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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Neues von Seilliere und über Gobineau

aus Negern Kaukasier werden, scheint aber meine Meinung gründlich mißver¬
standen zu haben, da er sie neben die von Leuten stellt, die behaupten, "jede
beliebige ethnographische Gruppe, ob Mitteleuropücr oder Papua, könne Kultur
entwickeln: womöglich dieselbe Kultur". Einen solchen Unsinn habe ich niemals
behauptet. Das heißt, nur in dem Wort "dieselbe" steckt Unsinn; Kultur, wenn
auch eine sehr niedrige, hat ja der Papua, und Ratzel überzeugt uns, daß die
Kultur der fälschlich so genannten Naturvölker gar nicht so niedrig ist, wie wir
sie uns vorzustellen pflegen. (Ratzel wird von Friedrich meist zustimmend
zitiert, nur will dieser den Lebensbedingungen nicht so viel Einfluß auf die
Kulturentwicklung zugestehn wie jener. Was Schiele in den Grenzboten über
die Neger schreibt, wird lobend als richtig anerkannt.) Es handelt sich um
folgendes. Ich halte den Rassencharakter, namentlich den Charakter der Urrcissen,
für so beharrlich, daß er, wie ja die Erfahrung lehrt, auch starken klimatischen
Einflüssen jahrhundertelang standhalten kann, aber ich halte ihn nicht für
unveränderlich und vermag mir die Entstehung der Menschenrassen auf andre
Weise als durch klimatische Einflüsse nicht zu erklären. Warum diese Entstehungs¬
weise undenkbar sein soll, kann ich nicht versteh". Man muß doch den Menschen
entweder nach der materialistischen oder nach der idealistischen Hypothese ent¬
standen denken. Im ersten Falle ist nicht einzusehen, warum nicht, wenn sich
die Monere zum Molch, der Molch (wissenschaftlich gesprochen der Lurch) zum
Menschen entwickelt, der Schwarze sich zum Weißen soll entwickeln können, und
zwar auf dem darwinischen Wege, durch Anpassung an veränderte Lebens¬
bedingungen, unter denen die klimatischen und sonstigen geographischen doch
wohl die wirksamsten sind. Will man lieber die drei Grundrassen aus einer
Urrasse hervorgehn lassen, die mit keiner der vorhandnen zusammenfällt, so wird
dadurch an der Tatsache nichts geändert, daß die Rassen durch klimatische Ein¬
flüsse entstanden sind. Huldige man der idealistischen Hypothese, die noch nicht
sofort die christliche zu sein braucht, so nimmt man an, daß, wie bei der Ent¬
stehung der Pflanzen- und Tierarten, die mechanischen Einflüsse der Umwelt
nicht hingereicht haben, diese Differenzierung zustande zu bringen, daß vielmehr
von Gott oder dem Unbewußten oder der Weltseele oder der absoluten Idee
ein Antrieb dazu ausgehn mußte. Nun wird man sich doch diesen Antrieb
heutzutage nicht gern als ein momentan wirkendes Schöpfungswunder vorstellen,
sondern lieber annehmen, der Demiurg habe die Einflüsse, die sonst für sich
allein kleinere Änderungen hervorbringen, so geleitet, daß eine ungewöhnlich
starke Abweichung herauskam, und habe dann, nachdem diese fertig war, den
Art oder Rasse bildenden Motor wieder außer Tätigkeit gesetzt. Der Idealist
wird dabei vielleicht, wie es der Christ tatsächlich tut, nicht den Schwarzen
sich zum Weißen "emporentwickeln", sondern den Weißen zum Schwarzen
degenerieren lassen. Ohne eine solche Annahme bleibt doch zur Erklärung der
Entstehung der Menschenrassen nur das Wunder sg-us xw-ass übrig, für das
unsre Rassentheoretiker, die viel auf strenge Wissenschaft halten, sonst nicht


