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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bessere Überzeugung über den Schulstreik in einer Weise äußerte, die zwar vor¬
sichtig gehalten war und es vermied, zum Ungehorsam gegen den Staat aufzu¬
fordern, aber doch den Geistlichen einen gewissen Rückhalt gab, Öl ins Feuer zu
gießen und den Schulstreik zu schüren. Dieser Streik ist kläglich gescheitert, weil
die Regierung wider Erwarten kaltblütig und fest ihre Autorität wahrte, während
sich die polnischen Geistlichen von ihrer nationalen Leidenschaft hinreißen ließen und
sich dadurch in ihren eignen Schlingen fingen. Das notwendige Nachspiel des
Schulstreiks ist jetzt eine Reihe von Prozessen gegen Geistliche, die ihrer Pflicht
gegen die Obrigkeit nicht eingedenk gewesen sind. Diese Erfahrung hat im pol¬
nischen Lager eine maßlose Wut und Erbitterung erzeugt, die in dem Verlangen
zum Ausdruck kommt, die katholische Kirche sollte sich direkt in den Dienst des
Polentums stellen. Die polnische Presse macht auch vor dem Oberhaupt der Kirche
nicht Halt, sondern treibt ihre heftigen Anklagen bis zur Drohung mit dem Schisma.
Das ist nun freilich nicht so ernst zu nehmen. Die Polen sind mit leidenschaft¬
lichen, großen und hochtrabenden Worten leicht bei der Hand, aber ein ernster
Wille steht nicht dahinter. Es ist ein Stimmungssymptom, das für uns den Wert hat,
die vielgerühmte Kirchlichkeit und Glaubenstreue der Polen in die rechte Beleuchtung
zu stellen. Es wäre natürlich falsch und ungerecht, die Bedeutung des religiösen
Moments in der Veranlagung der Polen verkennen und übersehen zu wollen, aber
diese Religiosität ist nur eine Äußerung und Begleiterscheinung des Nationalismus; die
Religion ist für den Polen ein Nationalheiligtum, nicht ein persönliches Gut. Darum
verlangt es die Politik, daß ein Pole sich nicht nur zu seiner Kirche, sondern auch vor
allem, daß die Kirche sich zu seinem Volke bekennt. Daß es auch deutsche Katholiken
gibt, interessiert ihn gar nicht. In der Diözese Kulm ist es, wie schon erwähnt, zu
einer offnen Kundgebung der Geistlichkeit gegen den Bischof gekommen, weil Bischof
Rosentreter sich nicht dazu verstanden hat, mit den polnischen Heißspornen durch
dick und dünn zu gehn. Dabei hat der Bischof schon mehr getan, als er eigentlich
als preußischer Bischof unter normalen Verhältnissen hätte tun dürfen. Er hat sich
mit Vorstellungen an die Regierung gewandt -- gewiß sein gutes Recht, wenn die
Regierung etwas neues, von der Kirche stets und überall abgekehrtes verlangt hätte.
Aber das war hier nicht der Fall, und so hätte es wohl einem christlichen Bischof
besser angestanden, lieber seine Diözescmen zum Gehorsam gegen die Gesetze anzu¬
halten, als dem Staate Vorhaltungen zu machen. Nun wollen wir das dem Bischof
nicht zu schwer anrechnen, denn es ist bekannt, in welcher schwierigen Lage er ist.
Es mußte nur in diesem Falle wenigstens das eine hervorgehoben werden, daß,
wenn überhaupt eine Anklage erhoben werden soll, die preußische Staatsregierung
viel mehr Grund dazu hat als die polnische Geistlichkeit. Es liegt also eine ungeheure
Dreistigkeit in dem Vorgehn der Kulmer Geistlichen, die -- nach dem Muster Zolas in
der Dreifusaffäre -- in ihrer Veröffentlichung den Ruf erschallen lassen: "Wir klagen
an!" Die polnische Leidenschaft spielt dabei ein gefährliches Spiel. Wenn auf diesem
Wege fortgefahren wird, so wird die Erbitterung der deutschen Katholiken in den Ost¬
marken auf einen Grad gesteigert, der den Polen verhängnisvoll werden muß. Alles
kommt freilich darauf an, daß die Preußische Regierung gerade bei dieser Lage der
Dinge die nötige Festigkeit bewahrt und sich auf keine Weise über die Bedeutung des
5" führenden Kampfes irreführen läßt. Die scheinbare Steigerung der Leidenschaften
erschreckt natürlich friedfertige Gemüter, die den Kampf der Nationalitäten im Osten
von demselben Standpunkt betrachten wie die Gegensätze der Parteien oder der Bekennt¬
nisse. Sie vergessen dabei, daß sich die Glieder eines Volks, auch wenn sie verschiednen
Parteien oder Bekenntnissen angehören, zuletzt doch in vaterländischen Interessen
begegnen und vertragen müssen. Bei den nationalen Gegensätzen im Osten haben
wir es aber mit einer grundsätzlichen Verneinung der Gemeinsamkett vaterländischer
Interessen zu tun. Wir haben es gar nicht in der Hand, Frieden zu halten, da


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bessere Überzeugung über den Schulstreik in einer Weise äußerte, die zwar vor¬
sichtig gehalten war und es vermied, zum Ungehorsam gegen den Staat aufzu¬
fordern, aber doch den Geistlichen einen gewissen Rückhalt gab, Öl ins Feuer zu
gießen und den Schulstreik zu schüren. Dieser Streik ist kläglich gescheitert, weil
die Regierung wider Erwarten kaltblütig und fest ihre Autorität wahrte, während
sich die polnischen Geistlichen von ihrer nationalen Leidenschaft hinreißen ließen und
sich dadurch in ihren eignen Schlingen fingen. Das notwendige Nachspiel des
Schulstreiks ist jetzt eine Reihe von Prozessen gegen Geistliche, die ihrer Pflicht
gegen die Obrigkeit nicht eingedenk gewesen sind. Diese Erfahrung hat im pol¬
nischen Lager eine maßlose Wut und Erbitterung erzeugt, die in dem Verlangen
zum Ausdruck kommt, die katholische Kirche sollte sich direkt in den Dienst des
Polentums stellen. Die polnische Presse macht auch vor dem Oberhaupt der Kirche
nicht Halt, sondern treibt ihre heftigen Anklagen bis zur Drohung mit dem Schisma.
