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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Machtfragen

besteigung seinen heimischen Berufspolitikern die eigentliche Leitung der Politik
aus der Hand zu nehmen, sondern seiner persönlichen Geschicklichkeit ist es auch
gelungen, mit überraschender Schnelligkeit England aus seiner sxlsnäiä Isolation
heraufzuführen, die die schikanöse Torypolitik geschaffen hatte, und bei deren Lob¬
preisung die englischen Blatter bemüht gewesen waren, aus der Not eine Tugend
zu machen. Es ist nun in Deutschland vielfach mit Unbehagen aufgenommen
worden, daß diese Politik, namentlich infolge des englisch-französischen Ab¬
kommens, eine deutschfeindliche Spitze bekommen hatte, aber man wird zugeben
müssen, daß sie im britischen Interesse liegt und nicht einmal durch eine dauernde
Absicht hervorgerufen worden zu sein braucht, Intriguen gegen Deutschland zu
schmieden. Es lag am wenigsten ein Grund vor, die Begegnungen von Car-
tcigena und Gcieta nervös aufzufassen. Ähnliche Zusammenkünfte hat doch
Kaiser Wilhelm oft genug herbeigeführt, und die sind gerade von Zeitungen,
die letzthin so nervös taten, damals als bedeutungslose Fürstenbegegnungen
auszulegen versucht worden. Warum nun gerade die des englischen Königs
so viel bedeutsamer sein sollten, ist schwer einzusehen. König Eduard gilt gewiß
mit Recht als der erste Gentleman seines Landes, aber gerade Franzosen sagen
vom Kaiser Wilhelm, er wisse die Leute geradezu zu berücken. Sollte König
Eduard noch mehr vermögen? Die Sache ist einfach die, daß England durch
die Bemühungen seines Königs den Platz einnimmt, den eine ungeschickte
Politik verscherzt hatte. Heute handelt es sich nicht mehr allein um Kontinental¬
fragen, sondern auch um die Weltpolitik, bei der hauptsächlich die Seestreit¬
kräfte in Betracht kommen. England ist doch unbestritten die erste Seemacht,
die darum nicht geringer wird, weil seine Landmacht, nach europäischen Ver¬
hältnissen gemessen, auffällig klein ist. Es ist deshalb kein Wunder und noch
weniger eine Drohung gegen Deutschland, wenn sich in Aussicht auf Ent¬
scheidungen über Welthündel die anlehnungsbedürftigen Staaten der ersten
Seemacht nähern und selbst mit ihr in ein enges Verhältnis zu treten versuchen,
sobald sie nur will. Das ergibt sich einfach aus den Machtverhältnissen.
Deutschland steht zu Lande an der Spitze des Dreibundes, England führt zur
See; das könnte auch Bismarck nicht ändern.

Man muß sich eben in Deutschland an die bestehenden Machtverhältnisse
und ihre Folgen zu gewöhnen suchen. Eine Gefahr liegt in diesen Verhält¬
nissen für uns nicht, wenn wir sie nicht heraufbeschwören, was ausgeschlossen
ist. Zu Lande ist Deutschland unangreifbar wegen seines Heeres und seiner
Bündnisse; seine im Vergleich mit England noch schwache Flotte ist so anerkannt
tüchtig an Material und Mannschaft, daß sie auch einer überlegnen Scestreit-
macht einen sehr nachdrücklichen Widerstand leisten würde. Das weiß man auch
in England, das mit gutem Bedacht seit einem Jahrhundert keinen Krieg mit
einer größern Seemacht geführt hat. Man weiß auch dort ganz gut, daß das
deutsche Volk selbst in der nächsten Generation noch kein ebenbürtiger Gegner
der britischen Weltmacht zur See sein wird. Man darf sich nur in Deutschland


Über Machtfragen

besteigung seinen heimischen Berufspolitikern die eigentliche Leitung der Politik
aus der Hand zu nehmen, sondern seiner persönlichen Geschicklichkeit ist es auch
gelungen, mit überraschender Schnelligkeit England aus seiner sxlsnäiä Isolation
heraufzuführen, die die schikanöse Torypolitik geschaffen hatte, und bei deren Lob¬
preisung die englischen Blatter bemüht gewesen waren, aus der Not eine Tugend
zu machen. Es ist nun in Deutschland vielfach mit Unbehagen aufgenommen
worden, daß diese Politik, namentlich infolge des englisch-französischen Ab¬
kommens, eine deutschfeindliche Spitze bekommen hatte, aber man wird zugeben
müssen, daß sie im britischen Interesse liegt und nicht einmal durch eine dauernde
Absicht hervorgerufen worden zu sein braucht, Intriguen gegen Deutschland zu
schmieden. Es lag am wenigsten ein Grund vor, die Begegnungen von Car-
tcigena und Gcieta nervös aufzufassen. Ähnliche Zusammenkünfte hat doch
Kaiser Wilhelm oft genug herbeigeführt, und die sind gerade von Zeitungen,
die letzthin so nervös taten, damals als bedeutungslose Fürstenbegegnungen
auszulegen versucht worden. Warum nun gerade die des englischen Königs
so viel bedeutsamer sein sollten, ist schwer einzusehen. König Eduard gilt gewiß
mit Recht als der erste Gentleman seines Landes, aber gerade Franzosen sagen
vom Kaiser Wilhelm, er wisse die Leute geradezu zu berücken. Sollte König
Eduard noch mehr vermögen? Die Sache ist einfach die, daß England durch
die Bemühungen seines Königs den Platz einnimmt, den eine ungeschickte
Politik verscherzt hatte. Heute handelt es sich nicht mehr allein um Kontinental¬
fragen, sondern auch um die Weltpolitik, bei der hauptsächlich die Seestreit¬
kräfte in Betracht kommen. England ist doch unbestritten die erste Seemacht,
die darum nicht geringer wird, weil seine Landmacht, nach europäischen Ver¬
hältnissen gemessen, auffällig klein ist. Es ist deshalb kein Wunder und noch
weniger eine Drohung gegen Deutschland, wenn sich in Aussicht auf Ent¬
scheidungen über Welthündel die anlehnungsbedürftigen Staaten der ersten
Seemacht nähern und selbst mit ihr in ein enges Verhältnis zu treten versuchen,
sobald sie nur will. Das ergibt sich einfach aus den Machtverhältnissen.
Deutschland steht zu Lande an der Spitze des Dreibundes, England führt zur
See; das könnte auch Bismarck nicht ändern.

Man muß sich eben in Deutschland an die bestehenden Machtverhältnisse
und ihre Folgen zu gewöhnen suchen. Eine Gefahr liegt in diesen Verhält¬
nissen für uns nicht, wenn wir sie nicht heraufbeschwören, was ausgeschlossen
ist. Zu Lande ist Deutschland unangreifbar wegen seines Heeres und seiner
Bündnisse; seine im Vergleich mit England noch schwache Flotte ist so anerkannt
tüchtig an Material und Mannschaft, daß sie auch einer überlegnen Scestreit-
macht einen sehr nachdrücklichen Widerstand leisten würde. Das weiß man auch
in England, das mit gutem Bedacht seit einem Jahrhundert keinen Krieg mit
einer größern Seemacht geführt hat. Man weiß auch dort ganz gut, daß das
deutsche Volk selbst in der nächsten Generation noch kein ebenbürtiger Gegner
der britischen Weltmacht zur See sein wird. Man darf sich nur in Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/70>, abgerufen am 12.12.2024.