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aus Negern Kaukasier werden, scheint aber meine Meinung gründlich mißver¬
standen zu haben, da er sie neben die von Leuten stellt, die behaupten, „jede
beliebige ethnographische Gruppe, ob Mitteleuropücr oder Papua, könne Kultur
entwickeln: womöglich dieselbe Kultur". Einen solchen Unsinn habe ich niemals
behauptet. Das heißt, nur in dem Wort „dieselbe" steckt Unsinn; Kultur, wenn
auch eine sehr niedrige, hat ja der Papua, und Ratzel überzeugt uns, daß die
Kultur der fälschlich so genannten Naturvölker gar nicht so niedrig ist, wie wir
sie uns vorzustellen pflegen. (Ratzel wird von Friedrich meist zustimmend
zitiert, nur will dieser den Lebensbedingungen nicht so viel Einfluß auf die
Kulturentwicklung zugestehn wie jener. Was Schiele in den Grenzboten über
die Neger schreibt, wird lobend als richtig anerkannt.) Es handelt sich um
folgendes. Ich halte den Rassencharakter, namentlich den Charakter der Urrcissen,
für so beharrlich, daß er, wie ja die Erfahrung lehrt, auch starken klimatischen
Einflüssen jahrhundertelang standhalten kann, aber ich halte ihn nicht für
unveränderlich und vermag mir die Entstehung der Menschenrassen auf andre
Weise als durch klimatische Einflüsse nicht zu erklären. Warum diese Entstehungs¬
weise undenkbar sein soll, kann ich nicht versteh«. Man muß doch den Menschen
entweder nach der materialistischen oder nach der idealistischen Hypothese ent¬
standen denken. Im ersten Falle ist nicht einzusehen, warum nicht, wenn sich
die Monere zum Molch, der Molch (wissenschaftlich gesprochen der Lurch) zum
Menschen entwickelt, der Schwarze sich zum Weißen soll entwickeln können, und
zwar auf dem darwinischen Wege, durch Anpassung an veränderte Lebens¬
bedingungen, unter denen die klimatischen und sonstigen geographischen doch
wohl die wirksamsten sind. Will man lieber die drei Grundrassen aus einer
Urrasse hervorgehn lassen, die mit keiner der vorhandnen zusammenfällt, so wird
dadurch an der Tatsache nichts geändert, daß die Rassen durch klimatische Ein¬
flüsse entstanden sind. Huldige man der idealistischen Hypothese, die noch nicht
sofort die christliche zu sein braucht, so nimmt man an, daß, wie bei der Ent¬
stehung der Pflanzen- und Tierarten, die mechanischen Einflüsse der Umwelt
nicht hingereicht haben, diese Differenzierung zustande zu bringen, daß vielmehr
von Gott oder dem Unbewußten oder der Weltseele oder der absoluten Idee
ein Antrieb dazu ausgehn mußte. Nun wird man sich doch diesen Antrieb
heutzutage nicht gern als ein momentan wirkendes Schöpfungswunder vorstellen,
sondern lieber annehmen, der Demiurg habe die Einflüsse, die sonst für sich
allein kleinere Änderungen hervorbringen, so geleitet, daß eine ungewöhnlich
starke Abweichung herauskam, und habe dann, nachdem diese fertig war, den
Art oder Rasse bildenden Motor wieder außer Tätigkeit gesetzt. Der Idealist
wird dabei vielleicht, wie es der Christ tatsächlich tut, nicht den Schwarzen
sich zum Weißen „emporentwickeln", sondern den Weißen zum Schwarzen
degenerieren lassen. Ohne eine solche Annahme bleibt doch zur Erklärung der
Entstehung der Menschenrassen nur das Wunder sg-us xw-ass übrig, für das
unsre Rassentheoretiker, die viel auf strenge Wissenschaft halten, sonst nicht


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[0627] Neues von Seilliere und über Gobineau aus Negern Kaukasier werden, scheint aber meine Meinung gründlich mißver¬ standen zu haben, da er sie neben die von Leuten stellt, die behaupten, „jede beliebige ethnographische Gruppe, ob Mitteleuropücr oder Papua, könne Kultur entwickeln: womöglich dieselbe Kultur". Einen solchen Unsinn habe ich niemals behauptet. Das heißt, nur in dem Wort „dieselbe" steckt Unsinn; Kultur, wenn auch eine sehr niedrige, hat ja der Papua, und Ratzel überzeugt uns, daß die Kultur der fälschlich so genannten Naturvölker gar nicht so niedrig ist, wie wir sie uns vorzustellen pflegen. (Ratzel wird von Friedrich meist zustimmend zitiert, nur will dieser den Lebensbedingungen nicht so viel Einfluß auf die Kulturentwicklung zugestehn wie jener. Was Schiele in den Grenzboten über die Neger schreibt, wird lobend als richtig anerkannt.) Es handelt sich um folgendes. Ich halte den Rassencharakter, namentlich den Charakter der Urrcissen, für so beharrlich, daß er, wie ja die Erfahrung lehrt, auch starken klimatischen Einflüssen jahrhundertelang standhalten kann, aber ich halte ihn nicht für unveränderlich und vermag mir die Entstehung der Menschenrassen auf andre Weise als durch klimatische Einflüsse nicht zu erklären. Warum diese Entstehungs¬ weise undenkbar sein soll, kann ich nicht versteh«. Man muß doch den Menschen entweder nach der materialistischen oder nach der idealistischen Hypothese ent¬ standen denken. Im ersten Falle ist nicht einzusehen, warum nicht, wenn sich die Monere zum Molch, der Molch (wissenschaftlich gesprochen der Lurch) zum Menschen entwickelt, der Schwarze sich zum Weißen soll entwickeln können, und zwar auf dem darwinischen Wege, durch Anpassung an veränderte Lebens¬ bedingungen, unter denen die klimatischen und sonstigen geographischen doch wohl die wirksamsten sind. Will man lieber die drei Grundrassen aus einer Urrasse hervorgehn lassen, die mit keiner der vorhandnen zusammenfällt, so wird dadurch an der Tatsache nichts geändert, daß die Rassen durch klimatische Ein¬ flüsse entstanden sind. Huldige man der idealistischen Hypothese, die noch nicht sofort die christliche zu sein braucht, so nimmt man an, daß, wie bei der Ent¬ stehung der Pflanzen- und Tierarten, die mechanischen Einflüsse der Umwelt nicht hingereicht haben, diese Differenzierung zustande zu bringen, daß vielmehr von Gott oder dem Unbewußten oder der Weltseele oder der absoluten Idee ein Antrieb dazu ausgehn mußte. Nun wird man sich doch diesen Antrieb heutzutage nicht gern als ein momentan wirkendes Schöpfungswunder vorstellen, sondern lieber annehmen, der Demiurg habe die Einflüsse, die sonst für sich allein kleinere Änderungen hervorbringen, so geleitet, daß eine ungewöhnlich starke Abweichung herauskam, und habe dann, nachdem diese fertig war, den Art oder Rasse bildenden Motor wieder außer Tätigkeit gesetzt. Der Idealist wird dabei vielleicht, wie es der Christ tatsächlich tut, nicht den Schwarzen sich zum Weißen „emporentwickeln", sondern den Weißen zum Schwarzen degenerieren lassen. Ohne eine solche Annahme bleibt doch zur Erklärung der Entstehung der Menschenrassen nur das Wunder sg-us xw-ass übrig, für das unsre Rassentheoretiker, die viel auf strenge Wissenschaft halten, sonst nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/627>, abgerufen am 01.09.2024.