Das ist nun freilich nicht so ernst zu nehmen. Die Polen sind mit leidenschaft¬
lichen, großen und hochtrabenden Worten leicht bei der Hand, aber ein ernster
Wille steht nicht dahinter. Es ist ein Stimmungssymptom, das für uns den Wert hat,
die vielgerühmte Kirchlichkeit und Glaubenstreue der Polen in die rechte Beleuchtung
zu stellen. Es wäre natürlich falsch und ungerecht, die Bedeutung des religiösen
Moments in der Veranlagung der Polen verkennen und übersehen zu wollen, aber
diese Religiosität ist nur eine Äußerung und Begleiterscheinung des Nationalismus; die
Religion ist für den Polen ein Nationalheiligtum, nicht ein persönliches Gut. Darum
verlangt es die Politik, daß ein Pole sich nicht nur zu seiner Kirche, sondern auch vor
allem, daß die Kirche sich zu seinem Volke bekennt. Daß es auch deutsche Katholiken
gibt, interessiert ihn gar nicht. In der Diözese Kulm ist es, wie schon erwähnt, zu
einer offnen Kundgebung der Geistlichkeit gegen den Bischof gekommen, weil Bischof
Rosentreter sich nicht dazu verstanden hat, mit den polnischen Heißspornen durch
dick und dünn zu gehn. Dabei hat der Bischof schon mehr getan, als er eigentlich
als preußischer Bischof unter normalen Verhältnissen hätte tun dürfen. Er hat sich
mit Vorstellungen an die Regierung gewandt — gewiß sein gutes Recht, wenn die
Regierung etwas neues, von der Kirche stets und überall abgekehrtes verlangt hätte.
Aber das war hier nicht der Fall, und so hätte es wohl einem christlichen Bischof
besser angestanden, lieber seine Diözescmen zum Gehorsam gegen die Gesetze anzu¬
halten, als dem Staate Vorhaltungen zu machen. Nun wollen wir das dem Bischof
nicht zu schwer anrechnen, denn es ist bekannt, in welcher schwierigen Lage er ist.
Es mußte nur in diesem Falle wenigstens das eine hervorgehoben werden, daß,
wenn überhaupt eine Anklage erhoben werden soll, die preußische Staatsregierung
viel mehr Grund dazu hat als die polnische Geistlichkeit. Es liegt also eine ungeheure
Dreistigkeit in dem Vorgehn der Kulmer Geistlichen, die — nach dem Muster Zolas in
der Dreifusaffäre — in ihrer Veröffentlichung den Ruf erschallen lassen: „Wir klagen
an!" Die polnische Leidenschaft spielt dabei ein gefährliches Spiel. Wenn auf diesem
Wege fortgefahren wird, so wird die Erbitterung der deutschen Katholiken in den Ost¬
marken auf einen Grad gesteigert, der den Polen verhängnisvoll werden muß. Alles
kommt freilich darauf an, daß die Preußische Regierung gerade bei dieser Lage der
Dinge die nötige Festigkeit bewahrt und sich auf keine Weise über die Bedeutung des
5" führenden Kampfes irreführen läßt. Die scheinbare Steigerung der Leidenschaften
erschreckt natürlich friedfertige Gemüter, die den Kampf der Nationalitäten im Osten
von demselben Standpunkt betrachten wie die Gegensätze der Parteien oder der Bekennt¬
nisse. Sie vergessen dabei, daß sich die Glieder eines Volks, auch wenn sie verschiednen
Parteien oder Bekenntnissen angehören, zuletzt doch in vaterländischen Interessen
begegnen und vertragen müssen. Bei den nationalen Gegensätzen im Osten haben
wir es aber mit einer grundsätzlichen Verneinung der Gemeinsamkett vaterländischer
Interessen zu tun. Wir haben es gar nicht in der Hand, Frieden zu halten, da


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[0225] Maßgebliches und Unmaßgebliches bessere Überzeugung über den Schulstreik in einer Weise äußerte, die zwar vor¬ sichtig gehalten war und es vermied, zum Ungehorsam gegen den Staat aufzu¬ fordern, aber doch den Geistlichen einen gewissen Rückhalt gab, Öl ins Feuer zu gießen und den Schulstreik zu schüren. Dieser Streik ist kläglich gescheitert, weil die Regierung wider Erwarten kaltblütig und fest ihre Autorität wahrte, während sich die polnischen Geistlichen von ihrer nationalen Leidenschaft hinreißen ließen und sich dadurch in ihren eignen