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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

waltung standen theoretisch in einem ganz vollkommnen Widerspruch mit dem
Zweck und dem sonstigen Inhalt des Gesetzes und stellten praktisch eine
Schraube ohne Ende dar, die fortgesetzt daran arbeitete, der Verwaltung weit
über den Bedarf hinaus Juristen zuzuführen, auch wenn es dabei überall
mit rechten Dingen zuging. Ferner sorgte das Gesetz keineswegs für eine
genügende Ausbildung der eigentlichen Verwaltungsbeamten, wie jetzt alle
Welt zugibt; namentlich tat es nichts dafür, diesen die Verlorne Kenntnis des
praktischen Lebens wiederzugeben.

Als besonders schädlich erwies sich aber in der Folge, daß man im An¬
schluß an die bisherige Ordnung die Entscheidung über die Personalangelegen¬
heiten der höhern Beamten der Verwaltung unten den etwa drei Dutzend
Regierungspräsidenten, oben den Ministern des Innern und der Finanzen oder
eigentlich dem Minister des Innern und seinem Personalienrat*) weiter beließ.
Die unausbleibliche unmittelbare Folge dieser Versäumnis war, daß eine ein¬
heitliche, planmüßige, nur von Rücksichten auf die Verwaltung selbst geleitete
Personalienpolitik weiter unmöglich wurde, und daß statt dessen allerhand
Zufälligkeiten in diesen Sachen den Ausschlag gaben: Herkunft und Namen,
verwandtschaftliche Verhältnisse, Konfession, Landsmannschaft, Schul- und
Universitätsfreundschaften, Korpsbeziehungen, sonstige Beziehungen zu einflu߬
reichen Persönlichkeiten inner- und außerhalb der Verwaltung, wobei auch
das Ewig-Weibliche eine Rolle spielte, oder schließlich der Zufall schlechthin.
Besonders schlimm wirkte von allen diesen unberechtigten Einflüssen natürlich
die parlamentarische Patronage, die sich ja auch bei uns herausgebildet hat.**)

Die ganze Laufbahn des Verwaltungsbeamten wurde nun vom Zufall
bestimmt: seine Annahme als Referendar oder Justitiar, seine Verwendung in
bestimmten, besonders gesuchten Dezernaten oder bevorzugten Stellungen, die
Verleihung von Auszeichnungen außer der Reihe, vor allem natürlich die
Beförderung in Landratsstellen oder in andre höhere Stellen oder die Ein¬
berufung in Zentralbehörden, aber leider auch die Erfüllung bescheidner persön¬
licher Wünsche, wie etwa die Entscheidung über Versetzungsgesuche. Es ist
keine Übertreibung, daß in den letzten Jahrzehnten keiner ohne die Hilfe
solcher Zufälligkeiten in die Verwaltung hineingekommen ist oder darin außer¬
halb der sogenannten Ochsentour etwas erreicht hat. Die hervorragendsten
Fähigkeiten, die ausgezeichnetsten Kenntnisse, Erfahrungen und Leistungen,
mit einem Wort die größte Tüchtigkeit reichten nicht aus, das Fehlen solcher
zufälliger Beziehungen zu ersetzen. So erwuchs allmählich ein unerhörter
Nepotismus. Hierauf näher einzugehn, muß ich mir aus leicht begreiflichen




*) Vgl. über den ausschlaggebenden Einfluß dieses Beamten in Personalangelegenheiten
Professor Schmoller, Stenographische Berichte des Herrenhauses 1902/03, S, 189.
**) Vgl. über den Umfang der parlamentarischen Patronage und ihre Einwirkung auf die
Personalverhältnisse Professor Schmoller, Stenographische Berichte des Herrenhauses 190SM,
S. 189 s
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

waltung standen theoretisch in einem ganz vollkommnen Widerspruch mit dem
Zweck und dem sonstigen Inhalt des Gesetzes und stellten praktisch eine
Schraube ohne Ende dar, die fortgesetzt daran arbeitete, der Verwaltung weit
über den Bedarf hinaus Juristen zuzuführen, auch wenn es dabei überall
mit rechten Dingen zuging. Ferner sorgte das Gesetz keineswegs für eine
genügende Ausbildung der eigentlichen Verwaltungsbeamten, wie jetzt alle
Welt zugibt; namentlich tat es nichts dafür, diesen die Verlorne Kenntnis des
praktischen Lebens wiederzugeben.

Als besonders schädlich erwies sich aber in der Folge, daß man im An¬
schluß an die bisherige Ordnung die Entscheidung über die Personalangelegen¬
heiten der höhern Beamten der Verwaltung unten den etwa drei Dutzend
Regierungspräsidenten, oben den Ministern des Innern und der Finanzen oder
eigentlich dem Minister des Innern und seinem Personalienrat*) weiter beließ.
Die unausbleibliche unmittelbare Folge dieser Versäumnis war, daß eine ein¬
heitliche, planmüßige, nur von Rücksichten auf die Verwaltung selbst geleitete
Personalienpolitik weiter unmöglich wurde, und daß statt dessen allerhand
Zufälligkeiten in diesen Sachen den Ausschlag gaben: Herkunft und Namen,
verwandtschaftliche Verhältnisse, Konfession, Landsmannschaft, Schul- und
Universitätsfreundschaften, Korpsbeziehungen, sonstige Beziehungen zu einflu߬
reichen Persönlichkeiten inner- und außerhalb der Verwaltung, wobei auch
das Ewig-Weibliche eine Rolle spielte, oder schließlich der Zufall schlechthin.
Besonders schlimm wirkte von allen diesen unberechtigten Einflüssen natürlich
die parlamentarische Patronage, die sich ja auch bei uns herausgebildet hat.**)

Die ganze Laufbahn des Verwaltungsbeamten wurde nun vom Zufall
bestimmt: seine Annahme als Referendar oder Justitiar, seine Verwendung in
bestimmten, besonders gesuchten Dezernaten oder bevorzugten Stellungen, die
Verleihung von Auszeichnungen außer der Reihe, vor allem natürlich die
Beförderung in Landratsstellen oder in andre höhere Stellen oder die Ein¬
berufung in Zentralbehörden, aber leider auch die Erfüllung bescheidner persön¬
licher Wünsche, wie etwa die Entscheidung über Versetzungsgesuche. Es ist
keine Übertreibung, daß in den letzten Jahrzehnten keiner ohne die Hilfe
solcher Zufälligkeiten in die Verwaltung hineingekommen ist oder darin außer¬
halb der sogenannten Ochsentour etwas erreicht hat. Die hervorragendsten
Fähigkeiten, die ausgezeichnetsten Kenntnisse, Erfahrungen und Leistungen,
mit einem Wort die größte Tüchtigkeit reichten nicht aus, das Fehlen solcher
zufälliger Beziehungen zu ersetzen. So erwuchs allmählich ein unerhörter
Nepotismus. Hierauf näher einzugehn, muß ich mir aus leicht begreiflichen




*) Vgl. über den ausschlaggebenden Einfluß dieses Beamten in Personalangelegenheiten
Professor Schmoller, Stenographische Berichte des Herrenhauses 1902/03, S, 189.
**) Vgl. über den Umfang der parlamentarischen Patronage und ihre Einwirkung auf die
Personalverhältnisse Professor Schmoller, Stenographische Berichte des Herrenhauses 190SM,
S. 189 s
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/72>, abgerufen am 18.12.2024.