Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Antiquar brenner, der seiner Nichte im Winter gewöhnlich dazu diente, den Kaffee oder den Es währte nicht lange, so verriet auch schon ein scharf brenzlichter Geruch, daß Mitternacht war längst vorüber, als Seyler den Inhalt seiner letzten Tute Endlich war auch das geschehen, und außer einem schwachen, für eine profane So kam es, daß er am nächsten Morgen mit wahrer Sehnsucht auf einen Der Antiquar brenner, der seiner Nichte im Winter gewöhnlich dazu diente, den Kaffee oder den Es währte nicht lange, so verriet auch schon ein scharf brenzlichter Geruch, daß Mitternacht war längst vorüber, als Seyler den Inhalt seiner letzten Tute Endlich war auch das geschehen, und außer einem schwachen, für eine profane So kam es, daß er am nächsten Morgen mit wahrer Sehnsucht auf einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303130"/> <fw type="header" place="top"> Der Antiquar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2421" prev="#ID_2420"> brenner, der seiner Nichte im Winter gewöhnlich dazu diente, den Kaffee oder den<lb/> Tee warm zu halten, wenn die Kälte des schwer heizbaren Raumes eine regelmäßig<lb/> wiederholte innere Erwärmung des menschlichen Körpers notwendig machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2422"> Es währte nicht lange, so verriet auch schon ein scharf brenzlichter Geruch, daß<lb/> sich Feuer und Milch ohne Konsens und Segen einer sachverständigen Hausfrau<lb/> zu vermählen begannen. Aber der Kandis wirkte mildernd, und als sich erst der<lb/> Alkohol dazugesellte, stieg im Geiste des späten Alchimisten die unklare Erinnerung<lb/> an eine Punschbowle auf, die er vor Jahr und Tag — er wußte nicht mehr,<lb/> wann, bei welchem Anlaß und in welcher Gesellschaft — einmal getrunken hatte.<lb/> Nun kam jedoch die Aloe, das Lieblingsingrediens mittelalterlicher Apothekerkunst,<lb/> an die Reihe, und vor ihrem bitter-aromatischen Duft schwanden die profanen Ge¬<lb/> danken des Kochkünstlers dahin wie Nebel vor der Morgensonne. So ging es<lb/> fort: Geist und Materie, Himmel und Erde, Gutes und Böses, mystischer Zauber<lb/> und gemeine Wirklichkeit schienen in dem schwarzen Kessel miteinander zu ringen,<lb/> bald schien der Geist, bald die Materie zu siegen, bald entströmte dem quirlenden<lb/> Gemenge ein beseligender Duft, der Herrn Polykarp mit faustischen Ahnungen er¬<lb/> füllte, und bald wieder der kräftige Geruch einer guten Krebssuppe, der ihn aus<lb/> den lichten Höhen geläuterter Erkenntnis auf den festen Boden des Allzumenschlichen<lb/> zurückriß.</p><lb/> <p xml:id="ID_2423"> Mitternacht war längst vorüber, als Seyler den Inhalt seiner letzten Tute<lb/> in den Topf schüttete und mit erlahmendem Arm unter das brodelnde Gemisch<lb/> rührte. Er merkte mit Befriedigung, wie der Brei dicker und dicker wurde, und<lb/> wie unter dem zur Seite geblasnen Dampfe die silbergraue Materie zum Vor¬<lb/> schein kam, die das Resultat und der Lohn so angestrengter Arbeit war. Wenn<lb/> sie nur schneller erkaltet wäre! Aber sie kochte noch eine Weile weiter, obgleich der<lb/> sonderbare Alchimist das Gas längst abgedreht hatte und rin Ungeduld auf den<lb/> Augenblick wartete, wo er das Produkt der Kocherei in das bereitgestellte Gefäß<lb/> füllen und die Spuren seiner geheimnisvollen Tätigkeit so gründlich wie nur<lb/> möglich beseitigen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2424"> Endlich war auch das geschehen, und außer einem schwachen, für eine profane<lb/> Nase undefinierbarer Geruch und einigen Spritzern an der altersgeschwärzten Wand<lb/> verriet nichts mehr, daß sich hier ein Sterblicher die geheimnisvollen Kräfte der<lb/> Natur dienstbar gemacht und gleichsam auf Flaschen gezogen hatte. Und seltsam!<lb/> Seit Seyler die dickliche Mixtur vor sich sah, war er auch von ihrer Wirksamkeit<lb/> felsenfest überzeugt. Und als er sich nun in Ermanglung eines Pinsels einen Papp¬<lb/> streifen zurechtschnitt, ihn in den grauen Brei tauchte und damit eine silbrige Bahn,<lb/> ähnlich der Spur einer Schnecke auf einem trocknen Waldwege, über die Tür¬<lb/> schwelle zog, verstand es sich für ihn ganz von selbst, daß jedes Buch, das die<lb/> Hand eines Fremden über diese Schwelle trug, über kurz oder lang in das Ge¬<lb/> wölbe zurückkehren mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2425" next="#ID_2426"> So kam es, daß er am nächsten Morgen mit wahrer Sehnsucht auf einen<lb/> Kunden wartete. Wie ein Luchs lauerte er hinter den Kupferstichen des Schau¬<lb/> fensters auf die Vorübergehenden und suchte, wenn sie wirklich stehn blieben und<lb/> sich die stockfleckigen Kunstblätter, die beideu französischen Reiterpistolen, die Original¬<lb/> drucke Prendelscher Bekanntmachungen aus den Tagen der Völkerschlacht und<lb/> die verstaubten und vergilbten Bücher ansahen, in ihren Augen zu lesen, ob sie<lb/> wohl eintreten und irgend etwas von diesen Raritäten kaufen würden. Gegen<lb/> Mittag trat denn auch wirklich ein Herr ein, der den Lockungen des Schaufensters<lb/> uicht widerstanden und sein Auge auf einen Magdeburger Druck vom Jahre 1666,<lb/> betitelt: I. Praetorius, ^.illo.roxoä<zinus xlutonious, d. i. eine neue Weltbeschreibung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0428]
Der Antiquar
brenner, der seiner Nichte im Winter gewöhnlich dazu diente, den Kaffee oder den
Tee warm zu halten, wenn die Kälte des schwer heizbaren Raumes eine regelmäßig
wiederholte innere Erwärmung des menschlichen Körpers notwendig machte.
