Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Über Machtfragen Kaiser der Zukunft: "Wie dich die Lande anerkennen, soll auch das Meer dein Die Entstehung und die erste Blüte der Hansa wie die Ausbreitung des Über Machtfragen Kaiser der Zukunft: „Wie dich die Lande anerkennen, soll auch das Meer dein Die Entstehung und die erste Blüte der Hansa wie die Ausbreitung des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302769"/> <fw type="header" place="top"> Über Machtfragen</fw><lb/> <p xml:id="ID_259" prev="#ID_258"> Kaiser der Zukunft: „Wie dich die Lande anerkennen, soll auch das Meer dein<lb/> Lehen sein!" Sie hatten in der Seele des deutschen Volks gelesen, das nicht<lb/> bloß aus Neugierde für die Übersee begeistert war und heute noch der Kolonial¬<lb/> politik und der Flotte mit größerer Wärme gegenübersteht, als die Parteiweisen<lb/> meinen. Die schlichten Erzählungen unsrer Chinakrieger, südwestafrikanischen<lb/> Mitkämpfer und Matrosen finden in den noch gesunden Volksschichten mehr<lb/> Anklang als die künstlichsten Parteiredeu. Das haben die letzten Reichstags¬<lb/> wahlen bewiesen. Die Flotte ist sogar populärer als das Heer, das doch Unver¬<lb/> gleichliches geleistet hat. Es ist das Verdienst der leitenden Männer im Reiche,<lb/> daß sie an diese kräftige Strömung im Volk appelliert haben, Deutschland ist<lb/> dadurch um einen gewaltigen Ruck vorwärts gekommen. Das deutsche Volk<lb/> will seinen „Platz an der Sonne" behaupten, und darum wird es gelingen.<lb/> Damit wird auch der Parteijammer überwunden werden, an dem Deutschland<lb/> krankt, wenn auch nicht auf einmal.</p><lb/> <p xml:id="ID_260" next="#ID_261"> Die Entstehung und die erste Blüte der Hansa wie die Ausbreitung des<lb/> Deutschtums im Osten fielen zusammen mit der Größe des deutschen Kaisertums<lb/> im Mittelalter. Jetzt ist Deutschland wieder ein Staat, eine Großmacht ge¬<lb/> worden. Geeinigt durch die glorreichen Siege des Heeres, das immer daheim<lb/> die Basis schützen wird, darf es sich nun auch auf die Meere wagen. Man<lb/> scheint aber wirklich in gewissen Parteikreisen noch der Meinung zu sein, daß<lb/> das Ausland den Deutschen den freien Wettbewerb auf dem Weltmarkt unge¬<lb/> hindert und ohne Kampf gönnen würde, selbst wenn sie nicht einmal den Willen<lb/> und das Ehrgefühl hätten, den einmal erworbnen Kolonialbesitz festzuhalten.<lb/> Canning rief seinen Briten zu: „Die Zeit und der Zufall können nichts für<lb/> die tun, die für sich selbst nichts tun wollen. Sogar die Vorsehung kann kaum<lb/> ein Volk retten, das sich nicht darauf gefaßt macht, selbst seine eigne Sicherheit<lb/> zu erkämpfen." Das deutsche Sprichwort: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!"<lb/> drückt das wohl noch kürzer aus, wird aber nicht immer beachtet. Die Existenz<lb/> Deutschlands steht und fällt mit der Unabhängigkeit seiner auswärtigen Politik<lb/> von den Wechselfällen des parlamentarischen Lebens und mit dem Bestände einer<lb/> starken Wehrmacht. Es muß ein Militärstaat bleiben oder hört überhaupt auf, ein<lb/> Staat zu sein. Das Elend der „Reichsarmee" hat das erste deutsche Kaiserreich<lb/> zugrunde gerichtet. England ist ein Inselreich, das des Schutzes eines stehenden<lb/> Heeres nie bedürfte und seit acht Jahrhunderten keinen feindlichen Einfall er¬<lb/> litten hat; dort mag man vielleicht anders darüber denken, aber für Deutschland<lb/> gibt es nur die eine Möglichkeit, stark zu bleiben; dann hat es Frieden. Es<lb/> leidet eben unter dem unvermeidlichen Lose eines erst vor wenig Jahrzehnten<lb/> in den ersten Rang der Großmächte eingetretnen Reiches, das auch unter guten<lb/> Freunden noch Neider findet. Seine wirtschaftliche Tätigkeit bringt es in enge<lb/> Berührung mit andern Nationen, zwischen denen es einen Platz suchen und<lb/> ihn behaupten muß. Die zunehmende Verstimmung im Auslande zeigt noch<lb/> mehr als die Statistiker, daß Deutschland in Industrie, Handel und Schiffahrt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Über Machtfragen
