Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen Handwerk zuwandte. Er hat eine Unmenge von Handwerkstechniken erlernt So sehr die Mutter recht hatte, der Sohn solle etwas besseres werden, Daß es wieder zur rechtmäßigen Bewertung des Gewerbes und vor allem Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen Handwerk zuwandte. Er hat eine Unmenge von Handwerkstechniken erlernt So sehr die Mutter recht hatte, der Sohn solle etwas besseres werden, Daß es wieder zur rechtmäßigen Bewertung des Gewerbes und vor allem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303173"/> <fw type="header" place="top"> Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2569" prev="#ID_2568"> Handwerk zuwandte. Er hat eine Unmenge von Handwerkstechniken erlernt<lb/> und praktisch ausgeübt. Er ist der eigentliche Erneuerer des Kunsthandwerks,<lb/> und sein Beispiel wirkt begeisternd. Ich erwähne von der großen Zahl seiner<lb/> Nachfolger vor allem Cobden-Sanderson, der die Advokatenrobe auszog, um<lb/> Buchbinder zu werden und nach Morris als der Schöpfer des modernen Kunst¬<lb/> einbandes gilt, namentlich was die Handvergoldekunst betrifft. Dieses geistige<lb/> Fluidum, das von solchen Erneuerern des Kunsthandwerks ausging, bewirkte<lb/> in der ganzen Welt eine gesteigerte Auffassung von dem Adel des Handwerks.<lb/> Diese geistige Bewegung wird es dahin bringen, daß auch die geschilderten<lb/> Mißstände überwunden werden. Freilich wird dies in einer andern Weise<lb/> geschehen, als es die rückschrittliche Tendenz auf dem Fachverbandkongreß<lb/> voraussieht. Wir alle, die ganze Öffentlichkeit, der Staat und die Gesellschaft,<lb/> haben ein lebendiges Interesse daran, daß alle Edelberufe im Handwerk die<lb/> unentbehrliche ethische Grundlage gewinnen und wieder als eigentliche Kultur¬<lb/> träger den Stolz und die Freude der Handwerksangehörigen sind, wie es im<lb/> alten Nürnberg der Fall gewesen ist. Dazu aber gehört, daß der ganze Umfang<lb/> moderner Bildung ohne jede engherzige zünftlerische Einschränkung mit dem<lb/> Handwerk verbunden werde. Um es kurz auszudrücken, eine Erneuerung der<lb/> ethischen Grundlagen ist nötig, wenn die wirtschaftlichen und geistigen Interessen<lb/> auf die Dauer gestärkt werden sollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2570"> So sehr die Mutter recht hatte, der Sohn solle etwas besseres werden,<lb/> so traurig ist es, daß dieses bessere etwas andres sein solle als ein edles<lb/> Handwerk. Nein, ein Kunsthandwerk oder überhaupt nur ein anständiges Hand¬<lb/> werk lernen und ausüben ist das beste, was wir allen Jungen wünschen<lb/> können. An und für sich ist ein solcher Beruf so wertvoll, daß der Sohn<lb/> oder die Tochter, die sich ihm zuwenden, im Familienkreis hochangesehen<lb/> und geehrt dastehen müßten, und daß der Gymnasiast, der etwa seinen Bruder<lb/> in der Arbeitsbluse auf der Straße sieht, seinen Kollegen zuruft: Hut ab,<lb/> das ist mein Bruder, ein Handwerker, ein Kunsthandwerker!</p><lb/> <p xml:id="ID_2571" next="#ID_2572"> Daß es wieder zur rechtmäßigen Bewertung des Gewerbes und vor allem<lb/> des Kunsthandwerks komme, bedarf es allerdings der Mitarbeit vieler Kräfte<lb/> außerhalb des Berufs. Denn es ist nötig, daß das Publikum gute Handwerk¬<lb/> arbeit wieder schätzen lernt als eine Bedingung der künstlerischen Qualität,<lb/> sowie daß die solide Arbeit wieder einen angemessenen Marktpreis gewinnt,<lb/> der dem Handwerker den wirtschaftlichen Bestand sichert. Was in dieser Hinsicht<lb/> noch möglich ist, beweisen die modernen englischen Buchbinder, wie der erwähnte<lb/> Cobden-Sanderson, Cockerell u. a., die mit wenig Gehilfen arbeiten und jährlich<lb/> 24000 Mark verdienen, wobei der Produktionsgrundsatz nicht auf die Quantität,<lb/> sondern auf die Qualität gestellt ist. Die Erkenntnis gewinnt täglich mehr<lb/> Anhang, daß die Ausübung eines edeln Handwerks den Einsatz der besten<lb/> Menschlichen Kräfte fordert, weil keine Arbeit gut getan werden kann, wenn<lb/> nicht Herz und Hirn an der Leistung der Hand beteiligt sind. Es gibt keine<lb/> höhere Bildung als die Fähigkeit, edle Arbeit hervorzubringen oder edle Arbeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen
Handwerk zuwandte. Er hat eine Unmenge von Handwerkstechniken erlernt
und praktisch ausgeübt. Er ist der eigentliche Erneuerer des Kunsthandwerks,
und sein Beispiel wirkt begeisternd. Ich erwähne von der großen Zahl seiner
Nachfolger vor allem Cobden-Sanderson, der die Advokatenrobe auszog, um
Buchbinder zu werden und nach Morris als der Schöpfer des modernen Kunst¬
einbandes gilt, namentlich was die Handvergoldekunst betrifft. Dieses geistige
Fluidum, das von solchen Erneuerern des Kunsthandwerks ausging, bewirkte
in der ganzen Welt eine gesteigerte Auffassung von dem Adel des Handwerks.
