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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

Gelegenheit, uns diese für die deutsche Heimatkunde so wichtige Stelle für immer
einzuprägen. Das Auge wird hier überdies durch die auffallend schöne Färbung
des Ackerbodens gefesselt: große schwarze Streifen schieben sich zwischen die ver¬
schieden abschattierten graubraunen Flächen ein. Der Himmel hat sich mit
Stratokumuli bedeckt, bisweilen bricht die Sonne wärmend durch, dampfende
Haufenwolken begrenzen rings in müßiger Entfernung unsern Gesichtskreis und
nehmen uns zeitweise in ihren feuchten Schoß auf, sodaß sich unsre Fahrtlinie
recht unregelmäßig gestaltet.

Drei preußische Provinzen greifen hier ineinander. Bei Liebtal und Treppeln
waren wir noch über brandenburgischen Gebiete, bei Grünberg über schlesischen,
bei Tschicherzig und Züllichau wieder über Brandenburg. Der Obrakanal führt
uns nach der Provinz Posen, und es scheint zunächst, als sollten wir auf ihre
Hauptstadt zutreiben. Aber auch darin täuschen wir uns. Es ist die Vorderseite
eines Tiefdruckgebietes, auf der wir uns entlang bewegen, und da hier die
Winde als Zyklone in umgekehrter Richtung des Uhrzeigers wehen, drehen
wir uns allmählich immer weiter nach links, das heißt die östliche Richtung
wird mehr und mehr zu einer nordöstlichen.

Eine Reihe von Seen beginnt, sofort jenseits der Provinzengrenze, zunächst
der Woynowoer und der Tuchalasee. Wir könnten glauben, der so oft über-
flogne Stern der Dahmeseen bei Schmöckwitz südöstlich von Berlin läge unter
uns, auch die Waldumgebung stimmt dazu, nur sind die Verhältnisse hier viel
zierlicher. Der Liehner und der Wonchabnoer See nördlich von Unruhstadt
leiten dann über zu einer langen, sich von Süden nach Norden erstreckenden
Kette großer Wasserbecken, die von der Obrci gebildet werden, mit reicher Ufer¬
gliederung und mehreren Inseln, die Seen von Großdorf, Köbnitz, Groitzig,
Neudorf und endlich der stattliche Bentschener See, der nach Norden zu in den
Wolken verschwünmend wieder einmal den Anblick einer Meeresbucht vortäuscht.

Die Sonne zieht uns auf 1000 Meter empor, die unter uns gelassenen
Wolken verwirren und verschönen zugleich das Bild, sie haben nur geringe
Vorwärtsbewegung, ziehn sich aber von allen Seiten duftig und durcheinander
wogend zusammen; wo sie den Blick freigeben, bestrahlt die Sonne glitzernde
Gewässer und blaugrün schimmernde Wälder. Da plötzlich ein seltsames Flimmern
vor den Augen, wir fahren in 1200 Meter Höhe durch eine Wolke, die aus den
feinsten Schneekristallen besteht.

Der Bentschener See ist längst südwestlich hinter uns geblieben, aber sein
Spiegel bleibt uns lange Zeit noch sichtbar. Mächtige Wälder westlich von
Neutomischel, viele Schlösser und Rittergüter mit schmucken Herrenhäusern werden
von uns überflogen, die Orientierung im einzelnen aber ist erschwert, zumal da
wir immer aufs neue durch Wolken und leichtes Schneegestöber (bei 3 Grad
Celsius) hindurchkommen. Erst Pinne mit seinem Schloß und der Pinner See
inmitten saftig grüner Matten südlich von der Bahnlinie Birnbaum-Posen
können wir wieder mit Sicherheit bestimmen.


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Gelegenheit, uns diese für die deutsche Heimatkunde so wichtige Stelle für immer
einzuprägen. Das Auge wird hier überdies durch die auffallend schöne Färbung
des Ackerbodens gefesselt: große schwarze Streifen schieben sich zwischen die ver¬
schieden abschattierten graubraunen Flächen ein. Der Himmel hat sich mit
Stratokumuli bedeckt, bisweilen bricht die Sonne wärmend durch, dampfende
Haufenwolken begrenzen rings in müßiger Entfernung unsern Gesichtskreis und
nehmen uns zeitweise in ihren feuchten Schoß auf, sodaß sich unsre Fahrtlinie
recht unregelmäßig gestaltet.

Drei preußische Provinzen greifen hier ineinander. Bei Liebtal und Treppeln
waren wir noch über brandenburgischen Gebiete, bei Grünberg über schlesischen,
bei Tschicherzig und Züllichau wieder über Brandenburg. Der Obrakanal führt
uns nach der Provinz Posen, und es scheint zunächst, als sollten wir auf ihre
Hauptstadt zutreiben. Aber auch darin täuschen wir uns. Es ist die Vorderseite
eines Tiefdruckgebietes, auf der wir uns entlang bewegen, und da hier die
Winde als Zyklone in umgekehrter Richtung des Uhrzeigers wehen, drehen
wir uns allmählich immer weiter nach links, das heißt die östliche Richtung
wird mehr und mehr zu einer nordöstlichen.

Eine Reihe von Seen beginnt, sofort jenseits der Provinzengrenze, zunächst
der Woynowoer und der Tuchalasee. Wir könnten glauben, der so oft über-
flogne Stern der Dahmeseen bei Schmöckwitz südöstlich von Berlin läge unter
uns, auch die Waldumgebung stimmt dazu, nur sind die Verhältnisse hier viel
zierlicher. Der Liehner und der Wonchabnoer See nördlich von Unruhstadt
leiten dann über zu einer langen, sich von Süden nach Norden erstreckenden
Kette großer Wasserbecken, die von der Obrci gebildet werden, mit reicher Ufer¬
gliederung und mehreren Inseln, die Seen von Großdorf, Köbnitz, Groitzig,
Neudorf und endlich der stattliche Bentschener See, der nach Norden zu in den
Wolken verschwünmend wieder einmal den Anblick einer Meeresbucht vortäuscht.

Die Sonne zieht uns auf 1000 Meter empor, die unter uns gelassenen
Wolken verwirren und verschönen zugleich das Bild, sie haben nur geringe
Vorwärtsbewegung, ziehn sich aber von allen Seiten duftig und durcheinander
wogend zusammen; wo sie den Blick freigeben, bestrahlt die Sonne glitzernde
Gewässer und blaugrün schimmernde Wälder. Da plötzlich ein seltsames Flimmern
vor den Augen, wir fahren in 1200 Meter Höhe durch eine Wolke, die aus den
feinsten Schneekristallen besteht.

Der Bentschener See ist längst südwestlich hinter uns geblieben, aber sein
Spiegel bleibt uns lange Zeit noch sichtbar. Mächtige Wälder westlich von
Neutomischel, viele Schlösser und Rittergüter mit schmucken Herrenhäusern werden
von uns überflogen, die Orientierung im einzelnen aber ist erschwert, zumal da
wir immer aufs neue durch Wolken und leichtes Schneegestöber (bei 3 Grad
Celsius) hindurchkommen. Erst Pinne mit seinem Schloß und der Pinner See
inmitten saftig grüner Matten südlich von der Bahnlinie Birnbaum-Posen
können wir wieder mit Sicherheit bestimmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/576>, abgerufen am 01.09.2024.