Kaiser der Zukunft: „Wie dich die Lande anerkennen, soll auch das Meer dein
Lehen sein!" Sie hatten in der Seele des deutschen Volks gelesen, das nicht
bloß aus Neugierde für die Übersee begeistert war und heute noch der Kolonial¬
politik und der Flotte mit größerer Wärme gegenübersteht, als die Parteiweisen
meinen. Die schlichten Erzählungen unsrer Chinakrieger, südwestafrikanischen
Mitkämpfer und Matrosen finden in den noch gesunden Volksschichten mehr
Anklang als die künstlichsten Parteiredeu. Das haben die letzten Reichstags¬
wahlen bewiesen. Die Flotte ist sogar populärer als das Heer, das doch Unver¬
gleichliches geleistet hat. Es ist das Verdienst der leitenden Männer im Reiche,
daß sie an diese kräftige Strömung im Volk appelliert haben, Deutschland ist
dadurch um einen gewaltigen Ruck vorwärts gekommen. Das deutsche Volk
will seinen „Platz an der Sonne" behaupten, und darum wird es gelingen.
Damit wird auch der Parteijammer überwunden werden, an dem Deutschland
krankt, wenn auch nicht auf einmal.
Die Entstehung und die erste Blüte der Hansa wie die Ausbreitung des
Deutschtums im Osten fielen zusammen mit der Größe des deutschen Kaisertums
im Mittelalter. Jetzt ist Deutschland wieder ein Staat, eine Großmacht ge¬
worden. Geeinigt durch die glorreichen Siege des Heeres, das immer daheim
die Basis schützen wird, darf es sich nun auch auf die Meere wagen. Man
scheint aber wirklich in gewissen Parteikreisen noch der Meinung zu sein, daß
das Ausland den Deutschen den freien Wettbewerb auf dem Weltmarkt unge¬
hindert und ohne Kampf gönnen würde, selbst wenn sie nicht einmal den Willen
und das Ehrgefühl hätten, den einmal erworbnen Kolonialbesitz festzuhalten.
Canning rief seinen Briten zu: „Die Zeit und der Zufall können nichts für
die tun, die für sich selbst nichts tun wollen. Sogar die Vorsehung kann kaum
ein Volk retten, das sich nicht darauf gefaßt macht, selbst seine eigne Sicherheit
zu erkämpfen." Das deutsche Sprichwort: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!"
drückt das wohl noch kürzer aus, wird aber nicht immer beachtet. Die Existenz
Deutschlands steht und fällt mit der Unabhängigkeit seiner auswärtigen Politik
von den Wechselfällen des parlamentarischen Lebens und mit dem Bestände einer
starken Wehrmacht. Es muß ein Militärstaat bleiben oder hört überhaupt auf, ein
Staat zu sein. Das Elend der „Reichsarmee" hat das erste deutsche Kaiserreich
zugrunde gerichtet. England ist ein Inselreich, das des Schutzes eines stehenden
Heeres nie bedürfte und seit acht Jahrhunderten keinen feindlichen Einfall er¬
litten hat; dort mag man vielleicht anders darüber denken, aber für Deutschland
gibt es nur die eine Möglichkeit, stark zu bleiben; dann hat es Frieden. Es
leidet eben unter dem unvermeidlichen Lose eines erst vor wenig Jahrzehnten
in den ersten Rang der Großmächte eingetretnen Reiches, das auch unter guten
Freunden noch Neider findet. Seine wirtschaftliche Tätigkeit bringt es in enge
Berührung mit andern Nationen, zwischen denen es einen Platz suchen und
ihn behaupten muß. Die zunehmende Verstimmung im Auslande zeigt noch
mehr als die Statistiker, daß Deutschland in Industrie, Handel und Schiffahrt
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