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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

bilden, dessen es in dem lebhaften Kriege, der zwischen Weimar und Stuttgart
ausbrach, bedürfte. Es handelte sich um die Bedingungen, die Goethe für die
Übernahme des Verlags stellte. Im Hinblick auf sein hohes Alter und aus
der damit sich ergebenden Sorge für seine Familie glaubte er, mit seiner
Forderung nicht zu bescheiden sein zu dürfen. Aber Cotta, der recht anständig
zu sein entschlossen war, fand die Summe für den nötigen Vorteil des Ver¬
legers zu hoch bemessen. Beide Männer wären bei dem beiderseits vorhandnen
guten Willen schnell genug einig geworden. Aber eine gewisse Unruhe und
Spannung kam in die Verhandlungen durch Goethes Sohn August, der als
künftiger Erbe das Honorar möglichst in die Höhe zu schrauben und den Ent¬
schluß des Vaters dahin zu bestimmen suchte. Goethe fühlte sich in dieser Ver¬
wicklung sehr unglücklich. Seine Versenkung in seine Studien und dichterischen
Arbeiten hielt seinen Geist auf einem ganz andern Niveau, als es Geldfragen
entsprach. Seine angeborne Friedensliebe und die weise Gelassenheit des Alters
rieten zur Verständigung, aber das Gefühl der Pflicht des Hausvaters, das
August immer wieder wachrief, verschärfte denn doch die Tonart, in der die
Verhandlungen geführt wurden, sehr, sodciß im Verlaufe dieser Angelegenheit
mehr heftige Worte hin und her flogen, als man dergleichen in Goethischen
Briefen sonst antrifft. Wie erfreulich war da das Eintreten einer so liebens¬
würdigen, verständnisvollen Persönlichkeit, wie Sulpiz sie war, der überall zum
Guten reden, aufsteigenden Unwillen beschwichtigen, die beiderseitigen Vorteile
miteinander ausgleichen konnte, damit der strittigen Sache ein gutes Ende zu
sichern und einen Bruch zu verhindern wußte, der, wenn er vollzogen worden
wäre, auf beideu Seiten das schmerzlichste Bedauern verursucht hätte. Man
sagt nicht zu viel mit der Behauptung, daß diese Angelegenheit und Boisserees
Verhalten dabei die Krönung der Freundschaft war, und daß er damit dem
großen Dichter den schönsten Lohn für dessen Liebe und Freundschaft
heimzahlte.

Der letzte Besuch Boisserees in Weimar fällt in die Zeit, als diese Wolken
noch nicht völlig beschworen waren, worunter jedoch die freundschaftliche
Stimmung nicht litt. Sulpiz bemerkt nach seiner Trennung: "Ich fühlte den
ganzen Schmerz des Abschiedes." Es kamen nun für ihn die bewegten Jahre,
in denen dem Übergang nach München seine Vermählung und die Eingewöhnung
in die so tief veränderten Verhältnisse folgte. Da gab es keine Zeit zu andern
als die durch Geschäfte oder die Rücksicht auf seine niemals sehr feste Gesundheit
veranlaßten Reisen. Der Briefwechsel entschlummerte nicht. Goethes letzter
Brief an ihn ist vom 25. Februar 1832, behandelt noch wichtige Phänomene
der Farbenlehre und schließt mit der Wendung: "Für freundschaftliche Teilnahme
dankbar, fortgesetzte Geduld wünschend, ferneres Vertrauen hoffend, unwandelbar
Goethe." Sulpiz antwortet unter dem 7. März, sodaß sein Brief sicher einer
der letzten war, den Goethe noch lebend in die Hand bekam. Bald schlössen
sich ja seine Augen für immer. Und gerade damals war der Freund auf dem


Goethe und die Boisseree

bilden, dessen es in dem lebhaften Kriege, der zwischen Weimar und Stuttgart
ausbrach, bedürfte. Es handelte sich um die Bedingungen, die Goethe für die
Übernahme des Verlags stellte. Im Hinblick auf sein hohes Alter und aus
der damit sich ergebenden Sorge für seine Familie glaubte er, mit seiner
Forderung nicht zu bescheiden sein zu dürfen. Aber Cotta, der recht anständig
zu sein entschlossen war, fand die Summe für den nötigen Vorteil des Ver¬
legers zu hoch bemessen. Beide Männer wären bei dem beiderseits vorhandnen
guten Willen schnell genug einig geworden. Aber eine gewisse Unruhe und
Spannung kam in die Verhandlungen durch Goethes Sohn August, der als
künftiger Erbe das Honorar möglichst in die Höhe zu schrauben und den Ent¬
schluß des Vaters dahin zu bestimmen suchte. Goethe fühlte sich in dieser Ver¬
wicklung sehr unglücklich. Seine Versenkung in seine Studien und dichterischen
Arbeiten hielt seinen Geist auf einem ganz andern Niveau, als es Geldfragen
entsprach. Seine angeborne Friedensliebe und die weise Gelassenheit des Alters
rieten zur Verständigung, aber das Gefühl der Pflicht des Hausvaters, das
August immer wieder wachrief, verschärfte denn doch die Tonart, in der die
Verhandlungen geführt wurden, sehr, sodciß im Verlaufe dieser Angelegenheit
mehr heftige Worte hin und her flogen, als man dergleichen in Goethischen
Briefen sonst antrifft. Wie erfreulich war da das Eintreten einer so liebens¬
würdigen, verständnisvollen Persönlichkeit, wie Sulpiz sie war, der überall zum
Guten reden, aufsteigenden Unwillen beschwichtigen, die beiderseitigen Vorteile
miteinander ausgleichen konnte, damit der strittigen Sache ein gutes Ende zu
sichern und einen Bruch zu verhindern wußte, der, wenn er vollzogen worden
wäre, auf beideu Seiten das schmerzlichste Bedauern verursucht hätte. Man
sagt nicht zu viel mit der Behauptung, daß diese Angelegenheit und Boisserees
Verhalten dabei die Krönung der Freundschaft war, und daß er damit dem
großen Dichter den schönsten Lohn für dessen Liebe und Freundschaft
heimzahlte.

