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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

umspannende Organisation seinen gelehrten Mitgliedern Vorteile, die weltlichen
Universitätslehrern kaum durch hohe Subventionen für Forschungsreisen vom
Staate verschafft werden können. Ob sich die Mitglieder solcher gelehrter
Gesellschaften durch Gelübde binden sollen oder nicht, danach braucht in diesem
Zusammenhange nicht gefragt zu werden. Das Gebet freilich können wir
Heutigen als eine nach dem Prinzip der Arbeitteilung auf Entschädigung An¬
spruch verleihende Leistung fürs Gemeinwesen nicht anerkennen.

Daß Thomas die geistige Arbeit höher schätzt als die körperliche, werden
ihm heutige Gegner der Sozicildemokratie am wenigsten zum Vorwurf machen
wollen. Daß er in Übereinstimmung mit den Alten und mit Lukas 10,42
(Maria hat das bessere Teil erwählt) das Leben in beschaulicher Muße am
höchsten stellt, darf man einem, der, im neunundvierzigsten Lebensjahre ver¬
storben, als Frucht solcher Muße siebzehn Folianten (lauter gediegne Arbeit,
kein leeres Geschwätz) hinterlassen hat, nicht als Liebe zur Faulheit deuten.
Und wenn er mit den Alten die körperlichen Arbeiten opera ssrvilia nennt, so
spricht er doch nur aus, was bis auf den heutigen Tag allgemein gilt. Nur
muß man den Ausdruck nicht wie Maurenbrecher mit Sklavenarbeit übersetzen.
Die katholische Kirche nennt schmutzige Arbeiten und Arbeiten, die ein be¬
deutendes Maß körperlicher Anstrengung fordern, falls sie um Geldlohn ver¬
richtet werden, bis heute oxer" ssrvilia, und die deutschen Katechismen sagen
dafür: knechtische Arbeiten. Werden diese Arbeiten etwa nicht von Knechten
und von den ihnen gesellschaftlich gleich oder nahestehenden Tagelöhnern
und Lohnarbeitern verrichtet? Welcher angesehene, welcher wirtschaftlich unab¬
hängige Mann verdient sich denn heute seinen Lebensunterhalt mit solcher
Arbeit? Steht der kleine Tischler oder Schuster, der für ein Magazin arbeitet,
viel höher als die oben angeführten Klassen abhängiger Leute? Spinoza, der
sich seinen Lebensunterhalt mit Brillenschleifen verdient hat, kann doch nicht als
Norm für unsre heutigen Philosophen angesehen werden, wenn man mit diesen
die Mitglieder der philosophischen Fakultäten meint.

In der Würdigung der verschiednen Kategorien von Handarbeitern unter¬
scheidet sich Thomas dadurch von Aristoteles, daß dieser die Bauern, jener die
Handwerker höher schätzt. Die Landwirtschaft versteht Thomas weder wirt¬
schaftlich noch sozial noch ästhetisch und hygienisch zu würdigen; der Italiener
ist nun einmal bis auf den heutigen Tag Stadtmensch, man könnte ihn Mauer¬
schwalbe nennen (wie denn italienische Maurer in allen Landen arbeiten); auch
wohlhabende italienische Städte, soweit ich sie kenne, entbehren der schönen
Park- und Gartenanlagen, mit denen sich jede nicht allzuarme oder allzukleine
deutsche Stadt schmückt. Unter den Handwerkern unterscheidet Thomas die
angesehenen, die am Stadtregiment teilnehmen (hier malt er wieder einfach die
ihn umgebende Wirklichkeit ab), und die "gemeinen" Handwerker. Von diesen
sagt er, was dem Aristoteles für alle Handwerker gilt, daß sie ursprünglich
servi gewesen seien und es in manchen Städten noch seien. Er wird an die


Konfession und Wirtschaftsleben

umspannende Organisation seinen gelehrten Mitgliedern Vorteile, die weltlichen
Universitätslehrern kaum durch hohe Subventionen für Forschungsreisen vom
Staate verschafft werden können. Ob sich die Mitglieder solcher gelehrter
Gesellschaften durch Gelübde binden sollen oder nicht, danach braucht in diesem
Zusammenhange nicht gefragt zu werden. Das Gebet freilich können wir
Heutigen als eine nach dem Prinzip der Arbeitteilung auf Entschädigung An¬
spruch verleihende Leistung fürs Gemeinwesen nicht anerkennen.

Daß Thomas die geistige Arbeit höher schätzt als die körperliche, werden
ihm heutige Gegner der Sozicildemokratie am wenigsten zum Vorwurf machen
wollen. Daß er in Übereinstimmung mit den Alten und mit Lukas 10,42
(Maria hat das bessere Teil erwählt) das Leben in beschaulicher Muße am
höchsten stellt, darf man einem, der, im neunundvierzigsten Lebensjahre ver¬
storben, als Frucht solcher Muße siebzehn Folianten (lauter gediegne Arbeit,
kein leeres Geschwätz) hinterlassen hat, nicht als Liebe zur Faulheit deuten.
Und wenn er mit den Alten die körperlichen Arbeiten opera ssrvilia nennt, so
spricht er doch nur aus, was bis auf den heutigen Tag allgemein gilt. Nur
muß man den Ausdruck nicht wie Maurenbrecher mit Sklavenarbeit übersetzen.
Die katholische Kirche nennt schmutzige Arbeiten und Arbeiten, die ein be¬
deutendes Maß körperlicher Anstrengung fordern, falls sie um Geldlohn ver¬
richtet werden, bis heute oxer» ssrvilia, und die deutschen Katechismen sagen
dafür: knechtische Arbeiten. Werden diese Arbeiten etwa nicht von Knechten
und von den ihnen gesellschaftlich gleich oder nahestehenden Tagelöhnern
und Lohnarbeitern verrichtet? Welcher angesehene, welcher wirtschaftlich unab¬
hängige Mann verdient sich denn heute seinen Lebensunterhalt mit solcher
Arbeit? Steht der kleine Tischler oder Schuster, der für ein Magazin arbeitet,
viel höher als die oben angeführten Klassen abhängiger Leute? Spinoza, der
sich seinen Lebensunterhalt mit Brillenschleifen verdient hat, kann doch nicht als
Norm für unsre heutigen Philosophen angesehen werden, wenn man mit diesen
die Mitglieder der philosophischen Fakultäten meint.

