Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Soziale und wirtschaftliche Rumpfe Industriegebieten auch hohe Ausgaben für ihre Lebenshaltung, meist auch schlechte Weit über dieser Klasse stehen die gelernten Arbeiter, die zum Teil sehr Soziale und wirtschaftliche Rumpfe Industriegebieten auch hohe Ausgaben für ihre Lebenshaltung, meist auch schlechte Weit über dieser Klasse stehen die gelernten Arbeiter, die zum Teil sehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0615" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303317"/> <fw type="header" place="top"> Soziale und wirtschaftliche Rumpfe</fw><lb/> <p xml:id="ID_3130" prev="#ID_3129"> Industriegebieten auch hohe Ausgaben für ihre Lebenshaltung, meist auch schlechte<lb/> und enge Wohnungen. Dieser Klasse der ungelernten Arbeiter gehören die vielen<lb/> vom Lande und besonders aus dem Osten zugezognen landwirtschaftlichen Arbeiter<lb/> an, die von den hohen Löhnen und den städtischen Vergnügungen angelockt die<lb/> gesunde Arbeit des Landmannes mit der Arbeit an der Maschine oder im<lb/> Schacht der Bergwerke vertauschen, die von der Scholle losgelöst eine Heimat<lb/> verloren, aber keine neue Heimat gewonnen haben. Diese Klasse der industriellen<lb/> Arbeiter stellt hauptsächlich die Rekruten für die Arbeiterbataillone der Sozial-<lb/> demokratie. Hier finden sich in großer Zahl die unzufriednen Elemente, weil<lb/> die dieser Klasse angehörenden Arbeiter meist kein Eigentum haben, weil die<lb/> ständige Steigerung der Wohnungsmieten und der Preise für Lebensmittel den<lb/> Mehrverdienst aufzehren, und weil eigne UnWirtschaftlichkeit und die der meist<lb/> ebenfalls in der Industrie aufgewachsnen Frauen jeden Fortschritt hindern.</p><lb/> <p xml:id="ID_3131" next="#ID_3132"> Weit über dieser Klasse stehen die gelernten Arbeiter, die zum Teil sehr<lb/> hoch bezahlt werden und bei einem Umschlag der Konjunktur nicht Spreu vor<lb/> dem Winde sind. Und endlich kommen in Betracht die vielen aus dem Arbeiter¬<lb/> stande hervorgegangnen Angestellten der Industrie. Werkmeister und ähnliche<lb/> in einer Art Beamtenstellung stehende Personen, die man als die Elite der<lb/> Arbeiterschaft bezeichnen kann. Will man sich an den vierten Stand wenden<lb/> und den Versuch machen, möglichst viele der ihm Angehörenden auf die Seite der<lb/> staatserhaltenden Parteien herüberzuziehn, so wird man sich, da es nicht möglich<lb/> sein wird, die in langer Zeit versäumte Arbeit schnell nachzuholen, zunächst an<lb/> die obersten Schichten des vierten Standes wenden und schrittweise weitergehn<lb/> müssen. Man wird versuchen müssen, zunächst die Schichten, die dem Mittel¬<lb/> stande am nächsten stehn, dann aber auch möglichst viele von der großen Zahl<lb/> der ungelernten Arbeiter mit den Interessen des Staats zu verbinden, und das<lb/> kann nur geschehen, indem man ihren Sparsinn anregt und ihnen zu Eigentum<lb/> verhilft. Wer etwas zu verlieren hat, wird in der Stunde der Gefahr auf der<lb/> Seite der Besitzenden stehn. Daß das richtig ist, hat in der Sitzung des<lb/> preußischen Abgeordnetenhauses vom 27. Februar 1907 der Abgeordnete Prietze<lb/> bestätigt, indem er sagte: „Ich wollte weiter ausführen, wie sich die Besitz¬<lb/> verhältnisse der Bergleute an der Saar im Jahre 1905 ergeben haben. Es<lb/> hat sich herausgestellt, daß von 46489 Bergleuten 18223. also ungefähr<lb/> 46 Prozent Hausbesitzer waren. Nun kann man doch annehmen, daß die ledigen<lb/> Leute überhaupt noch nicht Hausbesitzer waren, und da 60 Prozent aller Leute<lb/> verheiratet sind, so sind im Durchschnitt 65 Prozent der Verheirateten Haus¬<lb/> besitzer und daneben etwa 37 Prozent Besitzer von Wiesen, Gärten und Ländereien.<lb/> Damit kann sich der Nuhrbergmann nicht vergleichen. Der Saarbergmann spart<lb/> in jungen Jahren, um sich, wenn er es noch nicht von seinen Eltern ererbt<lb/> h°t. ein Haus zu erwerben, und dieses Bestreben geht durch die ganze Be¬<lb/> völkerung. Wenn eine Frau das Unglück gehabt hat, ihren Mann zu verlieren,<lb/> ist sie bestrebt, sich das Haus zu erhalten, und wir haben es beim Redener</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0615]
