den alten Kulturstaaten vor der christlichen Ära Volksschulen gegeben,
und städtische wie private Volksschulen waren mich im Mittelalter zahlreich,
zuerst in Italien, dann später in Frankreich und Deutschland; nur in der
Zeit, wo der römische Klerus und die Mönche die einzigen Träger und Ver¬
breiter der Schreib- und Lesekunst und der Wissenschaften im Norden waren,
darf die Kirche den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, unter der sehr wirk¬
samen Beihilfe großer Monarchen Lehrerin der Völker, und zwar eben nur
der nordischen, gewesen zu sein. — Zur juristischen Auffassung der Arbeit an
einer Neuschöpfung, die unmöglich nach streng juristischen Grundsätzen voll¬
führt werden konnte, kamen zwei andre Umstände, die Windthorst mißliebig
machen mußten. Er bekannte offen seine Anhänglichkeit an den entthronten
König von Hannover, und solche Anhänglichkeit an einen erklärten und durch
seine verwandtschaftliche Verbindung mit europäischen Potentaten nicht un¬
gefährlichen Reichsfeiud ließ Windthorst zur Mitwirkung am Neubau des
Reiches wenig geeignet erscheinen. Daß er, wie er hervorhebt, seine Pflichten
als preußischer Untertan treu erfüllte, konnte nicht als ausreichendes Gegen¬
gewicht gelten gegen die welfische Neigung seines Herzens in einer Zeit, die
begeisterte Zustimmung zu der Neuordnung forderte. Endlich vertrat er auch
noch die katholischen Interessen, die im Jahre der Unfehlbarkeitsertlürung
mehr als je identisch waren mit den päpstlichen, und Pius der Neunte hatte
eben damals durch das Konzil und was ihm voranging bei den Evangelischen
wie bei allen freiern Geistern unter den Katholiken den alten Haß gegen das
Papsttum erneuert und zur heftigsten Glut entflammt.

Wie kam es nun, daß Windthorst trotz dieser Ungunst seiner Position
gerade in dem Kampfe, der mit der heftigsten Leidenschaft geführt wurde und
die ersten Jahre des neuen Reiches beinahe ausfüllte, Sieger geblieben ist?
Weil der Reichs- und der Staatswagen tatsächlich zu schnell fuhren und der
Hemmung bedurften, weil man in Hurrastimmuug übereilte und undurchführ¬
bare Gesetze beschloß, und weil die Gesetzgebung einen ganz unsinnigen Kurs
einschlug. Gewiß war auch eine neue Abgrenzung der Befugnisse von Kirche
und Staat notwendig geworden; nicht erst durch das Vatikanum, sondern
weil sich im Verlauf der letzten hundert Jahre vieles geändert hatte. Friedrich
der Große zum Beispiel hatte in Schlesien den Pfarrern mancherlei Funktionen
übertragen, aus dem einfachen Grunde, weil andre taugliche Organe für sie
nicht vorhanden waren. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren
solche reichlich vorhanden, und man konnte daran denken, diese Funktionen
nach und nach den Geistlichen abzunehmen und Staatsbeamten zu übertragen.
Aber es eilte nicht damit. Es konnte in gemächlichen Tempo und stückweise


