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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation in Preußen

entfaltung, das alles hat sozusagen eine Parzellierungswissenschaft begründen
lassen, die sich damit befaßt, wie am besten eine standesbewußte, wirtschaftlich
starke bäuerliche Bevölkerung und mit den vollkommensten wirtschaftlichen Wohl-
fahrtseinrichtungen ausgestattete Gemeinwesen zu schaffen sind." Der zweite
Teil des Buches behandelt die privaten Parzellierungen in Westpreußen, Pommern,
Ostpreußen und Schlesien, der dritte die private Rcntengutsbildung unter Ver¬
mittlung der Generalkommission in Pommern, Brandenburg und Westpreußen,
der vierte die polnischen Kolonisationsbestrebungen, der fünfte die Tätigkeit der
königlichen Ansiedlungskommission und ihre Kolonien. In jedem dieser Teile
wird das Verfahren beschrieben, werden die Ankaufspreise, die Preise, zu denen
an die Ansiedler verkauft wird, die Herstellung der Gebäude, die Kreditverhült-
nissc, die Belastung der Kolonisten dargelegt. Der sechste Teil berichtet über
die Lage der privaten und der staatlichen Kolonien in Pommern, Brandenburg,
Westpreußen und Posen, enthält eine vergleichende Übersicht der Kaufpreise, die
die Kolonisten in den einzelnen Kolonien zu zahlen hatten, und ihrer Belastung
und behandelt in einem sehr umfangreichen, landwirtschaftlich höchst interessanten
Abschnitt den Viehstand der Kolonisten. Eine Kritik und ein Ausblick in die
Zukunft machen den Schluß. Mit statistischen Tabellen ist das Werk sehr reich
ausgestattet. Wir stellen einige Angaben und Urteile des Verfassers zusammen,
die allgemeines Interesse beanspruchen dürfen.

Wie man bis in die siebziger Jahre über Parzellierungen dachte, deutet
der Ausdruck Güterschlächter an. Die Entvölkerung des Ostens und die Notlage
vieler Rittergutsbesitzer waren Ursache, daß von da an die Sache, die freilich
dabei einige Änderungen erfuhr, innere Kolonisation genannt wurde. Private
Parzellierungen in größerm Umfange, die ganze Kolonien gründeten, wurden
zuerst in Pommern unternommen, und zwar von einem Kolberger Kaufmann,
dem Sohne eines Getreidehündlers. Zur Rettung einiger seiner Kolonien sprang
die Generalkommission ein und entwickelte sich dadurch zur Kolonisatiousbehörde,
"wenn natürlich auch die Ansiedlungskommission ihr direkter Vorläufer war".
Die Rentengutsgesetze von 1890 und 1891 schufen die gesetzliche Grundlage für
diese neue Tätigkeit der Generalkommissionen. Die Eintracht zwischen der Behörde
und dem Kaufmann dauerte nicht lange. Die Behörde fand, daß die Profite,
die der Kaufmann machte, dem Bauer zugewandt werden müßten, und sofern
sich ein Geschäftsgewinn nicht vermeiden lasse, dem verkaufenden Gutsbesitzer.
Der gewerbsmäßige Parzellant konnte freilich als Werkzeug gewöhnlich nicht
entbehrt werden, aber sein Gewinn wurde beschnitten; während er früher den
vollen Überschuß eingeheimst, allerdings auch das ganze Risiko getragen hatte,
bekam er jetzt nur noch eine dem Werte des Gutes entsprechende bescheidne
Abfindung. Ohne die Generalkommission selbständig zu parzellieren, wurde ihm
durch die schweren Bedingungen, die man ihm auferlegte, beinahe unmöglich
gemacht. Fortan galt die Losung: das Parzellieren darf nicht mehr als Geschäft,


Innere Kolonisation in Preußen

entfaltung, das alles hat sozusagen eine Parzellierungswissenschaft begründen
lassen, die sich damit befaßt, wie am besten eine standesbewußte, wirtschaftlich
starke bäuerliche Bevölkerung und mit den vollkommensten wirtschaftlichen Wohl-
fahrtseinrichtungen ausgestattete Gemeinwesen zu schaffen sind." Der zweite
Teil des Buches behandelt die privaten Parzellierungen in Westpreußen, Pommern,
Ostpreußen und Schlesien, der dritte die private Rcntengutsbildung unter Ver¬
mittlung der Generalkommission in Pommern, Brandenburg und Westpreußen,
der vierte die polnischen Kolonisationsbestrebungen, der fünfte die Tätigkeit der
königlichen Ansiedlungskommission und ihre Kolonien. In jedem dieser Teile
wird das Verfahren beschrieben, werden die Ankaufspreise, die Preise, zu denen
an die Ansiedler verkauft wird, die Herstellung der Gebäude, die Kreditverhült-
nissc, die Belastung der Kolonisten dargelegt. Der sechste Teil berichtet über
die Lage der privaten und der staatlichen Kolonien in Pommern, Brandenburg,
Westpreußen und Posen, enthält eine vergleichende Übersicht der Kaufpreise, die
die Kolonisten in den einzelnen Kolonien zu zahlen hatten, und ihrer Belastung
und behandelt in einem sehr umfangreichen, landwirtschaftlich höchst interessanten
Abschnitt den Viehstand der Kolonisten. Eine Kritik und ein Ausblick in die
Zukunft machen den Schluß. Mit statistischen Tabellen ist das Werk sehr reich
ausgestattet. Wir stellen einige Angaben und Urteile des Verfassers zusammen,
die allgemeines Interesse beanspruchen dürfen.

