Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Antiquar Es war ein Wink des Schicksals, sagte er mit leise zitternder Stimme, und Nimm-mirs nicht übel, Onkel, aber du sprichst in Rätseln, sagte Käthchen, Das schadet nichts, Kind. Auch das Leben spricht in Rätseln. Ich will mich Käthchen hätte nicht behaupten können, daß sie nun klüger gewesen wäre als Über Herrn Polykarp Seyler aber kam nun, wie unsre modernen Dichter Aber in dem Maße, wie sich der Staub in den Regalen häufte und die Der Antiquar Es war ein Wink des Schicksals, sagte er mit leise zitternder Stimme, und Nimm-mirs nicht übel, Onkel, aber du sprichst in Rätseln, sagte Käthchen, Das schadet nichts, Kind. Auch das Leben spricht in Rätseln. Ich will mich Käthchen hätte nicht behaupten können, daß sie nun klüger gewesen wäre als Über Herrn Polykarp Seyler aber kam nun, wie unsre modernen Dichter Aber in dem Maße, wie sich der Staub in den Regalen häufte und die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303243"/> <fw type="header" place="top"> Der Antiquar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2855"> Es war ein Wink des Schicksals, sagte er mit leise zitternder Stimme, und<lb/> ich habe ihn verstanden. Sieh, eine große Mitgift kann ich dir nicht geben,<lb/> Käthchen. Ich bin mit dem Gelde schneller fertig geworden, als ichs gedacht hatte.<lb/> Aber die Wäscheausstattung und die Kleider und die beiden Zimmereinrichtungen<lb/> in Nußbaum, die hast du ja. Ist es nicht viel, so ist es doch etwas. Die acht¬<lb/> hundert Mark, die du für den Schreibtisch gelöst hast, sollst du auch uoch bekommen.<lb/> Aber etwas, und zwar das wertvollste, kann ich dir außerdem noch geben: den<lb/> guten Rat, niemals zu übernatürlichen Mitteln deine Zuflucht zu nehmen. Ich<lb/> kann ja begreifen, daß dn deinen Doktor Waetzold an dich fesseln willst, aber ich<lb/> bitte dich dringend, nimm weder Kampfer noch Aloe, weder Angelika noch Krebs¬<lb/> schalen, weder Cremortartari noch pulverisierte gebrannte Katzenknochen dazu,<lb/> sondern brauche nichts weiter als deine natürliche Liebenswürdigkeit, und wenn<lb/> er wirklich einmal dumme Streiche machen sollte, was ich aber gar nicht von<lb/> ihm glaube, ein wenig Nachsicht. Bei der Kocherei ist kein Segen, das heißt:<lb/> bei der alchimistischen natürlich. Sonst ist es sogar recht gut, wenn du dich um<lb/> das Kochen kümmerst, denn dein Doktor sieht gerade nicht aus, als ob er bloß<lb/> von der Liebe leben könnte. Das halte dir allezeit vor Augen und sei gescheiter<lb/> als dein Onkel, der es inoäo n^xörxQ/sioo versuchen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2856"> Nimm-mirs nicht übel, Onkel, aber du sprichst in Rätseln, sagte Käthchen,<lb/> Seyler mit einem unsicher!? Blicke musternd.</p><lb/> <p xml:id="ID_2857"> Das schadet nichts, Kind. Auch das Leben spricht in Rätseln. Ich will mich<lb/> jedoch deutlicher ausdrücken. Halte dich an das Einfache, ganz besonders beim<lb/> Kochen. Das Einfache ist jederzeit das Beste, schmackhafteste und Gesündeste. Du<lb/> weißt, was Juvenal und Petron über die kulinarischen Ausschweifungen der Römer<lb/> in der Kaiserzeit berichtet haben. Hüte dich vor solchen Dingen. Wir müssen doch<lb/> noch ein antiquarisches Exemplar von Allesteins Kochbuch dahaben? Nun ja, das<lb/> kannst du dir heraussuchen und behalten. Und dann: lies niemals den Lukianos.<lb/> Es stehen Dinge darin, die du nicht wissen solltest. Er verspottet den Glauben<lb/> an das Übernatürliche ja mit unvergleichlich feinem Witz, aber man gewinnt diesem<lb/> Übernatürlichen gar zu bald Geschmack ab, und dann begibt man sich auf Gebiete,<lb/> wo des Menschen Fuß leicht strauchelt. Wenn du Verlangen nach Lektüre hast,<lb/> so halte dich an die guten lateinischen Rhetoren und Historiker; die stehn durchaus<lb/> auf dem sichern Boden der Wirklichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2858"> Käthchen hätte nicht behaupten können, daß sie nun klüger gewesen wäre als<lb/> zuvor, aber sie empfand, daß diese Rede, die zugleich die Abschiedsrede des treuen<lb/> Onkels an die ihrem Glück entgegenziehende Nichte sein sollte, gut gemeint war.<lb/> Noch in derselben Woche reiste sie ab, hinaus in das Licht, die Luft und die Frei¬<lb/> heit, die sie fortan nicht wieder losließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2859"> Über Herrn Polykarp Seyler aber kam nun, wie unsre modernen Dichter<lb/> sagen würden, eine große Stille. Das Lädchen wurde für ihn wieder zur Bibliothek,<lb/> die recht vereinzelten Kunden mußten wieder warten, bis seine Schätze zum Ver¬<lb/> kauf reif waren, und blieben, da dieses Stadium der Reife immer seltner eintrat,<lb/> schließlich ganz weg. Die goldne Flut in der Ladenkasse hatte sich längst verlaufen,<lb/> aber der Bäcker und der Fleischer, bei dem unser Freund, wenn ihm wirklich ein¬<lb/> mal der Hunger zum Bewußtsein kam, seinen geringen Bedarf an Leberwurst oder<lb/> Mettwurst deckte, borgten ihm noch eine Weile ruhig weiter, denn sie dachten an<lb/> die schöne Zeit, wo alles bar bezahlt worden war, und wo man hinter dem hohen<lb/> Stehpult Rüdesheimer getrunken und Kuchen gegessen hatte, und rechneten darauf,<lb/> daß diese Zeit wiederkehre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2860" next="#ID_2861"> Aber in dem Maße, wie sich der Staub in den Regalen häufte und die<lb/> Not — die ganz gemeine Not des Lebens - stieg, wuchs auch das Glück des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Der Antiquar
Es war ein Wink des Schicksals, sagte er mit leise zitternder Stimme, und
ich habe ihn verstanden. Sieh, eine große Mitgift kann ich dir nicht geben,
Käthchen. Ich bin mit dem Gelde schneller fertig geworden, als ichs gedacht hatte.