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303772"/>
          <fw type="header" place="top"> windthorst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1566"> Wenn Windthorst in Hannover wie in Preußen das Recht der Kirche<lb/>
auf die Schule verteidigte, so wurde sein staatsrechtlicher Doktrinarismus noch<lb/>
außerdem durch seinen Mangel an Kenntnis der Weltgeschichte verstärkt. Die<lb/>
Kirche ist nicht, wie er meinte, die Schöpferin der Volksschule gewesen. Es<lb/>
hat in den alten Kulturstaaten vor der christlichen Ära Volksschulen gegeben,<lb/>
und städtische wie private Volksschulen waren mich im Mittelalter zahlreich,<lb/>
zuerst in Italien, dann später in Frankreich und Deutschland; nur in der<lb/>
Zeit, wo der römische Klerus und die Mönche die einzigen Träger und Ver¬<lb/>
breiter der Schreib- und Lesekunst und der Wissenschaften im Norden waren,<lb/>
darf die Kirche den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, unter der sehr wirk¬<lb/>
samen Beihilfe großer Monarchen Lehrerin der Völker, und zwar eben nur<lb/>
der nordischen, gewesen zu sein. &#x2014; Zur juristischen Auffassung der Arbeit an<lb/>
einer Neuschöpfung, die unmöglich nach streng juristischen Grundsätzen voll¬<lb/>
führt werden konnte, kamen zwei andre Umstände, die Windthorst mißliebig<lb/>
machen mußten. Er bekannte offen seine Anhänglichkeit an den entthronten<lb/>
König von Hannover, und solche Anhänglichkeit an einen erklärten und durch<lb/>
seine verwandtschaftliche Verbindung mit europäischen Potentaten nicht un¬<lb/>
gefährlichen Reichsfeiud ließ Windthorst zur Mitwirkung am Neubau des<lb/>
Reiches wenig geeignet erscheinen. Daß er, wie er hervorhebt, seine Pflichten<lb/>
als preußischer Untertan treu erfüllte, konnte nicht als ausreichendes Gegen¬<lb/>
gewicht gelten gegen die welfische Neigung seines Herzens in einer Zeit, die<lb/>
begeisterte Zustimmung zu der Neuordnung forderte. Endlich vertrat er auch<lb/>
noch die katholischen Interessen, die im Jahre der Unfehlbarkeitsertlürung<lb/>
mehr als je identisch waren mit den päpstlichen, und Pius der Neunte hatte<lb/>
eben damals durch das Konzil und was ihm voranging bei den Evangelischen<lb/>
wie bei allen freiern Geistern unter den Katholiken den alten Haß gegen das<lb/>
Papsttum erneuert und zur heftigsten Glut entflammt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1567" next="#ID_1568"> Wie kam es nun, daß Windthorst trotz dieser Ungunst seiner Position<lb/>
gerade in dem Kampfe, der mit der heftigsten Leidenschaft geführt wurde und<lb/>
die ersten Jahre des neuen Reiches beinahe ausfüllte, Sieger geblieben ist?<lb/>
Weil der Reichs- und der Staatswagen tatsächlich zu schnell fuhren und der<lb/>
Hemmung bedurften, weil man in Hurrastimmuug übereilte und undurchführ¬<lb/>
bare Gesetze beschloß, und weil die Gesetzgebung einen ganz unsinnigen Kurs<lb/>
einschlug. Gewiß war auch eine neue Abgrenzung der Befugnisse von Kirche<lb/>
und Staat notwendig geworden; nicht erst durch das Vatikanum, sondern<lb/>
weil sich im Verlauf der letzten hundert Jahre vieles geändert hatte. Friedrich<lb/>
der Große zum Beispiel hatte in Schlesien den Pfarrern mancherlei Funktionen<lb/>
übertragen, aus dem einfachen Grunde, weil andre taugliche Organe für sie<lb/>
nicht vorhanden waren. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren<lb/>
solche reichlich vorhanden, und man konnte daran denken, diese Funktionen<lb/>
nach und nach den Geistlichen abzunehmen und Staatsbeamten zu übertragen.<lb/>
Aber es eilte nicht damit.  Es konnte in gemächlichen Tempo und stückweise</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] windthorst Wenn Windthorst in Hannover wie in Preußen das Recht der Kirche auf die Schule verteidigte, so wurde sein staatsrechtlicher Doktrinarismus noch außerdem durch seinen Mangel an Kenntnis der Weltgeschichte verstärkt. Die Kirche ist nicht, wie er meinte, die Schöpferin der Volksschule gewesen. Es hat in den alten Kulturstaaten vor der christlichen Ära Volksschulen gegeben, und städtische wie private Volksschulen waren mich im Mittelalter zahlreich, zuerst in Italien, dann später in Frankreich und Deutschland; nur in der Zeit, wo der römische Klerus und die Mönche die einzigen Träger und Ver¬ breiter der Schreib- und Lesekunst und der Wissenschaften im Norden waren, darf die Kirche den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, unter der sehr wirk¬ samen Beihilfe großer Monarchen Lehrerin der Völker, und zwar eben nur der nordischen, gewesen zu sein. — Zur juristischen Auffassung der Arbeit an einer Neuschöpfung, die unmöglich nach streng juristischen Grundsätzen voll¬ führt werden konnte, kamen zwei andre Umstände, die Windthorst mißliebig machen mußten. Er bekannte offen seine Anhänglichkeit an den entthronten König von Hannover, und solche Anhänglichkeit an einen erklärten und durch seine verwandtschaftliche Verbindung mit europäischen Potentaten nicht un¬ gefährlichen Reichsfeiud ließ Windthorst zur Mitwirkung am Neubau des Reiches wenig geeignet erscheinen. Daß er, wie er hervorhebt, seine Pflichten als preußischer Untertan treu erfüllte, konnte nicht als ausreichendes Gegen¬ gewicht gelten gegen die welfische Neigung seines Herzens in einer Zeit, die begeisterte Zustimmung zu der Neuordnung forderte. Endlich vertrat er auch noch die katholischen Interessen, die im Jahre der Unfehlbarkeitsertlürung mehr als je identisch waren mit den päpstlichen, und Pius der Neunte hatte eben damals durch das Konzil und was ihm voranging bei den Evangelischen wie bei allen freiern Geistern unter den Katholiken den alten Haß gegen das Papsttum erneuert und zur heftigsten Glut entflammt. Wie kam es nun, daß Windthorst trotz dieser Ungunst seiner Position gerade in dem Kampfe, der mit der heftigsten Leidenschaft geführt wurde und die ersten Jahre des neuen Reiches beinahe ausfüllte, Sieger geblieben ist? Weil der Reichs- und der Staatswagen tatsächlich zu schnell fuhren und der Hemmung bedurften, weil man in Hurrastimmuug übereilte und undurchführ¬ bare Gesetze beschloß, und weil die Gesetzgebung einen ganz unsinnigen Kurs einschlug. Gewiß war auch eine neue Abgrenzung der Befugnisse von Kirche und Staat notwendig geworden; nicht erst durch das Vatikanum, sondern weil sich im Verlauf der letzten hundert Jahre vieles geändert hatte. Friedrich der Große zum Beispiel hatte in Schlesien den Pfarrern mancherlei Funktionen übertragen, aus dem einfachen Grunde, weil andre taugliche Organe für sie nicht vorhanden waren. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren solche reichlich vorhanden, und man konnte daran denken, diese Funktionen nach und nach den Geistlichen abzunehmen und Staatsbeamten zu übertragen. Aber es eilte nicht damit. Es konnte in gemächlichen Tempo und stückweise

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/356>, abgerufen am 23.07.2024.