Diese geistige Bewegung wird es dahin bringen, daß auch die geschilderten
Mißstände überwunden werden. Freilich wird dies in einer andern Weise
geschehen, als es die rückschrittliche Tendenz auf dem Fachverbandkongreß
voraussieht. Wir alle, die ganze Öffentlichkeit, der Staat und die Gesellschaft,
haben ein lebendiges Interesse daran, daß alle Edelberufe im Handwerk die
unentbehrliche ethische Grundlage gewinnen und wieder als eigentliche Kultur¬
träger den Stolz und die Freude der Handwerksangehörigen sind, wie es im
alten Nürnberg der Fall gewesen ist. Dazu aber gehört, daß der ganze Umfang
moderner Bildung ohne jede engherzige zünftlerische Einschränkung mit dem
Handwerk verbunden werde. Um es kurz auszudrücken, eine Erneuerung der
ethischen Grundlagen ist nötig, wenn die wirtschaftlichen und geistigen Interessen
auf die Dauer gestärkt werden sollen.
So sehr die Mutter recht hatte, der Sohn solle etwas besseres werden,
so traurig ist es, daß dieses bessere etwas andres sein solle als ein edles
Handwerk. Nein, ein Kunsthandwerk oder überhaupt nur ein anständiges Hand¬
werk lernen und ausüben ist das beste, was wir allen Jungen wünschen
können. An und für sich ist ein solcher Beruf so wertvoll, daß der Sohn
oder die Tochter, die sich ihm zuwenden, im Familienkreis hochangesehen
und geehrt dastehen müßten, und daß der Gymnasiast, der etwa seinen Bruder
in der Arbeitsbluse auf der Straße sieht, seinen Kollegen zuruft: Hut ab,
das ist mein Bruder, ein Handwerker, ein Kunsthandwerker!
Daß es wieder zur rechtmäßigen Bewertung des Gewerbes und vor allem
des Kunsthandwerks komme, bedarf es allerdings der Mitarbeit vieler Kräfte
außerhalb des Berufs. Denn es ist nötig, daß das Publikum gute Handwerk¬
arbeit wieder schätzen lernt als eine Bedingung der künstlerischen Qualität,
sowie daß die solide Arbeit wieder einen angemessenen Marktpreis gewinnt,
der dem Handwerker den wirtschaftlichen Bestand sichert. Was in dieser Hinsicht
noch möglich ist, beweisen die modernen englischen Buchbinder, wie der erwähnte
Cobden-Sanderson, Cockerell u. a., die mit wenig Gehilfen arbeiten und jährlich
24000 Mark verdienen, wobei der Produktionsgrundsatz nicht auf die Quantität,
sondern auf die Qualität gestellt ist. Die Erkenntnis gewinnt täglich mehr
Anhang, daß die Ausübung eines edeln Handwerks den Einsatz der besten
Menschlichen Kräfte fordert, weil keine Arbeit gut getan werden kann, wenn
nicht Herz und Hirn an der Leistung der Hand beteiligt sind. Es gibt keine
höhere Bildung als die Fähigkeit, edle Arbeit hervorzubringen oder edle Arbeit
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