Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der Frage, ob eine allgemeine Zukunftsmischsprache möglich sei, geeignet zu sein, Nach einer dritten Richtung hin wäre ein Verständnis möglich, wenn die Das so in sein Recht eingesetzte, aber auch in seine Schranken verwiesene Grenzboten III 1907 7 . Z
Maßgebliches und Unmaßgebliches der Frage, ob eine allgemeine Zukunftsmischsprache möglich sei, geeignet zu sein, Nach einer dritten Richtung hin wäre ein Verständnis möglich, wenn die Das so in sein Recht eingesetzte, aber auch in seine Schranken verwiesene Grenzboten III 1907 7 . Z
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302759"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_228" prev="#ID_227"> der Frage, ob eine allgemeine Zukunftsmischsprache möglich sei, geeignet zu sein,<lb/> die sich mit den sogenannten Kreolensprachen beschäftigen, d. h. solchen, die<lb/> nicht durch organische, sondern durch unorganische Vorgänge entstanden sind. Darum<lb/> scheint es mir auch kein Zufall zu sein, daß sich unter den zünftigen Sprachforschern,<lb/> die für eine Weltsprache eintraten, gerade ein solcher befand, der besonders die<lb/> Kreolensprachen studiert hat, nämlich H. Schuchardt. Warum studieren also die<lb/> Esperantisten nicht die Kreolensprachen, ehe sie ins Blaue hinein ihren neuen<lb/> babylonischen Turm bauen?</p><lb/> <p xml:id="ID_229"> Nach einer dritten Richtung hin wäre ein Verständnis möglich, wenn die<lb/> Indogermanisten sowohl wie die maßvollen unter den Esperantisten bedächten, daß<lb/> es sich nicht um eine wirkliche organische Sprache handelt, sondern um ein Hilfs¬<lb/> mittel zur praktischen Verständigung. Brugmcmn betrachtet, wie aus einem Satze<lb/> Seite 27 oben hervorgeht, das Esperanto so, als wolle es eine Sprache sein, die<lb/> mit den bestehenden Sprachen konkurrieren wolle. An dieser Auffassung sind freilich<lb/> die Esperantisten selbst schuld durch die Torheit, mit der sie Werke der dichterischen<lb/> Phantasie auf „esperantisch" wiedergeben zu können meinen. Gegen solche Ver¬<lb/> kennungen der innern Seite des Sprachlebens wendet sich Brugmann mit vollem<lb/> Recht und läßt das Esperanto nur gelten für den schriftlichen Verkehr in ge¬<lb/> wissen engern Sphären, wie im Handel, also jedenfalls nur da, wo es sich um<lb/> rein verstandesmäßige Mitteilungen handelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_230" next="#ID_231"> Das so in sein Recht eingesetzte, aber auch in seine Schranken verwiesene<lb/> Esperanto nähme also zu den wirklichen Sprachen eine ähnliche Stellung ein wie die<lb/> Stenographie zur historischen Schrift; es wird ein Notbehelf sein wie diese und<lb/> ebenso der beständigen Verbesserung und Vereinfachung bedürftig wie diese.<lb/> Ebensowenig wie Stolze und Babelsberger in ihren Systemen etwas unverbrüchlich<lb/> Giltiges und Festbestehendcs geschaffen haben, ebensowenig gilt dies auch für die<lb/> Weltsprachsysteme der Herren Schleyer und Zamenhof. Es mag zugegeben werden,<lb/> daß dieser sein System viel geschickter aufgebaut hat, entsprechend dem logischen<lb/> Prinzip möglichster Regelmäßigkeit und daher möglichst leichter Erlernbarkeit. Über<lb/> diese ist nun freilich Leskien andrer Meinung (S. 37s), und er hat durchaus<lb/> Recht, wenn er verschiedne Bildungen als überflüssig und manche geradezu M<lb/> verdreht bezeichnet, zum Beispiel xaärino für Mutter. An diesem Beispiel kann<lb/> man sich übrigens gut die Stärken und die Schwächen des Systems klar machen;<lb/> Logik und Psychologie liegen hier miteinander im Konflikt: rein logisch ist xaäriiio<lb/> vortrefflich entsprechend dem Prinzip möglichst weniger Stammbildungen und mög¬<lb/> lichst vieler Suffixbildungen. Zamenhof schließt offenbar so: im Latein haben wir<lb/> Wus — Mg,; im Griechischen «6e/>,f/,oL — «of/i^/, also warum soll das Esperanto<lb/> nicht bilden: x^Äro — xs.ärwc>? Der Fehler liegt aber hier im Psychologischen,<lb/> wie Leskien mit Recht hervorhebt (S. 34); denn es gibt keine Sprache und kann<lb/> keine geben, die die Mutter als eine Nuancierung des Vaters auffaßt. Hier liegen<lb/> die — psychologischen und praktischen — Schwächen des Systems deutlich zutage; denn<lb/> nur ein Mensch, der weder Sprachgefühl noch Sprachkenntnisse hat, kann mit dem<lb/> Wort x^äriko den Begriff „Mutter" verbinden, und nur der ganz mechanisch<lb/> Lernende wäre dazu imstande. Wollen sich aber die Esperantisten auf diese stützen? —<lb/> Sie wollen möglichst praktisch sein; das ist aber nur der, der sich nicht einer<lb/> Doktrin zuliebe von dem Natürlichen entfernt. Die Sprachmittel kann man ver¬<lb/> einfachen, aber nicht auf Kosten des Sprachgefühls. Manche Weltsprachler scheinen<lb/> übrigens schon bescheidner zu werden. So ist es immerhin zu beachten, daß sich<lb/> ein Philologe (E. Beermann) gegen das willkürliche Mischmasch des Esperanto ge¬<lb/> wandt hat, aber nicht nur theoretisch und negativ, sondern praktisch und positiv in<lb/> seinem NovilatiQ (Leipzig, 1907), worin er aus romanischen Mitteln eine allgemeine</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1907 7 . Z</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Frage, ob eine allgemeine Zukunftsmischsprache möglich sei, geeignet zu sein,
die sich mit den sogenannten Kreolensprachen beschäftigen, d. h. solchen, die
nicht durch organische, sondern durch unorganische Vorgänge entstanden sind. Darum
scheint es mir auch kein Zufall zu sein, daß sich unter den zünftigen Sprachforschern,
die für eine Weltsprache eintraten, gerade ein solcher befand, der besonders die
Kreolensprachen studiert hat, nämlich H. Schuchardt. Warum studieren also die
Esperantisten nicht die Kreolensprachen, ehe sie ins Blaue hinein ihren neuen
babylonischen Turm bauen?