Der letzte Besuch Boisserees in Weimar fällt in die Zeit, als diese Wolken
noch nicht völlig beschworen waren, worunter jedoch die freundschaftliche
Stimmung nicht litt. Sulpiz bemerkt nach seiner Trennung: „Ich fühlte den
ganzen Schmerz des Abschiedes." Es kamen nun für ihn die bewegten Jahre,
in denen dem Übergang nach München seine Vermählung und die Eingewöhnung
in die so tief veränderten Verhältnisse folgte. Da gab es keine Zeit zu andern
als die durch Geschäfte oder die Rücksicht auf seine niemals sehr feste Gesundheit
veranlaßten Reisen. Der Briefwechsel entschlummerte nicht. Goethes letzter
Brief an ihn ist vom 25. Februar 1832, behandelt noch wichtige Phänomene
der Farbenlehre und schließt mit der Wendung: „Für freundschaftliche Teilnahme
dankbar, fortgesetzte Geduld wünschend, ferneres Vertrauen hoffend, unwandelbar
Goethe." Sulpiz antwortet unter dem 7. März, sodaß sein Brief sicher einer
der letzten war, den Goethe noch lebend in die Hand bekam. Bald schlössen
sich ja seine Augen für immer. Und gerade damals war der Freund auf dem


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[0157] Goethe und die Boisseree bilden, dessen es in dem lebhaften Kriege, der zwischen Weimar und Stuttgart ausbrach, bedürfte. Es handelte sich um die Bedingungen, die Goethe für die Übernahme des Verlags stellte. Im Hinblick auf sein hohes Alter und aus der damit sich ergebenden Sorge für seine Familie glaubte er, mit seiner Forderung nicht zu bescheiden sein zu dürfen. Aber Cotta, der recht anständig zu sein entschlossen war, fand die Summe für den nötigen Vorteil des Ver¬ legers zu hoch bemessen. Beide Männer wären bei dem beiderseits vorhandnen guten Willen schnell genug einig geworden. Aber eine gewisse Unruhe und Spannung kam in die Verhandlungen durch Goethes Sohn August, der als künftiger Erbe das Honorar möglichst in die Höhe zu schrauben und den Ent¬ schluß des Vaters dahin zu bestimmen suchte. Goethe fühlte sich in dieser Ver¬ wicklung sehr unglücklich. Seine Versenkung in seine Studien und dichterischen Arbeiten hielt seinen Geist auf einem ganz andern Niveau, als es Geldfragen entsprach. Seine angeborne Friedensliebe und die weise Gelassenheit des Alters rieten zur Verständigung, aber das Gefühl der Pflicht des Hausvaters, das August immer wieder wachrief, verschärfte denn doch die Tonart, in der die Verhandlungen geführt wurden, sehr, sodciß im Verlaufe dieser Angelegenheit mehr heftige Worte hin und her flogen, als man dergleichen in Goethischen Briefen sonst antrifft. Wie erfreulich war da das Eintreten einer so liebens¬ würdigen, verständnisvollen Persönlichkeit, wie Sulpiz sie war, der überall zum Guten reden, aufsteigenden Unwillen beschwichtigen, die beiderseitigen Vorteile miteinander ausgleichen konnte, damit der strittigen Sache ein gutes Ende zu sichern und einen Bruch zu verhindern wußte, der, wenn er vollzogen worden wäre, auf beideu Seiten das schmerzlichste Bedauern verursucht hätte. Man sagt nicht zu viel mit der Behauptung, daß diese Angelegenheit und Boisserees Verhalten dabei die Krönung der Freundschaft war, und daß er damit dem großen Dichter den schönsten Lohn für dessen Liebe und Freundschaft heimzahlte. Der letzte Besuch Boisserees in Weimar fällt in die Zeit, als diese Wolken noch nicht völlig beschworen waren, worunter jedoch die freundschaftliche Stimmung nicht litt. Sulpiz bemerkt nach seiner Trennung: „Ich fühlte den ganzen Schmerz des Abschiedes." Es kamen nun für ihn die bewegten Jahre, in denen dem Übergang nach München seine Vermählung und die Eingewöhnung in die so tief veränderten Verhältnisse folgte. Da gab es keine Zeit zu andern als die durch Geschäfte oder die Rücksicht auf seine niemals sehr feste Gesundheit veranlaßten Reisen. Der Briefwechsel entschlummerte nicht. Goethes letzter Brief an ihn ist vom 25. Februar 1832, behandelt noch wichtige Phänomene der Farbenlehre und schließt mit der Wendung: „Für freundschaftliche Teilnahme dankbar, fortgesetzte Geduld wünschend, ferneres Vertrauen hoffend, unwandelbar Goethe." Sulpiz antwortet unter dem 7. März, sodaß sein Brief sicher einer der letzten war, den Goethe noch lebend in die Hand bekam. Bald schlössen sich ja seine Augen für immer. Und gerade damals war der Freund auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/157>, abgerufen am 23.07.2024.