In der Würdigung der verschiednen Kategorien von Handarbeitern unter¬
scheidet sich Thomas dadurch von Aristoteles, daß dieser die Bauern, jener die
Handwerker höher schätzt. Die Landwirtschaft versteht Thomas weder wirt¬
schaftlich noch sozial noch ästhetisch und hygienisch zu würdigen; der Italiener
ist nun einmal bis auf den heutigen Tag Stadtmensch, man könnte ihn Mauer¬
schwalbe nennen (wie denn italienische Maurer in allen Landen arbeiten); auch
wohlhabende italienische Städte, soweit ich sie kenne, entbehren der schönen
Park- und Gartenanlagen, mit denen sich jede nicht allzuarme oder allzukleine
deutsche Stadt schmückt. Unter den Handwerkern unterscheidet Thomas die
angesehenen, die am Stadtregiment teilnehmen (hier malt er wieder einfach die
ihn umgebende Wirklichkeit ab), und die „gemeinen" Handwerker. Von diesen
sagt er, was dem Aristoteles für alle Handwerker gilt, daß sie ursprünglich
servi gewesen seien und es in manchen Städten noch seien. Er wird an die


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[0456] Konfession und Wirtschaftsleben umspannende Organisation seinen gelehrten Mitgliedern Vorteile, die weltlichen Universitätslehrern kaum durch hohe Subventionen für Forschungsreisen vom Staate verschafft werden können. Ob sich die Mitglieder solcher gelehrter Gesellschaften durch Gelübde binden sollen oder nicht, danach braucht in diesem Zusammenhange nicht gefragt zu werden. Das Gebet freilich können wir Heutigen als eine nach dem Prinzip der Arbeitteilung auf Entschädigung An¬ spruch verleihende Leistung fürs Gemeinwesen nicht anerkennen. Daß Thomas die geistige Arbeit höher schätzt als die körperliche, werden ihm heutige Gegner der Sozicildemokratie am wenigsten zum Vorwurf machen wollen. Daß er in Übereinstimmung mit den Alten und mit Lukas 10,42 (Maria hat das bessere Teil erwählt) das Leben in beschaulicher Muße am höchsten stellt, darf man einem, der, im neunundvierzigsten Lebensjahre ver¬ storben, als Frucht solcher Muße siebzehn Folianten (lauter gediegne Arbeit, kein leeres Geschwätz) hinterlassen hat, nicht als Liebe zur Faulheit deuten. Und wenn er mit den Alten die körperlichen Arbeiten opera ssrvilia nennt, so spricht er doch nur aus, was bis auf den heutigen Tag allgemein gilt. Nur muß man den Ausdruck nicht wie Maurenbrecher mit Sklavenarbeit übersetzen. Die katholische Kirche nennt schmutzige Arbeiten und Arbeiten, die ein be¬ deutendes Maß körperlicher Anstrengung fordern, falls sie um Geldlohn ver¬ richtet werden, bis heute oxer» ssrvilia, und die deutschen Katechismen sagen dafür: knechtische Arbeiten. Werden diese Arbeiten etwa nicht von Knechten und von den ihnen gesellschaftlich gleich oder nahestehenden Tagelöhnern und Lohnarbeitern verrichtet? Welcher angesehene, welcher wirtschaftlich unab¬ hängige Mann verdient sich denn heute seinen Lebensunterhalt mit solcher Arbeit? Steht der kleine Tischler oder Schuster, der für ein Magazin arbeitet, viel höher als die oben angeführten Klassen abhängiger Leute? Spinoza, der sich seinen Lebensunterhalt mit Brillenschleifen verdient hat, kann doch nicht als Norm für unsre heutigen Philosophen angesehen werden, wenn man mit diesen die Mitglieder der philosophischen Fakultäten meint. In der Würdigung der verschiednen Kategorien von Handarbeitern unter¬ scheidet sich Thomas dadurch von Aristoteles, daß dieser die Bauern, jener die Handwerker höher schätzt. Die Landwirtschaft versteht Thomas weder wirt¬ schaftlich noch sozial noch ästhetisch und hygienisch zu würdigen; der Italiener ist nun einmal bis auf den heutigen Tag Stadtmensch, man könnte ihn Mauer¬ schwalbe nennen (wie denn italienische Maurer in allen Landen arbeiten); auch wohlhabende italienische Städte, soweit ich sie kenne, entbehren der schönen Park- und Gartenanlagen, mit denen sich jede nicht allzuarme oder allzukleine deutsche Stadt schmückt. Unter den Handwerkern unterscheidet Thomas die angesehenen, die am Stadtregiment teilnehmen (hier malt er wieder einfach die ihn umgebende Wirklichkeit ab), und die „gemeinen" Handwerker. Von diesen sagt er, was dem Aristoteles für alle Handwerker gilt, daß sie ursprünglich servi gewesen seien und es in manchen Städten noch seien. Er wird an die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/456>, abgerufen am 01.09.2024.