Nach einer dritten Richtung hin wäre ein Verständnis möglich, wenn die
Indogermanisten sowohl wie die maßvollen unter den Esperantisten bedächten, daß
es sich nicht um eine wirkliche organische Sprache handelt, sondern um ein Hilfs¬
mittel zur praktischen Verständigung. Brugmcmn betrachtet, wie aus einem Satze
Seite 27 oben hervorgeht, das Esperanto so, als wolle es eine Sprache sein, die
mit den bestehenden Sprachen konkurrieren wolle. An dieser Auffassung sind freilich
die Esperantisten selbst schuld durch die Torheit, mit der sie Werke der dichterischen
Phantasie auf „esperantisch" wiedergeben zu können meinen. Gegen solche Ver¬
kennungen der innern Seite des Sprachlebens wendet sich Brugmann mit vollem
Recht und läßt das Esperanto nur gelten für den schriftlichen Verkehr in ge¬
wissen engern Sphären, wie im Handel, also jedenfalls nur da, wo es sich um
rein verstandesmäßige Mitteilungen handelt.
Das so in sein Recht eingesetzte, aber auch in seine Schranken verwiesene
Esperanto nähme also zu den wirklichen Sprachen eine ähnliche Stellung ein wie die
Stenographie zur historischen Schrift; es wird ein Notbehelf sein wie diese und
ebenso der beständigen Verbesserung und Vereinfachung bedürftig wie diese.
Ebensowenig wie Stolze und Babelsberger in ihren Systemen etwas unverbrüchlich
Giltiges und Festbestehendcs geschaffen haben, ebensowenig gilt dies auch für die
Weltsprachsysteme der Herren Schleyer und Zamenhof. Es mag zugegeben werden,
daß dieser sein System viel geschickter aufgebaut hat, entsprechend dem logischen
Prinzip möglichster Regelmäßigkeit und daher möglichst leichter Erlernbarkeit. Über
diese ist nun freilich Leskien andrer Meinung (S. 37s), und er hat durchaus
Recht, wenn er verschiedne Bildungen als überflüssig und manche geradezu M
verdreht bezeichnet, zum Beispiel xaärino für Mutter. An diesem Beispiel kann
man sich übrigens gut die Stärken und die Schwächen des Systems klar machen;
Logik und Psychologie liegen hier miteinander im Konflikt: rein logisch ist xaäriiio
vortrefflich entsprechend dem Prinzip möglichst weniger Stammbildungen und mög¬
lichst vieler Suffixbildungen. Zamenhof schließt offenbar so: im Latein haben wir
Wus — Mg,; im Griechischen «6e/>,f/,oL — «of/i^/, also warum soll das Esperanto
nicht bilden: x^Äro — xs.ärwc>? Der Fehler liegt aber hier im Psychologischen,
wie Leskien mit Recht hervorhebt (S. 34); denn es gibt keine Sprache und kann
keine geben, die die Mutter als eine Nuancierung des Vaters auffaßt. Hier liegen
die — psychologischen und praktischen — Schwächen des Systems deutlich zutage; denn
nur ein Mensch, der weder Sprachgefühl noch Sprachkenntnisse hat, kann mit dem
Wort x^äriko den Begriff „Mutter" verbinden, und nur der ganz mechanisch
Lernende wäre dazu imstande. Wollen sich aber die Esperantisten auf diese stützen? —
Sie wollen möglichst praktisch sein; das ist aber nur der, der sich nicht einer
Doktrin zuliebe von dem Natürlichen entfernt. Die Sprachmittel kann man ver¬
einfachen, aber nicht auf Kosten des Sprachgefühls. Manche Weltsprachler scheinen
übrigens schon bescheidner zu werden. So ist es immerhin zu beachten, daß sich
ein Philologe (E. Beermann) gegen das willkürliche Mischmasch des Esperanto ge¬
wandt hat, aber nicht nur theoretisch und negativ, sondern praktisch und positiv in
seinem NovilatiQ (Leipzig, 1907), worin er aus romanischen Mitteln eine allgemeine
Grenzboten III 1907 7 . Z
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