Schlingen fingen. Das notwendige Nachspiel des Schulstreiks ist jetzt eine Reihe von Prozessen gegen Geistliche, die ihrer Pflicht gegen die Obrigkeit nicht eingedenk gewesen sind. Diese Erfahrung hat im pol¬ nischen Lager eine maßlose Wut und Erbitterung erzeugt, die in dem Verlangen zum Ausdruck kommt, die katholische Kirche sollte sich direkt in den Dienst des Polentums stellen. Die polnische Presse macht auch vor dem Oberhaupt der Kirche nicht Halt, sondern treibt ihre heftigen Anklagen bis zur Drohung mit dem Schisma. Das ist nun freilich nicht so ernst zu nehmen. Die Polen sind mit leidenschaft¬ lichen, großen und hochtrabenden Worten leicht bei der Hand, aber ein ernster Wille steht nicht dahinter. Es ist ein Stimmungssymptom, das für uns den Wert hat, die vielgerühmte Kirchlichkeit und Glaubenstreue der Polen in die rechte Beleuchtung zu stellen. Es wäre natürlich falsch und ungerecht, die Bedeutung des religiösen Moments in der Veranlagung der Polen verkennen und übersehen zu wollen, aber diese Religiosität ist nur eine Äußerung und Begleiterscheinung des Nationalismus; die Religion ist für den Polen ein Nationalheiligtum, nicht ein persönliches Gut. Darum verlangt es die Politik, daß ein Pole sich nicht nur zu seiner Kirche, sondern auch vor allem, daß die Kirche sich zu seinem Volke bekennt. Daß es auch deutsche Katholiken gibt, interessiert ihn gar nicht. In der Diözese Kulm ist es, wie schon erwähnt, zu einer offnen Kundgebung der Geistlichkeit gegen den Bischof gekommen, weil Bischof Rosentreter sich nicht dazu verstanden hat, mit den polnischen Heißspornen durch dick und dünn zu gehn. Dabei hat der Bischof schon mehr getan, als er eigentlich als preußischer Bischof unter normalen Verhältnissen hätte tun dürfen. Er hat sich mit Vorstellungen an die Regierung gewandt — gewiß sein gutes Recht, wenn die Regierung etwas neues, von der Kirche stets und überall abgekehrtes verlangt hätte. Aber das war hier nicht der Fall, und so hätte es wohl einem christlichen Bischof besser angestanden, lieber seine Diözescmen zum Gehorsam gegen die Gesetze anzu¬ halten, als dem Staate Vorhaltungen zu machen. Nun wollen wir das dem Bischof nicht zu schwer anrechnen, denn es ist bekannt, in welcher schwierigen Lage er ist. Es mußte nur in diesem Falle wenigstens das eine hervorgehoben werden, daß, wenn überhaupt eine Anklage erhoben werden soll, die preußische Staatsregierung viel mehr Grund dazu hat als die polnische Geistlichkeit. Es liegt also eine ungeheure Dreistigkeit in dem Vorgehn der Kulmer Geistlichen, die — nach dem Muster Zolas in der Dreifusaffäre — in ihrer Veröffentlichung den Ruf erschallen lassen: „Wir klagen an!" Die polnische Leidenschaft spielt dabei ein gefährliches Spiel. Wenn auf diesem Wege fortgefahren wird, so wird die Erbitterung der deutschen Katholiken in den Ost¬ marken auf einen Grad gesteigert, der den Polen verhängnisvoll werden muß. Alles kommt freilich darauf an, daß die Preußische Regierung gerade bei dieser Lage der Dinge die nötige Festigkeit bewahrt und sich auf keine Weise über die Bedeutung des 5" führenden Kampfes irreführen läßt. Die scheinbare Steigerung der Leidenschaften erschreckt natürlich friedfertige Gemüter, die den Kampf der Nationalitäten im Osten von demselben Standpunkt betrachten wie die Gegensätze der Parteien oder der Bekennt¬ nisse. Sie vergessen dabei, daß sich die Glieder eines Volks, auch wenn sie verschiednen Parteien oder Bekenntnissen angehören, zuletzt doch in vaterländischen Interessen begegnen und vertragen müssen. Bei den nationalen Gegensätzen im Osten haben wir es aber mit einer grundsätzlichen Verneinung der Gemeinsamkett vaterländischer Interessen zu tun. Wir haben es gar nicht in der Hand, Frieden zu halten, da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/225>, abgerufen am 26.06.2024.