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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

Größe der Stellen auf das zulässige Mindestmaß herabgedrückt. Man erreicht
dadurch zweierlei: die kleinen Besitzer bedürfen keiner Lohnarbeiter, die in jener
Gegend ja meist Polen sind, und es werden den beiden Provinzen größere
Massen von Deutschen zugeführt. Aus demselben Grunde vergibt man jetzt immer
häufiger Ansiedlerstellen in Pacht statt zu Eigentum, weil der Pächter weniger
Kapital braucht, demnach bei dieser Praxis auch Unbemittelte in größerer Zahl
herangezogen werden können.

Das Verdienst der Privatparzellcmtcn um die innere Kolonisation schlüge
Velgard sehr hoch an. Sie haben das Ansiedlungsbedürfnis in den Tagelöhnern
geweckt und ihnen durch geschicktes Zureden Mut gemacht. Erst nachdem sich
die ärmere ländliche Bevölkerung durch deu Erfolg der ersten geglückten An-
siedlungen davou überzeugt hatte, daß es möglich ist, mit geringen Mitteln
selbständiger Eigentümer zu werden, ist das Streben danach allgemein geworden.
Und mau darf sich nicht vorstellen, daß der Pcirzellant das Land als eine Ware
behandle, um deren Schicksal sich der Kaufmann nicht weiter kümmert, sobald
er sie verkauft hat. Bei dieser Art Handel kommt der Profit, der übrigens durch
sehr bedeutende Kosten auf ein ziemlich bescheidnes Maß gebracht wird, nicht
mit einemmale herein, sondern erst nach der vollständigen Beendigung des An-
siedlungswerkes, die oft Jahre beansprucht, und hängt für gewöhnlich vom Ge-
deihn der Kolonisten ab. Es kommt freilich vor, daß der Parzellant, um den
Kauflustigen zu gewinnen, allerlei verspricht, woran er sich nachträglich nicht
mehr erinnern kann, zum Beispiel eine Kuh oder Ackergerät als Zugabe, aber
es kommt auch vor, daß er einem Ansiedler, der die Zinsen nicht aufbringt, so
manches bewilligt, was er nicht versprochen hat, daß er ihm auf jede Weise
behilflich ist, und fast niemals verfährt er rücksichtslos, wenn der Ansiedler seinen
Verpflichtungen nicht zur Zeit nachkommen kann. Soll eine Koloniengründung,
der nicht unbeschränkte Mittel und Staatshilfe zur Verfügung stehen, gelingen,
so gehört dazu die genaueste Kenntnis des zu parzellierenden Gutes sowie der
Käufer, ihrer Bedürfnisse, ihrer Vermögensverhültnisfe, ihres Charakters, ihrer
landwirtschaftlichen Qualifikation. Und diese Kenntnis hat der gewerbsmäßige
Parzellant in erstaunlichem Grade. Er erwirbt sie sich im persönlichen Verkehr
mit den Landwirten, mit den Handelsreisender, die Landwirte bedienen, und mit
den Dorfgastwirten, die genaue Personenkcnntnis und ein lebhaftes Interesse
an der Parzellierung haben. Was von den Privatparzellcmten im allgemeinen
gesagt ist, gilt natürlich auch von denen, die in den Dienst der Landbank treten.
Wenn auch, schließt der Verfasser einen seiner Berichte über den Gegenstand,
Private Parzellierungen neben der großen Kolonisationstütigkeit des Staates nur
noch eine untergeordnete Rolle spielen, soweit es sich um die Neuschaffung von
Wirtschaften handelt, so komme ihnen doch eine dauernde volkswirtschaftliche
Bedeutung zu, weil sie bäuerliche Wirtschaften entsprechend den wachsenden
wirtschaftlichen Kräften ihrer Besitzer vergrößern helfen. Im Streben nach


Innere Kolonisation in Preußen

Größe der Stellen auf das zulässige Mindestmaß herabgedrückt. Man erreicht
dadurch zweierlei: die kleinen Besitzer bedürfen keiner Lohnarbeiter, die in jener
Gegend ja meist Polen sind, und es werden den beiden Provinzen größere
Massen von Deutschen zugeführt. Aus demselben Grunde vergibt man jetzt immer
häufiger Ansiedlerstellen in Pacht statt zu Eigentum, weil der Pächter weniger
Kapital braucht, demnach bei dieser Praxis auch Unbemittelte in größerer Zahl
herangezogen werden können.