Aber die Wäscheausstattung und die Kleider und die beiden Zimmereinrichtungen
in Nußbaum, die hast du ja. Ist es nicht viel, so ist es doch etwas. Die acht¬
hundert Mark, die du für den Schreibtisch gelöst hast, sollst du auch uoch bekommen.
Aber etwas, und zwar das wertvollste, kann ich dir außerdem noch geben: den
guten Rat, niemals zu übernatürlichen Mitteln deine Zuflucht zu nehmen. Ich
kann ja begreifen, daß dn deinen Doktor Waetzold an dich fesseln willst, aber ich
bitte dich dringend, nimm weder Kampfer noch Aloe, weder Angelika noch Krebs¬
schalen, weder Cremortartari noch pulverisierte gebrannte Katzenknochen dazu,
sondern brauche nichts weiter als deine natürliche Liebenswürdigkeit, und wenn
er wirklich einmal dumme Streiche machen sollte, was ich aber gar nicht von
ihm glaube, ein wenig Nachsicht. Bei der Kocherei ist kein Segen, das heißt:
bei der alchimistischen natürlich. Sonst ist es sogar recht gut, wenn du dich um
das Kochen kümmerst, denn dein Doktor sieht gerade nicht aus, als ob er bloß
von der Liebe leben könnte. Das halte dir allezeit vor Augen und sei gescheiter
als dein Onkel, der es inoäo n^xörxQ/sioo versuchen wollte.
Nimm-mirs nicht übel, Onkel, aber du sprichst in Rätseln, sagte Käthchen,
Seyler mit einem unsicher!? Blicke musternd.
Das schadet nichts, Kind. Auch das Leben spricht in Rätseln. Ich will mich
jedoch deutlicher ausdrücken. Halte dich an das Einfache, ganz besonders beim
Kochen. Das Einfache ist jederzeit das Beste, schmackhafteste und Gesündeste. Du
weißt, was Juvenal und Petron über die kulinarischen Ausschweifungen der Römer
in der Kaiserzeit berichtet haben. Hüte dich vor solchen Dingen. Wir müssen doch
noch ein antiquarisches Exemplar von Allesteins Kochbuch dahaben? Nun ja, das
kannst du dir heraussuchen und behalten. Und dann: lies niemals den Lukianos.
Es stehen Dinge darin, die du nicht wissen solltest. Er verspottet den Glauben
an das Übernatürliche ja mit unvergleichlich feinem Witz, aber man gewinnt diesem
Übernatürlichen gar zu bald Geschmack ab, und dann begibt man sich auf Gebiete,
wo des Menschen Fuß leicht strauchelt. Wenn du Verlangen nach Lektüre hast,
so halte dich an die guten lateinischen Rhetoren und Historiker; die stehn durchaus
auf dem sichern Boden der Wirklichkeit.
Käthchen hätte nicht behaupten können, daß sie nun klüger gewesen wäre als
zuvor, aber sie empfand, daß diese Rede, die zugleich die Abschiedsrede des treuen
Onkels an die ihrem Glück entgegenziehende Nichte sein sollte, gut gemeint war.
Noch in derselben Woche reiste sie ab, hinaus in das Licht, die Luft und die Frei¬
heit, die sie fortan nicht wieder losließen.
Über Herrn Polykarp Seyler aber kam nun, wie unsre modernen Dichter
sagen würden, eine große Stille. Das Lädchen wurde für ihn wieder zur Bibliothek,
die recht vereinzelten Kunden mußten wieder warten, bis seine Schätze zum Ver¬
kauf reif waren, und blieben, da dieses Stadium der Reife immer seltner eintrat,
schließlich ganz weg. Die goldne Flut in der Ladenkasse hatte sich längst verlaufen,
aber der Bäcker und der Fleischer, bei dem unser Freund, wenn ihm wirklich ein¬
mal der Hunger zum Bewußtsein kam, seinen geringen Bedarf an Leberwurst oder
Mettwurst deckte, borgten ihm noch eine Weile ruhig weiter, denn sie dachten an
die schöne Zeit, wo alles bar bezahlt worden war, und wo man hinter dem hohen
Stehpult Rüdesheimer getrunken und Kuchen gegessen hatte, und rechneten darauf,
daß diese Zeit wiederkehre.
Aber in dem Maße, wie sich der Staub in den Regalen häufte und die
Not — die ganz gemeine Not des Lebens - stieg, wuchs auch das Glück des
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