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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gingen dann noch einen Schritt weiter; sie sahen in ihm den Erwählten unver¬
antwortlicher Ratgeber, die dem Fürsten Bülow ein Bein stellen wollten. Die
tatsächliche Unterlage aller dieser Geschichten bestand einzig und allein darin,
daß Herr von Tschirschky den Kaiser eine Zeit lang auf seinen Nordlandfahrten
als Vertreter des Auswärtigen Amts begleitet hatte. Und da es für gewisse
Geschichtsmacher vom allermodernsten Schlage ein heiliges, unumstößliches Dogma
ist, daß jeder Beamte, der sich in solcher Tätigkeit das Wohlwollen des Kaisers
erwirbt, ein unfähiger Byzantiner sein müsse, gegen dessen Emporsteigen sich der
Reichskanzler -- natürlich vergeblich und unter allerlei Demütigungen und Opfern
des Intellekts -- mit Händen und Füßen zu wehren sucht, so forderte die Kon¬
struktion einer hübschen Geschichte, wie man Staatssekretär wird, keine besondre
geistige Anstrengung, was zur erfolgreichen Verbreitung der Geschichte nicht un¬
wesentlich beitrug. Andre Leute konnten ja freilich auf den Gedanken kommen, daß
die Sache etwas anders liege. Wie nun, wenn doch zwischen Kaiser und Kanzler
ein tieferes Einverständnis bestünde, als auf den Korridoren und Hintertreppen und
in den Vorzimmern angenommen wird? Warum muß der Mann, der vom Aus¬
wärtigen Amt zum Reisebegleiter des Kaisers sür die Erledigung bestimmter Dienst¬
geschäfte vorgeschlagen wird, durchaus zwischen Kaiser und Kanzler als trennendes
Element stehn? Kann nicht ein ehrlicher und kluger Mann gerade um dieser Eigen¬
schaften willen das Vertrauen des leitenden Staatsmannes genießen und um derselben
Eigenschaften willen gerade auf den Posten gestellt worden sein, wo nicht jeder vor
einem Monarchen, der ein guter Menschenkenner ist, die Probe besteht? Und eine
ehrliche, gerade Natur und ein kluger Kopf ist Herr von Tschirschky zweifellos. Aber
solche Erwägungen sind leider zu einfach für das Sensationsbedürfnis unsrer
Zeit. Wo blieben denn die "besonders gut informierten" Leute, wenn alles so
einfach zuginge? Das liebe Publikum mußte doch in dem Glauben erhalten
werden, daß wir in ganz unerhörten Zuständen leben, wo man sich infolge der
Impulsivität des Kaisers und der Ohnmacht des Kanzlers vor Intrigen und
Gegensätzen gar nicht mehr retten kann, und wo keine Entschließung gefaßt wird
die nicht eine romanhafte, persönliche Intrige zur Unterlage hat. Ohne diesen
Glauben könnte vielleicht doch mancher seine schlichte Vernunft gebrauchen, und das
gäbe ein Unglück für das Vaterland; denn dann käme er vielleicht gar zu einem
"rosenfarbnen Optimismus" -- bekanntlich das Schlimmste, was einem Deutschen
zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passieren kann. Aus der Tätigkeit
Herrn von Tschirschkys bei den Nordlandfahrten des Kaisers wurde also einfach
geschlossen, er sei der Erwählte des Kaisers für den Staatssekretärposten gewesen,
obwohl der Reichskanzler einen andern Vorschlag gemacht habe. Es hat in Wahr¬
heit recht wenig Bedeutung, ob in der Reihe der Überlegungen, die der Reichs¬
kanzler nach dem Tode des Freiherrn von Nichthofcn anzustellen hatte, irgendeine
andre Persönlichkeit zeitweise eine Rolle gespielt hat. Das ist möglich und sogar
wahrscheinlich. Aber wenn sich Fürst Bülow wirklich bewogen gefühlt haben sollte,
bei dem Vorschlag, den er dem Kaiser zu machen hatte, einem persönlichen Wunsch
des Monarchen zuvor- oder entgegenzukommen, so würde es ganz ungerechtfertigt
sein, darin etwas Auffallendes oder Ungehöriges zu sehen, solange nicht nachge¬
wiesen ist, daß der leitende Staatsmann etwa dem Kaiser zuliebe eine Persönlich¬
keit ausgewählt hatte, die er selbst uicht für qualifiziert hielt. Davon kann nun
gar keine Rede sein. Und selbst wenn es so wäre, könnte es niemand beweisen.