Soziale und wirtschaftliche Rumpfe
Industriegebieten auch hohe Ausgaben für ihre Lebenshaltung, meist auch schlechte
und enge Wohnungen. Dieser Klasse der ungelernten Arbeiter gehören die vielen
vom Lande und besonders aus dem Osten zugezognen landwirtschaftlichen Arbeiter
an, die von den hohen Löhnen und den städtischen Vergnügungen angelockt die
gesunde Arbeit des Landmannes mit der Arbeit an der Maschine oder im
Schacht der Bergwerke vertauschen, die von der Scholle losgelöst eine Heimat
verloren, aber keine neue Heimat gewonnen haben. Diese Klasse der industriellen
Arbeiter stellt hauptsächlich die Rekruten für die Arbeiterbataillone der Sozial-
demokratie. Hier finden sich in großer Zahl die unzufriednen Elemente, weil
die dieser Klasse angehörenden Arbeiter meist kein Eigentum haben, weil die
ständige Steigerung der Wohnungsmieten und der Preise für Lebensmittel den
Mehrverdienst aufzehren, und weil eigne UnWirtschaftlichkeit und die der meist
ebenfalls in der Industrie aufgewachsnen Frauen jeden Fortschritt hindern.
Weit über dieser Klasse stehen die gelernten Arbeiter, die zum Teil sehr
hoch bezahlt werden und bei einem Umschlag der Konjunktur nicht Spreu vor
dem Winde sind. Und endlich kommen in Betracht die vielen aus dem Arbeiter¬
stande hervorgegangnen Angestellten der Industrie. Werkmeister und ähnliche
in einer Art Beamtenstellung stehende Personen, die man als die Elite der
Arbeiterschaft bezeichnen kann. Will man sich an den vierten Stand wenden
und den Versuch machen, möglichst viele der ihm Angehörenden auf die Seite der
staatserhaltenden Parteien herüberzuziehn, so wird man sich, da es nicht möglich
sein wird, die in langer Zeit versäumte Arbeit schnell nachzuholen, zunächst an
die obersten Schichten des vierten Standes wenden und schrittweise weitergehn
müssen. Man wird versuchen müssen, zunächst die Schichten, die dem Mittel¬
stande am nächsten stehn, dann aber auch möglichst viele von der großen Zahl
der ungelernten Arbeiter mit den Interessen des Staats zu verbinden, und das
kann nur geschehen, indem man ihren Sparsinn anregt und ihnen zu Eigentum
verhilft. Wer etwas zu verlieren hat, wird in der Stunde der Gefahr auf der
Seite der Besitzenden stehn. Daß das richtig ist, hat in der Sitzung des
preußischen Abgeordnetenhauses vom 27. Februar 1907 der Abgeordnete Prietze
bestätigt, indem er sagte: „Ich wollte weiter ausführen, wie sich die Besitz¬
verhältnisse der Bergleute an der Saar im Jahre 1905 ergeben haben. Es
hat sich herausgestellt, daß von 46489 Bergleuten 18223. also ungefähr
46 Prozent Hausbesitzer waren. Nun kann man doch annehmen, daß die ledigen
Leute überhaupt noch nicht Hausbesitzer waren, und da 60 Prozent aller Leute
verheiratet sind, so sind im Durchschnitt 65 Prozent der Verheirateten Haus¬
besitzer und daneben etwa 37 Prozent Besitzer von Wiesen, Gärten und Ländereien.
Damit kann sich der Nuhrbergmann nicht vergleichen. Der Saarbergmann spart
in jungen Jahren, um sich, wenn er es noch nicht von seinen Eltern ererbt
h°t. ein Haus zu erwerben, und dieses Bestreben geht durch die ganze Be¬
völkerung. Wenn eine Frau das Unglück gehabt hat, ihren Mann zu verlieren,
ist sie bestrebt, sich das Haus zu erhalten, und wir haben es beim Redener
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