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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assise

Von der Kirche in Sold genommen wurde, ihre Herrschaft zu stützen. Er er¬
lebte es, daß die schmalen Pforten erweitert wurden und allerhand Elemente
Eingang, ja schließlich das Übergewicht fanden, denen die Lauterkeit des Herzens
fremd war, die den Orden zu einer imposanten Bruderschaft ausgestalten und
auch' in ihm die eigne Ehre suchen wollten. In jenen Zeiten war es, wo
Franziskus von einem Vogel träumte, der die eigne Brut nicht mehr mit seinen
Flügeln decken konnte. Und war das Geschlecht seiner Kinder dem Fittich
seiner Liebe nicht auch entwachsen? In jenen Jahren suchte er dem Orden
einen neuen Meister. Er selbst trat in die Reihen der Brüder ein, um Ge¬
horsam zu üben, Gehorsam, während er oft mit wehem Herzen sehen mußte,
wie auch sein Werk nicht unberührt bleiben konnte vom Staub der Erde, wie
es seine Reinheit verlor, wie auch sein Ideal zu zerbrechen drohte!




Dort sah man einer Sonne Glut entbrennen,
Gleich der am Ganges, klar in heilgen Licht --

Diese Worte aus Dantes Göttlicher Komödie vergleichen den Heiligen von
Assisi mit dem Tagesgestirn, das fern im Osten emporsteigt. Henry Thode
läßt sie sich zum Anlaß dienen, seinen Helden mit einem andern Gestirn zu
vergleichen, das ebenfalls aus den Fluten des Ganges emporgestiegen ist, mit
Buddha, dem Stifter der buddhistischen Religion. Und in der Tat, der Ver¬
gleichungspunkte bieten sich mancherlei, auch abgesehen von den Überein¬
stimmungen in ihrem äußern Lebensgange, daß beide durch Todesahnung und beide
aus dem Sinnenglück eines skrupelloser Lebensgenusses herausgerissen wurden.

Wenn ich jetzt in wenigen Strichen eine zusammenhängende Charakteristik
des heiligen Franz zu geben versuchen will, so möchte ich beginnen mit zwei
Dingen, die beiden gemeinsam sind. Franziskus und Buddha wollten frei
werden von allem Irdischen, und beiden erscheint die Armut als ein Befreiungs¬
mittel, wirksamer als alle andern! Welche Rolle gerade sie im Leben des
Franziskus spielte, haben wir schon gesehen. Sie war die holde Braut, die er
heimgeführt hatte, die Dame seiner Minne, der sein Herz gehörte und seine
Lieder. Man sagt, es liege über dem Leben des heiligen Franz ein unverkenn¬
barer Abglanz jener Ritterlichkeit, die soviel Poesie über seine Zeit gebreitet
hat. Man sagt das nicht mit Unrecht. Die Armut aber war die Braut, der
er die reine Liebe seines Herzens schenkte, der er als Troubadour und Sänger
seine Lieder weihte. Von den Tagen, wo er sich in Assisi für alle Zeiten mit
ihr verlobte, hat er ihr die Treue unverrückt gehalten zwanzig Jahre hindurch,
bis er, kaum vierundvierzigjührig, gebettet auf die nackte Erde in der Portiunkula
sein armes Leben von sich gab! Und wie er, der Poverello von Assisi, so haben
seine ersten Jünger mit einer uns unbegreiflichen Glut in tiefer, stiller Zartheit
um das Herz dieser dem Himmel entstiegnen Braut geworben.

Und noch ein andres gibt es, was Franziskus mit jenem Gestirn aus den
Fluten des Ganges vergleichbar macht. Wie Buddha, so hat auch er eine un-


Franziskus von Assise

Von der Kirche in Sold genommen wurde, ihre Herrschaft zu stützen. Er er¬
lebte es, daß die schmalen Pforten erweitert wurden und allerhand Elemente
Eingang, ja schließlich das Übergewicht fanden, denen die Lauterkeit des Herzens
fremd war, die den Orden zu einer imposanten Bruderschaft ausgestalten und
auch' in ihm die eigne Ehre suchen wollten. In jenen Zeiten war es, wo
Franziskus von einem Vogel träumte, der die eigne Brut nicht mehr mit seinen
Flügeln decken konnte. Und war das Geschlecht seiner Kinder dem Fittich
seiner Liebe nicht auch entwachsen? In jenen Jahren suchte er dem Orden
einen neuen Meister. Er selbst trat in die Reihen der Brüder ein, um Ge¬
horsam zu üben, Gehorsam, während er oft mit wehem Herzen sehen mußte,
wie auch sein Werk nicht unberührt bleiben konnte vom Staub der Erde, wie
es seine Reinheit verlor, wie auch sein Ideal zu zerbrechen drohte!




Dort sah man einer Sonne Glut entbrennen,
Gleich der am Ganges, klar in heilgen Licht —

Diese Worte aus Dantes Göttlicher Komödie vergleichen den Heiligen von
Assisi mit dem Tagesgestirn, das fern im Osten emporsteigt. Henry Thode
läßt sie sich zum Anlaß dienen, seinen Helden mit einem andern Gestirn zu
vergleichen, das ebenfalls aus den Fluten des Ganges emporgestiegen ist, mit
Buddha, dem Stifter der buddhistischen Religion. Und in der Tat, der Ver¬
gleichungspunkte bieten sich mancherlei, auch abgesehen von den Überein¬
stimmungen in ihrem äußern Lebensgange, daß beide durch Todesahnung und beide
aus dem Sinnenglück eines skrupelloser Lebensgenusses herausgerissen wurden.

