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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line Philosophie des Krieges

Zufällig hat auch Novicow gerade wieder ein neues Buch herausgegeben (Die
Gerechtigkeit und die Entfaltung des Lebens), von dem mehrere Kapitel der
Bekämpfung des Krieges und des Militarismus gewidmet sind. Anstatt mich
auf die Kontroverse der beiden feindlichen Parteien einzulassen, die vor dem
Weltende nicht zu Ende gehen wird, will ich lieber bei zwei Kapiteln des
Buches von Steinmetz ein wenig verweilen, die eine teils direkte teils indirekte
Kritik preußischer Zustände enthalten.

Zu den schlimmsten Wirkungen des Krieges gehört, daß er die Menschen
verroht. Die moderne Art der Kriegführung hat viele Quellen der Verrohung
verstopft, aber manche fließen noch. "Wir haben vom Kriege bei den direkt
beteiligten Soldaten und Offizieren eine Zunahme von Roheit, Grausamkeit,
Mißachtung fremden Eigentums und Lebens, Selbstüberhebung, Mißachtung
fremder, besonders weiblicher Ehre und Persönlichkeit zu erwarten." Glücklicher¬
weise erfüllt sich diese Erwartung nicht in dem zu fürchtenden Umfange. Die
Kriminalstatistik bekundet keine wesentliche Zunahme der Roheitsverbrechen nach
den Kriegen des neunzehnten Jahrhunderts. Bedenklicher erscheint der Umstand,
daß auch das Soldatenleben im Frieden, das Kasernenleben, nicht mit Unrecht
beschuldigt wird, es verrohe die Menschen. "Die häusliche Zucht hört auf
einmal auf, sie wird durch die militärische nur sehr unvollkommen ersetzt, da
diese sich auf ganz andre Handlungen des jungen Menschen bezieht und ihren
Mitteln nach mehr äußerlich bleiben muß. Gute weibliche Einflüsse, ohne die
jedes Leben, weil einseitig"?), zur Unsittlichkeit hinneigen muß, fehlen ganz.
Aus dem engen Kreise des gewohnten Lebens treten die jungen Leute auf
einmal, ohne Übergang, im sehr empfänglichen Alter in ganz andre Verhält¬
nisse; oft wird der Bauer in die Großstadt verpflanzt. Als die eigentlichen
Erzieher jeder Stunde treten die jungen Genossen in Wirksamkeit, die dazu
am wenigsten geeignet sind, und die keineswegs erhebende Pshchologie der
Menge übt ihren Einfluß mittels der. falschen Scham. Dazu geben die Unter¬
offiziere, die soldatische Roheit manchmal mit dem Größenwahn der Offiziere
Paaren, ihr wohl selten gutes Beispiel. Wer viele von diesen in ihrem Ver¬
hältnis zu Mädchen beobachten konnte, wird von ihrer Einwirkung ans das
Gemüt der jungen Soldaten nur das Schlimmste erwarten. Obwohl der
Verfasser, dessen Vater Oberst war, den wertvollen Einfluß nicht unterschätzt,
den manche Offiziere auf das intimere Leben der Untergebnen ausüben, so
fürchtet er doch, dieser Einfluß möge manchmal fehlen, manchmal ins Ungünstige
entarten. Der dumme Standesstolz, die lächerliche Einbildung, die Anmaßung
den Untergebnen gegenüber, das Kriechen vor den Vorgesetzten, das alles muß
unvermeidlich einen verderblichen Einfluß auf die jungen Seelen ausüben. Das
Schlimmste dabei ist vielleicht die Aufhebung des Glaubens an die Vorgesetzten:
wer sie so täglich in ihrer kleinlichen Anmaßung nicht nur wahrnehmen, sondern
ertragen muß und dennoch ihnen zu gehorchen gezwungen ist, leidet entweder
seelisch furchtbar oder wird in seinem Charakter geschädigt. Jeder Vorgesetzte,


