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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

kommen wolle, und meine Drohung, wenn er zu lange ausbliebe, würde ich ihn
abholen, freute ihn."

Den Widerhall des Goethischen Besuches in Boisserees Herzen finden
wir am lautesten und unmittelbarsten in einem Schreiben, das er am 23. Ok¬
tober von Darmstadt aus an Amalie von Helvig geborne von Jmhof richtete.
Hier heißt es: "Seitdem nun selbst der alte Heidenkönig dem deutscheu Christ¬
kind hat huldigen müssen, sind wir gar voll des süßen Übermuts. Was die
Bilder auf unsern Freund für einen Eindruck gemacht haben, ist unsagbar, und
was er darüber geäußert, wäre heute zu weitläufig, einstweilen mögen Sie nur
wissen, daß er den Meister Eyck jetzt immer im Munde führt und Hemmelinck
(wie man damals Memling noch allgemein zu nennen pflegte) und Meister
Schoreel hoch leben ließ. So nennen wir nämlich seit einer diesjährigen Reise
nach Brabant mit Bestimmtheit den Maler vom Tode der Maria*)."

Wir sehen, lauter Jubel und Triumph bei den Jungen und bei dem
alten Heidenkönig warme Herzenstöne freundschaftlichsten Einvernehmens. Freilich
weder sein Versprechen noch Boisserees liebenswürdige Drohung vermochten
ihn schon im Frühling nach Heidelberg zurückzuzaubern, aber er kam doch
wieder. Wiesbaden war ihm mit seinen Quellen so wohltätig gewesen, daß er
die Kur zu wiederholen beschloß. Schon im Juli finden wir ihn dort. Am
21. schrieb er an Sulpiz: "Nach Heidelberg gelange schwerlich." Aber er
bittet um eine Zusammenkunft: "Uns zu besprechen ist höchst nötig, wenn auch
nur auf eine Stunde."

Daraus aber wurden viele Wochen des genuß- und inhaltreichsten
Zusammenlebens. Schon am 2. August kam Sulpiz nach Wiesbaden. "Mittags
kam ich zu Goethe, es war ein fröhlicher, herzlicher Empfang." Von dort
gings nach Mainz, wo man damals gerade bedeutende Ausgrabungen römischer
Altertümer vornahm. Unterwegs kam Boisserees Wunsch, ganz nach Weimar
zu ziehen, zur Sprache. Goethe riet ab, er sagte: "Es ist da zu nüchtern für
Euch, das Theater kein Ersatz für das schaureiche, mannigfach bewegte Leben,
wie Ihr es von Köln her gewohnt seid." Gewiß, ein treffender Grund, aber
lag nicht im Hintergrunde doch auch der Gedanke, daß es gut sei, mit dem
romantischen Wesen, auch wenn es in einer so edeln, liebenswürdigen Form,
wie bei diesem seltnen Menschen, auftrat, sich nicht in eine unlösliche Ver¬
bindung zu bringen? Über die Führer der Schule nahm er wenigstens die
Gelegenheit, offen seine Meinung zu sagen. Er klagte über die Unredlichkeit
der Schlegel und Tiecks. "In den höchsten Dingen verfielen und daneben Ab¬
sichten haben und gemein sein, das ist schändlich. Schiller war ein ganz
andrer, er war der letzte Edelmann unter den deutschen Schriftstellern, möchte
man sagen, savs taeus se, ssus rexroous."



Die neuere Kunstgeschichte hat diese Bezeichnung nicht sanktioniert, sondern spricht
schlichtweg von dem Meister des Todes der Maria.
Goethe und die Boisseree

kommen wolle, und meine Drohung, wenn er zu lange ausbliebe, würde ich ihn
abholen, freute ihn."

Den Widerhall des Goethischen Besuches in Boisserees Herzen finden
wir am lautesten und unmittelbarsten in einem Schreiben, das er am 23. Ok¬
tober von Darmstadt aus an Amalie von Helvig geborne von Jmhof richtete.
Hier heißt es: „Seitdem nun selbst der alte Heidenkönig dem deutscheu Christ¬
kind hat huldigen müssen, sind wir gar voll des süßen Übermuts. Was die
Bilder auf unsern Freund für einen Eindruck gemacht haben, ist unsagbar, und
was er darüber geäußert, wäre heute zu weitläufig, einstweilen mögen Sie nur
wissen, daß er den Meister Eyck jetzt immer im Munde führt und Hemmelinck
(wie man damals Memling noch allgemein zu nennen pflegte) und Meister
Schoreel hoch leben ließ. So nennen wir nämlich seit einer diesjährigen Reise
nach Brabant mit Bestimmtheit den Maler vom Tode der Maria*)."

Wir sehen, lauter Jubel und Triumph bei den Jungen und bei dem
alten Heidenkönig warme Herzenstöne freundschaftlichsten Einvernehmens. Freilich
weder sein Versprechen noch Boisserees liebenswürdige Drohung vermochten
ihn schon im Frühling nach Heidelberg zurückzuzaubern, aber er kam doch
wieder. Wiesbaden war ihm mit seinen Quellen so wohltätig gewesen, daß er
die Kur zu wiederholen beschloß. Schon im Juli finden wir ihn dort. Am
21. schrieb er an Sulpiz: „Nach Heidelberg gelange schwerlich." Aber er
bittet um eine Zusammenkunft: „Uns zu besprechen ist höchst nötig, wenn auch
nur auf eine Stunde."

Daraus aber wurden viele Wochen des genuß- und inhaltreichsten
Zusammenlebens. Schon am 2. August kam Sulpiz nach Wiesbaden. „Mittags
kam ich zu Goethe, es war ein fröhlicher, herzlicher Empfang." Von dort
gings nach Mainz, wo man damals gerade bedeutende Ausgrabungen römischer
Altertümer vornahm. Unterwegs kam Boisserees Wunsch, ganz nach Weimar
zu ziehen, zur Sprache. Goethe riet ab, er sagte: „Es ist da zu nüchtern für
Euch, das Theater kein Ersatz für das schaureiche, mannigfach bewegte Leben,
wie Ihr es von Köln her gewohnt seid." Gewiß, ein treffender Grund, aber
lag nicht im Hintergrunde doch auch der Gedanke, daß es gut sei, mit dem
romantischen Wesen, auch wenn es in einer so edeln, liebenswürdigen Form,
wie bei diesem seltnen Menschen, auftrat, sich nicht in eine unlösliche Ver¬
bindung zu bringen? Über die Führer der Schule nahm er wenigstens die
Gelegenheit, offen seine Meinung zu sagen. Er klagte über die Unredlichkeit
der Schlegel und Tiecks. „In den höchsten Dingen verfielen und daneben Ab¬
sichten haben und gemein sein, das ist schändlich. Schiller war ein ganz
andrer, er war der letzte Edelmann unter den deutschen Schriftstellern, möchte
man sagen, savs taeus se, ssus rexroous."



Die neuere Kunstgeschichte hat diese Bezeichnung nicht sanktioniert, sondern spricht
schlichtweg von dem Meister des Todes der Maria.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/150>, abgerufen am 22.07.2024.