Das Verdienst der Privatparzellcmtcn um die innere Kolonisation schlüge
Velgard sehr hoch an. Sie haben das Ansiedlungsbedürfnis in den Tagelöhnern
geweckt und ihnen durch geschicktes Zureden Mut gemacht. Erst nachdem sich
die ärmere ländliche Bevölkerung durch deu Erfolg der ersten geglückten An-
siedlungen davou überzeugt hatte, daß es möglich ist, mit geringen Mitteln
selbständiger Eigentümer zu werden, ist das Streben danach allgemein geworden.
Und mau darf sich nicht vorstellen, daß der Pcirzellant das Land als eine Ware
behandle, um deren Schicksal sich der Kaufmann nicht weiter kümmert, sobald
er sie verkauft hat. Bei dieser Art Handel kommt der Profit, der übrigens durch
sehr bedeutende Kosten auf ein ziemlich bescheidnes Maß gebracht wird, nicht
mit einemmale herein, sondern erst nach der vollständigen Beendigung des An-
siedlungswerkes, die oft Jahre beansprucht, und hängt für gewöhnlich vom Ge-
deihn der Kolonisten ab. Es kommt freilich vor, daß der Parzellant, um den
Kauflustigen zu gewinnen, allerlei verspricht, woran er sich nachträglich nicht
mehr erinnern kann, zum Beispiel eine Kuh oder Ackergerät als Zugabe, aber
es kommt auch vor, daß er einem Ansiedler, der die Zinsen nicht aufbringt, so
manches bewilligt, was er nicht versprochen hat, daß er ihm auf jede Weise
behilflich ist, und fast niemals verfährt er rücksichtslos, wenn der Ansiedler seinen
Verpflichtungen nicht zur Zeit nachkommen kann. Soll eine Koloniengründung,
der nicht unbeschränkte Mittel und Staatshilfe zur Verfügung stehen, gelingen,
so gehört dazu die genaueste Kenntnis des zu parzellierenden Gutes sowie der
Käufer, ihrer Bedürfnisse, ihrer Vermögensverhültnisfe, ihres Charakters, ihrer
landwirtschaftlichen Qualifikation. Und diese Kenntnis hat der gewerbsmäßige
Parzellant in erstaunlichem Grade. Er erwirbt sie sich im persönlichen Verkehr
mit den Landwirten, mit den Handelsreisender, die Landwirte bedienen, und mit
den Dorfgastwirten, die genaue Personenkcnntnis und ein lebhaftes Interesse
an der Parzellierung haben. Was von den Privatparzellcmten im allgemeinen
gesagt ist, gilt natürlich auch von denen, die in den Dienst der Landbank treten.
Wenn auch, schließt der Verfasser einen seiner Berichte über den Gegenstand,
Private Parzellierungen neben der großen Kolonisationstütigkeit des Staates nur
noch eine untergeordnete Rolle spielen, soweit es sich um die Neuschaffung von
Wirtschaften handelt, so komme ihnen doch eine dauernde volkswirtschaftliche
Bedeutung zu, weil sie bäuerliche Wirtschaften entsprechend den wachsenden
wirtschaftlichen Kräften ihrer Besitzer vergrößern helfen. Im Streben nach


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[0143] Innere Kolonisation in Preußen Größe der Stellen auf das zulässige Mindestmaß herabgedrückt. Man erreicht dadurch zweierlei: die kleinen Besitzer bedürfen keiner Lohnarbeiter, die in jener Gegend ja meist Polen sind, und es werden den beiden Provinzen größere Massen von Deutschen zugeführt. Aus demselben Grunde vergibt man jetzt immer häufiger Ansiedlerstellen in Pacht statt zu Eigentum, weil der Pächter weniger Kapital braucht, demnach bei dieser Praxis auch Unbemittelte in größerer Zahl herangezogen werden können. Das Verdienst der Privatparzellcmtcn um die innere Kolonisation schlüge Velgard sehr hoch an. Sie haben das Ansiedlungsbedürfnis in den Tagelöhnern geweckt und ihnen durch geschicktes Zureden Mut gemacht. Erst nachdem sich die ärmere ländliche Bevölkerung durch deu Erfolg der ersten geglückten An- siedlungen davou überzeugt hatte, daß es möglich ist, mit geringen Mitteln selbständiger Eigentümer zu werden, ist das Streben danach allgemein geworden. Und mau darf sich nicht vorstellen, daß der Pcirzellant das Land als eine Ware behandle, um deren Schicksal sich der Kaufmann nicht weiter kümmert, sobald er sie verkauft hat. Bei dieser Art Handel kommt der Profit, der übrigens durch sehr bedeutende Kosten auf ein ziemlich bescheidnes Maß gebracht wird, nicht mit einemmale herein, sondern erst nach der vollständigen Beendigung des An- siedlungswerkes, die oft Jahre beansprucht, und hängt für gewöhnlich vom Ge- deihn der Kolonisten ab. Es kommt freilich vor, daß der Parzellant, um den Kauflustigen zu gewinnen, allerlei verspricht, woran er sich nachträglich nicht mehr erinnern kann, zum Beispiel eine Kuh oder Ackergerät als Zugabe, aber es kommt auch vor, daß er einem Ansiedler, der die Zinsen nicht aufbringt, so manches bewilligt, was er nicht versprochen hat, daß er ihm auf jede Weise behilflich ist, und fast niemals verfährt er rücksichtslos, wenn der Ansiedler seinen Verpflichtungen nicht zur Zeit nachkommen kann. Soll eine Koloniengründung, der nicht unbeschränkte Mittel und Staatshilfe zur Verfügung stehen, gelingen, so gehört dazu die genaueste Kenntnis des zu parzellierenden Gutes sowie der Käufer, ihrer Bedürfnisse, ihrer Vermögensverhültnisfe, ihres Charakters, ihrer landwirtschaftlichen Qualifikation. Und diese Kenntnis hat der gewerbsmäßige Parzellant in erstaunlichem Grade. Er erwirbt sie sich im persönlichen Verkehr mit den Landwirten, mit den Handelsreisender, die Landwirte bedienen, und mit den Dorfgastwirten, die genaue Personenkcnntnis und ein lebhaftes Interesse an der Parzellierung haben. Was von den Privatparzellcmten im allgemeinen gesagt ist, gilt natürlich auch von denen, die in den Dienst der Landbank treten. Wenn auch, schließt der Verfasser einen seiner Berichte über den Gegenstand, Private Parzellierungen neben der großen Kolonisationstütigkeit des Staates nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, soweit es sich um die Neuschaffung von Wirtschaften handelt, so komme ihnen doch eine dauernde volkswirtschaftliche Bedeutung zu, weil sie bäuerliche Wirtschaften entsprechend den wachsenden wirtschaftlichen Kräften ihrer Besitzer vergrößern helfen. Im Streben nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/143>, abgerufen am 23.07.2024.