Line Philosophie des Krieges

Zufällig hat auch Novicow gerade wieder ein neues Buch herausgegeben (Die
Gerechtigkeit und die Entfaltung des Lebens), von dem mehrere Kapitel der
Bekämpfung des Krieges und des Militarismus gewidmet sind. Anstatt mich
auf die Kontroverse der beiden feindlichen Parteien einzulassen, die vor dem
Weltende nicht zu Ende gehen wird, will ich lieber bei zwei Kapiteln des
Buches von Steinmetz ein wenig verweilen, die eine teils direkte teils indirekte
Kritik preußischer Zustände enthalten.

Zu den schlimmsten Wirkungen des Krieges gehört, daß er die Menschen
verroht. Die moderne Art der Kriegführung hat viele Quellen der Verrohung
verstopft, aber manche fließen noch. „Wir haben vom Kriege bei den direkt
beteiligten Soldaten und Offizieren eine Zunahme von Roheit, Grausamkeit,
Mißachtung fremden Eigentums und Lebens, Selbstüberhebung, Mißachtung
fremder, besonders weiblicher Ehre und Persönlichkeit zu erwarten." Glücklicher¬
weise erfüllt sich diese Erwartung nicht in dem zu fürchtenden Umfange. Die
Kriminalstatistik bekundet keine wesentliche Zunahme der Roheitsverbrechen nach
den Kriegen des neunzehnten Jahrhunderts. Bedenklicher erscheint der Umstand,
daß auch das Soldatenleben im Frieden, das Kasernenleben, nicht mit Unrecht
beschuldigt wird, es verrohe die Menschen. „Die häusliche Zucht hört auf
einmal auf, sie wird durch die militärische nur sehr unvollkommen ersetzt, da
diese sich auf ganz andre Handlungen des jungen Menschen bezieht und ihren
Mitteln nach mehr äußerlich bleiben muß. Gute weibliche Einflüsse, ohne die
jedes Leben, weil einseitig«?), zur Unsittlichkeit hinneigen muß, fehlen ganz.
Aus dem engen Kreise des gewohnten Lebens treten die jungen Leute auf
einmal, ohne Übergang, im sehr empfänglichen Alter in ganz andre Verhält¬
nisse; oft wird der Bauer in die Großstadt verpflanzt. Als die eigentlichen
Erzieher jeder Stunde treten die jungen Genossen in Wirksamkeit, die dazu
am wenigsten geeignet sind, und die keineswegs erhebende Pshchologie der
Menge übt ihren Einfluß mittels der. falschen Scham. Dazu geben die Unter¬
offiziere, die soldatische Roheit manchmal mit dem Größenwahn der Offiziere
Paaren, ihr wohl selten gutes Beispiel. Wer viele von diesen in ihrem Ver¬
hältnis zu Mädchen beobachten konnte, wird von ihrer Einwirkung ans das
Gemüt der jungen Soldaten nur das Schlimmste erwarten. Obwohl der
Verfasser, dessen Vater Oberst war, den wertvollen Einfluß nicht unterschätzt,
den manche Offiziere auf das intimere Leben der Untergebnen ausüben, so
fürchtet er doch, dieser Einfluß möge manchmal fehlen, manchmal ins Ungünstige
entarten. Der dumme Standesstolz, die lächerliche Einbildung, die Anmaßung
den Untergebnen gegenüber, das Kriechen vor den Vorgesetzten, das alles muß
unvermeidlich einen verderblichen Einfluß auf die jungen Seelen ausüben. Das
Schlimmste dabei ist vielleicht die Aufhebung des Glaubens an die Vorgesetzten:
wer sie so täglich in ihrer kleinlichen Anmaßung nicht nur wahrnehmen, sondern
ertragen muß und dennoch ihnen zu gehorchen gezwungen ist, leidet entweder
seelisch furchtbar oder wird in seinem Charakter geschädigt. Jeder Vorgesetzte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/675>, abgerufen am 12.12.2024.