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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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windthorst

Vertretung der Krone Hannover in dein Prozeß gegen den Grafen Otto
von Stolberg-Wernigerode um die Grafschaft Elbingerode, der dann nach der
Annexion durch einen Vergleich des Grafen mit Preußen geschlichtet worden
ist. Weil der in der Stadt Hannover privatim geübte politische Einfluß
Windthorsts dem Ministerium unbequem war, ernannte ihn der König im
Mai 1866 zum Kronoberanwalt in Celle. Windthorst wollte nicht aus
Hannover fort, der König aber bestand auf der Annahme "bei meiner Un¬
gnade!" Dem König im Unglück ist Windthorst treu geblieben, doch er war
nicht der Ansicht seiner welfischen Freunde, daß ein treuer Hannoveraner am
politischen Leben Preußens leinen tätigen Anteil nehmen dürfe. Er war
gegen seinen Willen preußischer Staatsbürger geworden, aber nachdem er es
geworden, hielt er es für seine Pflicht, sich als solcher zu betätigen. Er
nahm Mandate an für den Norddeutschen Reichstag und für den preußischen
Landtag. August Reichensperger, der damals die Hannoveraner noch nicht
gekannt zu haben scheint, erkundigte sich bei dem altliberalen (als Original
berühmten) Landrat Georg von Vincke nach den neuen Männern. Vincke
antwortete: "Wollen Sie wissen, wer jetzt bei uns die drei gescheitesten Leute
sind? Das sind drei annektierte Hannoveraner. Der eine ist Bennigsen, der
ist sehr gescheit; der zweite ist Miquel, der ist noch gescheiter; der dritte aber
ist Windthorst, der ist so gescheit wie die beiden andern zusammen."

Den bei weitem größten Teil des Vnches nimmt die Darstellung der
parlamentarischen Tätigkeit Windthorsts im neuen Reiche ein, die bei der
Natur dieser Tätigkeit beinahe zu einer Geschichte der Parlamentsverhand-
lungen von 1866 bis 1891 geworden ist. Über jeden Abschnitt dieser Dar¬
stellung ließen sich lange Betrachtungen anstellen, wir beschränken uns jedoch
auf eine grundsätzliche Würdigung der Tätigkeit Windthorsts im ganzen. In
dem lange währenden Duell mit seinem großen Gegner war ihm die undank¬
barere Rolle zugefallen, die schon der Unterschied der beiderseitigen leiblichen
Erscheinung symbolisierte. Während der bloße Anblick der Heldengestalt Bis-
mcircks und seines strahlenden blauen Auges die Massen begeisterte und hinriß,
erinnerten Windthorsts Zwergengcstalt und die unschönen Züge seines Antlitzes
mit den beinahe erloschnen Augen an die bösen Erdmännlein und Kobolde
der germanischen Sage, die mitunter die ihrem bösartigen Gemüt entsprechende
Neptiliengcstalt anzunehmen beliebten. Bismarck war berufen, eine von der
Mehrheit des deutschen Volkes ersehnte und in jedem Stadium ihres Fort¬
schritts mit Jubel begrüßte weltgeschichtliche Umwälzung einzuleiten und durch¬
zuführen, Deutschland zur ausschlaggebenden Macht in Europa zu erheben
und der Welt Furcht und Ehrfurcht vor dieser Macht einzuflößen. Jeder
Versuch, diese glanzvolle Entwicklung in ihrem Laufe aufzuhalten, mußte bei
den freudig erregten Volksmassen Unwillen und Entrüstung hervorrufen, und
Bremse an dem unter Hurra vorwärts stürmenden Neichswagen zu sein, diese
undankbare Aufgabe war eben Windthorst zugefallen. Er war dazu prädestiniert


windthorst

Vertretung der Krone Hannover in dein Prozeß gegen den Grafen Otto
von Stolberg-Wernigerode um die Grafschaft Elbingerode, der dann nach der
Annexion durch einen Vergleich des Grafen mit Preußen geschlichtet worden
ist. Weil der in der Stadt Hannover privatim geübte politische Einfluß
Windthorsts dem Ministerium unbequem war, ernannte ihn der König im
Mai 1866 zum Kronoberanwalt in Celle. Windthorst wollte nicht aus
Hannover fort, der König aber bestand auf der Annahme „bei meiner Un¬
gnade!" Dem König im Unglück ist Windthorst treu geblieben, doch er war
nicht der Ansicht seiner welfischen Freunde, daß ein treuer Hannoveraner am
politischen Leben Preußens leinen tätigen Anteil nehmen dürfe. Er war
gegen seinen Willen preußischer Staatsbürger geworden, aber nachdem er es
geworden, hielt er es für seine Pflicht, sich als solcher zu betätigen. Er
nahm Mandate an für den Norddeutschen Reichstag und für den preußischen
Landtag. August Reichensperger, der damals die Hannoveraner noch nicht
gekannt zu haben scheint, erkundigte sich bei dem altliberalen (als Original
berühmten) Landrat Georg von Vincke nach den neuen Männern. Vincke
antwortete: „Wollen Sie wissen, wer jetzt bei uns die drei gescheitesten Leute
sind? Das sind drei annektierte Hannoveraner. Der eine ist Bennigsen, der
ist sehr gescheit; der zweite ist Miquel, der ist noch gescheiter; der dritte aber
ist Windthorst, der ist so gescheit wie die beiden andern zusammen."