Wie man bis in die siebziger Jahre über Parzellierungen dachte, deutet
der Ausdruck Güterschlächter an. Die Entvölkerung des Ostens und die Notlage
vieler Rittergutsbesitzer waren Ursache, daß von da an die Sache, die freilich
dabei einige Änderungen erfuhr, innere Kolonisation genannt wurde. Private
Parzellierungen in größerm Umfange, die ganze Kolonien gründeten, wurden
zuerst in Pommern unternommen, und zwar von einem Kolberger Kaufmann,
dem Sohne eines Getreidehündlers. Zur Rettung einiger seiner Kolonien sprang
die Generalkommission ein und entwickelte sich dadurch zur Kolonisatiousbehörde,
„wenn natürlich auch die Ansiedlungskommission ihr direkter Vorläufer war".
Die Rentengutsgesetze von 1890 und 1891 schufen die gesetzliche Grundlage für
diese neue Tätigkeit der Generalkommissionen. Die Eintracht zwischen der Behörde
und dem Kaufmann dauerte nicht lange. Die Behörde fand, daß die Profite,
die der Kaufmann machte, dem Bauer zugewandt werden müßten, und sofern
sich ein Geschäftsgewinn nicht vermeiden lasse, dem verkaufenden Gutsbesitzer.
Der gewerbsmäßige Parzellant konnte freilich als Werkzeug gewöhnlich nicht
entbehrt werden, aber sein Gewinn wurde beschnitten; während er früher den
vollen Überschuß eingeheimst, allerdings auch das ganze Risiko getragen hatte,
bekam er jetzt nur noch eine dem Werte des Gutes entsprechende bescheidne
Abfindung. Ohne die Generalkommission selbständig zu parzellieren, wurde ihm
durch die schweren Bedingungen, die man ihm auferlegte, beinahe unmöglich
gemacht. Fortan galt die Losung: das Parzellieren darf nicht mehr als Geschäft,


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[0141] Innere Kolonisation in Preußen entfaltung, das alles hat sozusagen eine Parzellierungswissenschaft begründen lassen, die sich damit befaßt, wie am besten eine standesbewußte, wirtschaftlich starke bäuerliche Bevölkerung und mit den vollkommensten wirtschaftlichen Wohl- fahrtseinrichtungen ausgestattete Gemeinwesen zu schaffen sind." Der zweite Teil des Buches behandelt die privaten Parzellierungen in Westpreußen, Pommern, Ostpreußen und Schlesien, der dritte die private Rcntengutsbildung unter Ver¬ mittlung der Generalkommission in Pommern, Brandenburg und Westpreußen, der vierte die polnischen Kolonisationsbestrebungen, der fünfte die Tätigkeit der königlichen Ansiedlungskommission und ihre Kolonien. In jedem dieser Teile wird das Verfahren beschrieben, werden die Ankaufspreise, die Preise, zu denen an die Ansiedler verkauft wird, die Herstellung der Gebäude, die Kreditverhült- nissc, die Belastung der Kolonisten dargelegt. Der sechste Teil berichtet über die Lage der privaten und der staatlichen Kolonien in Pommern, Brandenburg, Westpreußen und Posen, enthält eine vergleichende Übersicht der Kaufpreise, die die Kolonisten in den einzelnen Kolonien zu zahlen hatten, und ihrer Belastung und behandelt in einem sehr umfangreichen, landwirtschaftlich höchst interessanten Abschnitt den Viehstand der Kolonisten. Eine Kritik und ein Ausblick in die Zukunft machen den Schluß. Mit statistischen Tabellen ist das Werk sehr reich ausgestattet. Wir stellen einige Angaben und Urteile des Verfassers zusammen, die allgemeines Interesse beanspruchen dürfen. Wie man bis in die siebziger Jahre über Parzellierungen dachte, deutet der Ausdruck Güterschlächter an. Die Entvölkerung des Ostens und die Notlage vieler Rittergutsbesitzer waren Ursache, daß von da an die Sache, die freilich dabei einige Änderungen erfuhr, innere Kolonisation genannt wurde. Private Parzellierungen in größerm Umfange, die ganze Kolonien gründeten, wurden zuerst in Pommern unternommen, und zwar von einem Kolberger Kaufmann, dem Sohne eines Getreidehündlers. Zur Rettung einiger seiner Kolonien sprang die Generalkommission ein und entwickelte sich dadurch zur Kolonisatiousbehörde, „wenn natürlich auch die Ansiedlungskommission ihr direkter Vorläufer war". Die Rentengutsgesetze von 1890 und 1891 schufen die gesetzliche Grundlage für diese neue Tätigkeit der Generalkommissionen. Die Eintracht zwischen der Behörde und dem Kaufmann dauerte nicht lange. Die Behörde fand, daß die Profite, die der Kaufmann machte, dem Bauer zugewandt werden müßten, und sofern sich ein Geschäftsgewinn nicht vermeiden lasse, dem verkaufenden Gutsbesitzer. Der gewerbsmäßige Parzellant konnte freilich als Werkzeug gewöhnlich nicht entbehrt werden, aber sein Gewinn wurde beschnitten; während er früher den vollen Überschuß eingeheimst, allerdings auch das ganze Risiko getragen hatte, bekam er jetzt nur noch eine dem Werte des Gutes entsprechende bescheidne Abfindung. Ohne die Generalkommission selbständig zu parzellieren, wurde ihm durch die schweren Bedingungen, die man ihm auferlegte, beinahe unmöglich gemacht. Fortan galt die Losung: das Parzellieren darf nicht mehr als Geschäft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/141>, abgerufen am 22.07.2024.