Politische Meinungen auf unbeweisbare und unkontrollierbare Eindrücke zu gründen,
ist jedoch zum mindesten unklug und völlig zwecklos, und deshalb wird man am
besten tun, sich an die festgestellte Tatsache zu halten, daß der Kaiser bei der
Ausübung des ihm zustehenden Ernennungsrechts dem Vorschlage des Fürsten Bülow
gefolgt ist, als er Herrn von Tschirschky an die Spitze des Auswärtigen Amts


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gingen dann noch einen Schritt weiter; sie sahen in ihm den Erwählten unver¬
antwortlicher Ratgeber, die dem Fürsten Bülow ein Bein stellen wollten. Die
tatsächliche Unterlage aller dieser Geschichten bestand einzig und allein darin,
daß Herr von Tschirschky den Kaiser eine Zeit lang auf seinen Nordlandfahrten
als Vertreter des Auswärtigen Amts begleitet hatte. Und da es für gewisse
Geschichtsmacher vom allermodernsten Schlage ein heiliges, unumstößliches Dogma
ist, daß jeder Beamte, der sich in solcher Tätigkeit das Wohlwollen des Kaisers
erwirbt, ein unfähiger Byzantiner sein müsse, gegen dessen Emporsteigen sich der
Reichskanzler — natürlich vergeblich und unter allerlei Demütigungen und Opfern
des Intellekts — mit Händen und Füßen zu wehren sucht, so forderte die Kon¬
struktion einer hübschen Geschichte, wie man Staatssekretär wird, keine besondre
geistige Anstrengung, was zur erfolgreichen Verbreitung der Geschichte nicht un¬
wesentlich beitrug. Andre Leute konnten ja freilich auf den Gedanken kommen, daß
die Sache etwas anders liege. Wie nun, wenn doch zwischen Kaiser und Kanzler
ein tieferes Einverständnis bestünde, als auf den Korridoren und Hintertreppen und
in den Vorzimmern angenommen wird? Warum muß der Mann, der vom Aus¬
wärtigen Amt zum Reisebegleiter des Kaisers sür die Erledigung bestimmter Dienst¬
geschäfte vorgeschlagen wird, durchaus zwischen Kaiser und Kanzler als trennendes
Element stehn? Kann nicht ein ehrlicher und kluger Mann gerade um dieser Eigen¬
schaften willen das Vertrauen des leitenden Staatsmannes genießen und um derselben
Eigenschaften willen gerade auf den Posten gestellt worden sein, wo nicht jeder vor
einem Monarchen, der ein guter Menschenkenner ist, die Probe besteht? Und eine
ehrliche, gerade Natur und ein kluger Kopf ist Herr von Tschirschky zweifellos. Aber
solche Erwägungen sind leider zu einfach für das Sensationsbedürfnis unsrer
Zeit. Wo blieben denn die „besonders gut informierten" Leute, wenn alles so
einfach zuginge? Das liebe Publikum mußte doch in dem Glauben erhalten
werden, daß wir in ganz unerhörten Zuständen leben, wo man sich infolge der
Impulsivität des Kaisers und der Ohnmacht des Kanzlers vor Intrigen und
Gegensätzen gar nicht mehr retten kann, und wo keine Entschließung gefaßt wird
die nicht eine romanhafte, persönliche Intrige zur Unterlage hat. Ohne diesen
Glauben könnte vielleicht doch mancher seine schlichte Vernunft gebrauchen, und das
gäbe ein Unglück für das Vaterland; denn dann käme er vielleicht gar zu einem
„rosenfarbnen Optimismus" — bekanntlich das Schlimmste, was einem Deutschen
zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passieren kann. Aus der Tätigkeit
Herrn von Tschirschkys bei den Nordlandfahrten des Kaisers wurde also einfach
geschlossen, er sei der Erwählte des Kaisers für den Staatssekretärposten gewesen,
obwohl der Reichskanzler einen andern Vorschlag gemacht habe. Es hat in Wahr¬
heit recht wenig Bedeutung, ob in der Reihe der Überlegungen, die der Reichs¬
kanzler nach dem Tode des Freiherrn von Nichthofcn anzustellen hatte, irgendeine
andre Persönlichkeit zeitweise eine Rolle gespielt hat. Das ist möglich und sogar
wahrscheinlich. Aber wenn sich Fürst Bülow wirklich bewogen gefühlt haben sollte,
bei dem Vorschlag, den er dem Kaiser zu machen hatte, einem persönlichen Wunsch
des Monarchen zuvor- oder entgegenzukommen, so würde es ganz ungerechtfertigt
sein, darin etwas Auffallendes oder Ungehöriges zu sehen, solange nicht nachge¬
wiesen ist, daß der leitende Staatsmann etwa dem Kaiser zuliebe eine Persönlich¬
keit ausgewählt hatte, die er selbst uicht für qualifiziert hielt. Davon kann nun
gar keine Rede sein. Und selbst wenn es so wäre, könnte es niemand beweisen.