Den bei weitem größten Teil des Vnches nimmt die Darstellung der
parlamentarischen Tätigkeit Windthorsts im neuen Reiche ein, die bei der
Natur dieser Tätigkeit beinahe zu einer Geschichte der Parlamentsverhand-
lungen von 1866 bis 1891 geworden ist. Über jeden Abschnitt dieser Dar¬
stellung ließen sich lange Betrachtungen anstellen, wir beschränken uns jedoch
auf eine grundsätzliche Würdigung der Tätigkeit Windthorsts im ganzen. In
dem lange währenden Duell mit seinem großen Gegner war ihm die undank¬
barere Rolle zugefallen, die schon der Unterschied der beiderseitigen leiblichen
Erscheinung symbolisierte. Während der bloße Anblick der Heldengestalt Bis-
mcircks und seines strahlenden blauen Auges die Massen begeisterte und hinriß,
erinnerten Windthorsts Zwergengcstalt und die unschönen Züge seines Antlitzes
mit den beinahe erloschnen Augen an die bösen Erdmännlein und Kobolde
der germanischen Sage, die mitunter die ihrem bösartigen Gemüt entsprechende
Neptiliengcstalt anzunehmen beliebten. Bismarck war berufen, eine von der
Mehrheit des deutschen Volkes ersehnte und in jedem Stadium ihres Fort¬
schritts mit Jubel begrüßte weltgeschichtliche Umwälzung einzuleiten und durch¬
zuführen, Deutschland zur ausschlaggebenden Macht in Europa zu erheben
und der Welt Furcht und Ehrfurcht vor dieser Macht einzuflößen. Jeder
Versuch, diese glanzvolle Entwicklung in ihrem Laufe aufzuhalten, mußte bei
den freudig erregten Volksmassen Unwillen und Entrüstung hervorrufen, und
Bremse an dem unter Hurra vorwärts stürmenden Neichswagen zu sein, diese
undankbare Aufgabe war eben Windthorst zugefallen. Er war dazu prädestiniert


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[0354] windthorst Vertretung der Krone Hannover in dein Prozeß gegen den Grafen Otto von Stolberg-Wernigerode um die Grafschaft Elbingerode, der dann nach der Annexion durch einen Vergleich des Grafen mit Preußen geschlichtet worden ist. Weil der in der Stadt Hannover privatim geübte politische Einfluß Windthorsts dem Ministerium unbequem war, ernannte ihn der König im Mai 1866 zum Kronoberanwalt in Celle. Windthorst wollte nicht aus Hannover fort, der König aber bestand auf der Annahme „bei meiner Un¬ gnade!" Dem König im Unglück ist Windthorst treu geblieben, doch er war nicht der Ansicht seiner welfischen Freunde, daß ein treuer Hannoveraner am politischen Leben Preußens leinen tätigen Anteil nehmen dürfe. Er war gegen seinen Willen preußischer Staatsbürger geworden, aber nachdem er es geworden, hielt er es für seine Pflicht, sich als solcher zu betätigen. Er nahm Mandate an für den Norddeutschen Reichstag und für den preußischen Landtag. August Reichensperger, der damals die Hannoveraner noch nicht gekannt zu haben scheint, erkundigte sich bei dem altliberalen (als Original berühmten) Landrat Georg von Vincke nach den neuen Männern. Vincke antwortete: „Wollen Sie wissen, wer jetzt bei uns die drei gescheitesten Leute sind? Das sind drei annektierte Hannoveraner. Der eine ist Bennigsen, der ist sehr gescheit; der zweite ist Miquel, der ist noch gescheiter; der dritte aber ist Windthorst, der ist so gescheit wie die beiden andern zusammen." Den bei weitem größten Teil des Vnches nimmt die Darstellung der parlamentarischen Tätigkeit Windthorsts im neuen Reiche ein, die bei der Natur dieser Tätigkeit beinahe zu einer Geschichte der Parlamentsverhand- lungen von 1866 bis 1891 geworden ist. Über jeden Abschnitt dieser Dar¬ stellung ließen sich lange Betrachtungen anstellen, wir beschränken uns jedoch auf eine grundsätzliche Würdigung der Tätigkeit Windthorsts im ganzen. In dem lange währenden Duell mit seinem großen Gegner war ihm die undank¬ barere Rolle zugefallen, die schon der Unterschied der beiderseitigen leiblichen Erscheinung symbolisierte. Während der bloße Anblick der Heldengestalt Bis- mcircks und seines strahlenden blauen Auges die Massen begeisterte und hinriß, erinnerten Windthorsts Zwergengcstalt und die unschönen Züge seines Antlitzes mit den beinahe erloschnen Augen an die bösen Erdmännlein und Kobolde der germanischen Sage, die mitunter die ihrem bösartigen Gemüt entsprechende Neptiliengcstalt anzunehmen beliebten. Bismarck war berufen, eine von der Mehrheit des deutschen Volkes ersehnte und in jedem Stadium ihres Fort¬ schritts mit Jubel begrüßte weltgeschichtliche Umwälzung einzuleiten und durch¬ zuführen, Deutschland zur ausschlaggebenden Macht in Europa zu erheben und der Welt Furcht und Ehrfurcht vor dieser Macht einzuflößen. Jeder Versuch, diese glanzvolle Entwicklung in ihrem Laufe aufzuhalten, mußte bei den freudig erregten Volksmassen Unwillen und Entrüstung hervorrufen, und Bremse an dem unter Hurra vorwärts stürmenden Neichswagen zu sein, diese undankbare Aufgabe war eben Windthorst zugefallen. Er war dazu prädestiniert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/354>, abgerufen am 23.07.2024.