Wenn ich jetzt in wenigen Strichen eine zusammenhängende Charakteristik
des heiligen Franz zu geben versuchen will, so möchte ich beginnen mit zwei
Dingen, die beiden gemeinsam sind. Franziskus und Buddha wollten frei
werden von allem Irdischen, und beiden erscheint die Armut als ein Befreiungs¬
mittel, wirksamer als alle andern! Welche Rolle gerade sie im Leben des
Franziskus spielte, haben wir schon gesehen. Sie war die holde Braut, die er
heimgeführt hatte, die Dame seiner Minne, der sein Herz gehörte und seine
Lieder. Man sagt, es liege über dem Leben des heiligen Franz ein unverkenn¬
barer Abglanz jener Ritterlichkeit, die soviel Poesie über seine Zeit gebreitet
hat. Man sagt das nicht mit Unrecht. Die Armut aber war die Braut, der
er die reine Liebe seines Herzens schenkte, der er als Troubadour und Sänger
seine Lieder weihte. Von den Tagen, wo er sich in Assisi für alle Zeiten mit
ihr verlobte, hat er ihr die Treue unverrückt gehalten zwanzig Jahre hindurch,
bis er, kaum vierundvierzigjührig, gebettet auf die nackte Erde in der Portiunkula
sein armes Leben von sich gab! Und wie er, der Poverello von Assisi, so haben
seine ersten Jünger mit einer uns unbegreiflichen Glut in tiefer, stiller Zartheit
um das Herz dieser dem Himmel entstiegnen Braut geworben.

Und noch ein andres gibt es, was Franziskus mit jenem Gestirn aus den
Fluten des Ganges vergleichbar macht. Wie Buddha, so hat auch er eine un-


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[0681] Franziskus von Assise Von der Kirche in Sold genommen wurde, ihre Herrschaft zu stützen. Er er¬ lebte es, daß die schmalen Pforten erweitert wurden und allerhand Elemente Eingang, ja schließlich das Übergewicht fanden, denen die Lauterkeit des Herzens fremd war, die den Orden zu einer imposanten Bruderschaft ausgestalten und auch' in ihm die eigne Ehre suchen wollten. In jenen Zeiten war es, wo Franziskus von einem Vogel träumte, der die eigne Brut nicht mehr mit seinen Flügeln decken konnte. Und war das Geschlecht seiner Kinder dem Fittich seiner Liebe nicht auch entwachsen? In jenen Jahren suchte er dem Orden einen neuen Meister. Er selbst trat in die Reihen der Brüder ein, um Ge¬ horsam zu üben, Gehorsam, während er oft mit wehem Herzen sehen mußte, wie auch sein Werk nicht unberührt bleiben konnte vom Staub der Erde, wie es seine Reinheit verlor, wie auch sein Ideal zu zerbrechen drohte! Dort sah man einer Sonne Glut entbrennen, Gleich der am Ganges, klar in heilgen Licht — Diese Worte aus Dantes Göttlicher Komödie vergleichen den Heiligen von Assisi mit dem Tagesgestirn, das fern im Osten emporsteigt. Henry Thode läßt sie sich zum Anlaß dienen, seinen Helden mit einem andern Gestirn zu vergleichen, das ebenfalls aus den Fluten des Ganges emporgestiegen ist, mit Buddha, dem Stifter der buddhistischen Religion. Und in der Tat, der Ver¬ gleichungspunkte bieten sich mancherlei, auch abgesehen von den Überein¬ stimmungen in ihrem äußern Lebensgange, daß beide durch Todesahnung und beide aus dem Sinnenglück eines skrupelloser Lebensgenusses herausgerissen wurden. Wenn ich jetzt in wenigen Strichen eine zusammenhängende Charakteristik des heiligen Franz zu geben versuchen will, so möchte ich beginnen mit zwei Dingen, die beiden gemeinsam sind. Franziskus und Buddha wollten frei werden von allem Irdischen, und beiden erscheint die Armut als ein Befreiungs¬ mittel, wirksamer als alle andern! Welche Rolle gerade sie im Leben des Franziskus spielte, haben wir schon gesehen. Sie war die holde Braut, die er heimgeführt hatte, die Dame seiner Minne, der sein Herz gehörte und seine Lieder. Man sagt, es liege über dem Leben des heiligen Franz ein unverkenn¬ barer Abglanz jener Ritterlichkeit, die soviel Poesie über seine Zeit gebreitet hat. Man sagt das nicht mit Unrecht. Die Armut aber war die Braut, der er die reine Liebe seines Herzens schenkte, der er als Troubadour und Sänger seine Lieder weihte. Von den Tagen, wo er sich in Assisi für alle Zeiten mit ihr verlobte, hat er ihr die Treue unverrückt gehalten zwanzig Jahre hindurch, bis er, kaum vierundvierzigjührig, gebettet auf die nackte Erde in der Portiunkula sein armes Leben von sich gab! Und wie er, der Poverello von Assisi, so haben seine ersten Jünger mit einer uns unbegreiflichen Glut in tiefer, stiller Zartheit um das Herz dieser dem Himmel entstiegnen Braut geworben. Und noch ein andres gibt es, was Franziskus mit jenem Gestirn aus den Fluten des Ganges vergleichbar macht. Wie Buddha, so hat auch er eine un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/681>, abgerufen am 12.12.2024.