Es währte nicht lange, so verriet auch schon ein scharf brenzlichter Geruch, daß
sich Feuer und Milch ohne Konsens und Segen einer sachverständigen Hausfrau
zu vermählen begannen. Aber der Kandis wirkte mildernd, und als sich erst der
Alkohol dazugesellte, stieg im Geiste des späten Alchimisten die unklare Erinnerung
an eine Punschbowle auf, die er vor Jahr und Tag — er wußte nicht mehr,
wann, bei welchem Anlaß und in welcher Gesellschaft — einmal getrunken hatte.
Nun kam jedoch die Aloe, das Lieblingsingrediens mittelalterlicher Apothekerkunst,
an die Reihe, und vor ihrem bitter-aromatischen Duft schwanden die profanen Ge¬
danken des Kochkünstlers dahin wie Nebel vor der Morgensonne. So ging es
fort: Geist und Materie, Himmel und Erde, Gutes und Böses, mystischer Zauber
und gemeine Wirklichkeit schienen in dem schwarzen Kessel miteinander zu ringen,
bald schien der Geist, bald die Materie zu siegen, bald entströmte dem quirlenden
Gemenge ein beseligender Duft, der Herrn Polykarp mit faustischen Ahnungen er¬
füllte, und bald wieder der kräftige Geruch einer guten Krebssuppe, der ihn aus
den lichten Höhen geläuterter Erkenntnis auf den festen Boden des Allzumenschlichen
zurückriß.
Mitternacht war längst vorüber, als Seyler den Inhalt seiner letzten Tute
in den Topf schüttete und mit erlahmendem Arm unter das brodelnde Gemisch
rührte. Er merkte mit Befriedigung, wie der Brei dicker und dicker wurde, und
wie unter dem zur Seite geblasnen Dampfe die silbergraue Materie zum Vor¬
schein kam, die das Resultat und der Lohn so angestrengter Arbeit war. Wenn
sie nur schneller erkaltet wäre! Aber sie kochte noch eine Weile weiter, obgleich der
sonderbare Alchimist das Gas längst abgedreht hatte und rin Ungeduld auf den
Augenblick wartete, wo er das Produkt der Kocherei in das bereitgestellte Gefäß
füllen und die Spuren seiner geheimnisvollen Tätigkeit so gründlich wie nur
möglich beseitigen konnte.
Endlich war auch das geschehen, und außer einem schwachen, für eine profane
Nase undefinierbarer Geruch und einigen Spritzern an der altersgeschwärzten Wand
verriet nichts mehr, daß sich hier ein Sterblicher die geheimnisvollen Kräfte der
Natur dienstbar gemacht und gleichsam auf Flaschen gezogen hatte. Und seltsam!
Seit Seyler die dickliche Mixtur vor sich sah, war er auch von ihrer Wirksamkeit
felsenfest überzeugt. Und als er sich nun in Ermanglung eines Pinsels einen Papp¬
streifen zurechtschnitt, ihn in den grauen Brei tauchte und damit eine silbrige Bahn,
ähnlich der Spur einer Schnecke auf einem trocknen Waldwege, über die Tür¬
schwelle zog, verstand es sich für ihn ganz von selbst, daß jedes Buch, das die
Hand eines Fremden über diese Schwelle trug, über kurz oder lang in das Ge¬
wölbe zurückkehren mußte.
So kam es, daß er am nächsten Morgen mit wahrer Sehnsucht auf einen
Kunden wartete. Wie ein Luchs lauerte er hinter den Kupferstichen des Schau¬
fensters auf die Vorübergehenden und suchte, wenn sie wirklich stehn blieben und
sich die stockfleckigen Kunstblätter, die beideu französischen Reiterpistolen, die Original¬
drucke Prendelscher Bekanntmachungen aus den Tagen der Völkerschlacht und
die verstaubten und vergilbten Bücher ansahen, in ihren Augen zu lesen, ob sie
wohl eintreten und irgend etwas von diesen Raritäten kaufen würden. Gegen
Mittag trat denn auch wirklich ein Herr ein, der den Lockungen des Schaufensters
uicht widerstanden und sein Auge auf einen Magdeburger Druck vom Jahre 1666,
betitelt: I. Praetorius, ^.illo.roxoä<zinus xlutonious, d. i. eine neue Weltbeschreibung
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