Politische Meinungen auf unbeweisbare und unkontrollierbare Eindrücke zu gründen,
ist jedoch zum mindesten unklug und völlig zwecklos, und deshalb wird man am
besten tun, sich an die festgestellte Tatsache zu halten, daß der Kaiser bei der
Ausübung des ihm zustehenden Ernennungsrechts dem Vorschlage des Fürsten Bülow
gefolgt ist, als er Herrn von Tschirschky an die Spitze des Auswärtigen Amts


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[0166] Maßgebliches und Unmaßgebliches gingen dann noch einen Schritt weiter; sie sahen in ihm den Erwählten unver¬ antwortlicher Ratgeber, die dem Fürsten Bülow ein Bein stellen wollten. Die tatsächliche Unterlage aller dieser Geschichten bestand einzig und allein darin, daß Herr von Tschirschky den Kaiser eine Zeit lang auf seinen Nordlandfahrten als Vertreter des Auswärtigen Amts begleitet hatte. Und da es für gewisse Geschichtsmacher vom allermodernsten Schlage ein heiliges, unumstößliches Dogma ist, daß jeder Beamte, der sich in solcher Tätigkeit das Wohlwollen des Kaisers erwirbt, ein unfähiger Byzantiner sein müsse, gegen dessen Emporsteigen sich der Reichskanzler — natürlich vergeblich und unter allerlei Demütigungen und Opfern des Intellekts — mit Händen und Füßen zu wehren sucht, so forderte die Kon¬ struktion einer hübschen Geschichte, wie man Staatssekretär wird, keine besondre geistige Anstrengung, was zur erfolgreichen Verbreitung der Geschichte nicht un¬ wesentlich beitrug. Andre Leute konnten ja freilich auf den Gedanken kommen, daß die Sache etwas anders liege. Wie nun, wenn doch zwischen Kaiser und Kanzler ein tieferes Einverständnis bestünde, als auf den Korridoren und Hintertreppen und in den Vorzimmern angenommen wird? Warum muß der Mann, der vom Aus¬ wärtigen Amt zum Reisebegleiter des Kaisers sür die Erledigung bestimmter Dienst¬ geschäfte vorgeschlagen wird, durchaus zwischen Kaiser und Kanzler als trennendes Element stehn? Kann nicht ein ehrlicher und kluger Mann gerade um dieser Eigen¬ schaften willen das Vertrauen des leitenden Staatsmannes genießen und um derselben Eigenschaften willen gerade auf den Posten gestellt worden sein, wo nicht jeder vor einem Monarchen, der ein guter Menschenkenner ist, die Probe besteht? Und eine ehrliche, gerade Natur und ein kluger Kopf ist Herr von Tschirschky zweifellos. Aber solche Erwägungen sind leider zu einfach für das Sensationsbedürfnis unsrer Zeit. Wo blieben denn die „besonders gut informierten" Leute, wenn alles so einfach zuginge? Das liebe Publikum mußte doch in dem Glauben erhalten werden, daß wir in ganz unerhörten Zuständen leben, wo man sich infolge der Impulsivität des Kaisers und der Ohnmacht des Kanzlers vor Intrigen und Gegensätzen gar nicht mehr retten kann, und wo keine Entschließung gefaßt wird die nicht eine romanhafte, persönliche Intrige zur Unterlage hat. Ohne diesen Glauben könnte vielleicht doch mancher seine schlichte Vernunft gebrauchen, und das gäbe ein Unglück für das Vaterland; denn dann käme er vielleicht gar zu einem „rosenfarbnen Optimismus" — bekanntlich das Schlimmste, was einem Deutschen zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passieren kann. Aus der Tätigkeit Herrn von Tschirschkys bei den Nordlandfahrten des Kaisers wurde also einfach geschlossen, er sei der Erwählte des Kaisers für den Staatssekretärposten gewesen, obwohl der Reichskanzler einen andern Vorschlag gemacht habe. Es hat in Wahr¬ heit recht wenig Bedeutung, ob in der Reihe der Überlegungen, die der Reichs¬ kanzler nach dem Tode des Freiherrn von Nichthofcn anzustellen hatte, irgendeine andre Persönlichkeit zeitweise eine Rolle gespielt hat. Das ist möglich und sogar wahrscheinlich. Aber wenn sich Fürst Bülow wirklich bewogen gefühlt haben sollte, bei dem Vorschlag, den er dem Kaiser zu machen hatte, einem persönlichen Wunsch des Monarchen zuvor- oder entgegenzukommen, so würde es ganz ungerechtfertigt sein, darin etwas Auffallendes oder Ungehöriges zu sehen, solange nicht nachge¬ wiesen ist, daß der leitende Staatsmann etwa dem Kaiser zuliebe eine Persönlich¬ keit ausgewählt hatte, die er selbst uicht für qualifiziert hielt. Davon kann nun gar keine Rede sein. Und selbst wenn es so wäre, könnte es niemand beweisen. Politische Meinungen auf unbeweisbare und unkontrollierbare Eindrücke zu gründen, ist jedoch zum mindesten unklug und völlig zwecklos, und deshalb wird man am besten tun, sich an die festgestellte Tatsache zu halten, daß der Kaiser bei der Ausübung des ihm zustehenden Ernennungsrechts dem Vorschlage des Fürsten Bülow gefolgt ist, als er Herrn von Tschirschky an die Spitze des Auswärtigen Amts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/166>, abgerufen am 22.07.2024.