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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

14. Oktober den spätern Führer unsers Heeres und dessen Reorganisator,
Scharnhorst, zusammen. Prophetisch schrieb dieser nach der Kapitulation von
Ratkau seinem General: "Das Schicksal muß für Sie glücklichere Begeben¬
heiten herbeiführen, oder es wäre unbeschreiblich ungerecht -- und an diesen
glücklichern muß ich teilnehmen."

An dem Werk der nach dem Tilsiter Frieden beginnenden Reorganisation
der Armee hat Blücher, der während der Friedensjahre mit dem Oberkommando
in Pommern betraut war, nicht unmittelbar teilgenommen. Mittelbar hat er
jedoch bei dem hohen Ansehen, das er in der Armee genoß, großen Einfluß
ausgeübt. Eifrig sprach er sich auch für Steins Berufung an die leitende Stelle
aus. Es ist bezeichnend, daß bei allem Freimut, den Blücher gerade König
Friedrich Wilhelm dem Dritten gegenüber zur Schau trug, dieser ihm trotz
vorübergehender Verstimmungen doch eigentlich immer gewogen blieb. Bei der
einfachen soldatischen Weise des Generals mochte ihn das bedrückende Gefühl nicht
befallen, das er geistig überlegnen Männern gegenüber sonst stets empfand.

Im Sommer 1808 erkrankte Blücher ernstlich. Er verfiel darüber in tiefe
Schwermut, die von den merkwürdigsten Wahnvorstellungen begleitet war, wie
sie ihn ähnlich später im Feldzuge von 1814 in den Tagen von Craonne und
Laon befielen und seine Tatkraft lähmten. Die wunderbare Widerstandskraft
seines Körpers und die Elastizität seines Geistes halfen ihm jedoch diesen
Zustand allmählich überwinden. Im Frühjahr 1809 fühlte er sich wieder völlig
frisch, zur Freude aller Patrioten, deren Hoffnungen für den Tag der Rache
sich auf ihn richteten. In jener Zeit schrieb ihm Scharnhorst: "Sie sind unser
Anführer und Held, und müßten Sie auf einer Sänfte uns vor- und nach¬
getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück."

Es waren jene Tage hochgradiger Erregung, in denen die Wogen, die
Österreichs Befreiungskampf erregte, auch nach Preußen überzuschlagen be¬
gannen. Wie sollte Blüchers deutsches Herz davon unberührt bleiben! Das
Beispiel Schills verfehlte seine Wirkung nicht. Auch Blücher scheint einen
Augenblick erwogen zu haben, ob er nicht losschlagen solle, ohne den Befehl
des Königs abzuwarten, er scheint entschlossen gewesen zu sein, es im Ein¬
vernehmen mit Götzen zu tun, für den Fall, daß die Franzosen in Schlesien
einrücken würden. Ohnehin glaubte er, daß ihm der König nicht mehr gewogen
sei, da seine Truppen, wenn auch nur vorübergehend, dem jüngern General
von Stutterheim, der mit besondern Vollmachten nach Berlin ging, unter¬
stellt wurden. Er erbat, wenn der König seiner Tatkraft nicht mehr traue,
seinen Abschied ohne Pension, wiewohl er arm sei und sein Brot in fremden
Diensten suchen müsse. "Ich werde -- schreibt er dem König -- mit dem
wehmütigsten Gefühl einen Dienst verlassen, worin ich glaubte, noch vor meinem
Ende die vorige Ausdehnung des Staats erleben und hierzu durch rastlose
Bemühung und eigne Aufopferung tätig mitwirken zu können -- Gedanken
und Wünsche, die mich, wenn mich auch keine Fessel mehr an Preußen bindet,


Grenzboten III 1907 46
Line neue Blücher-Biographie

14. Oktober den spätern Führer unsers Heeres und dessen Reorganisator,
Scharnhorst, zusammen. Prophetisch schrieb dieser nach der Kapitulation von
Ratkau seinem General: „Das Schicksal muß für Sie glücklichere Begeben¬
heiten herbeiführen, oder es wäre unbeschreiblich ungerecht — und an diesen
glücklichern muß ich teilnehmen."

An dem Werk der nach dem Tilsiter Frieden beginnenden Reorganisation
der Armee hat Blücher, der während der Friedensjahre mit dem Oberkommando
in Pommern betraut war, nicht unmittelbar teilgenommen. Mittelbar hat er
jedoch bei dem hohen Ansehen, das er in der Armee genoß, großen Einfluß
ausgeübt. Eifrig sprach er sich auch für Steins Berufung an die leitende Stelle
aus. Es ist bezeichnend, daß bei allem Freimut, den Blücher gerade König
Friedrich Wilhelm dem Dritten gegenüber zur Schau trug, dieser ihm trotz
vorübergehender Verstimmungen doch eigentlich immer gewogen blieb. Bei der
einfachen soldatischen Weise des Generals mochte ihn das bedrückende Gefühl nicht
befallen, das er geistig überlegnen Männern gegenüber sonst stets empfand.

Im Sommer 1808 erkrankte Blücher ernstlich. Er verfiel darüber in tiefe
Schwermut, die von den merkwürdigsten Wahnvorstellungen begleitet war, wie
sie ihn ähnlich später im Feldzuge von 1814 in den Tagen von Craonne und
Laon befielen und seine Tatkraft lähmten. Die wunderbare Widerstandskraft
seines Körpers und die Elastizität seines Geistes halfen ihm jedoch diesen
Zustand allmählich überwinden. Im Frühjahr 1809 fühlte er sich wieder völlig
frisch, zur Freude aller Patrioten, deren Hoffnungen für den Tag der Rache
sich auf ihn richteten. In jener Zeit schrieb ihm Scharnhorst: „Sie sind unser
Anführer und Held, und müßten Sie auf einer Sänfte uns vor- und nach¬
getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück."

Es waren jene Tage hochgradiger Erregung, in denen die Wogen, die
Österreichs Befreiungskampf erregte, auch nach Preußen überzuschlagen be¬
gannen. Wie sollte Blüchers deutsches Herz davon unberührt bleiben! Das
Beispiel Schills verfehlte seine Wirkung nicht. Auch Blücher scheint einen
Augenblick erwogen zu haben, ob er nicht losschlagen solle, ohne den Befehl
des Königs abzuwarten, er scheint entschlossen gewesen zu sein, es im Ein¬
vernehmen mit Götzen zu tun, für den Fall, daß die Franzosen in Schlesien
einrücken würden. Ohnehin glaubte er, daß ihm der König nicht mehr gewogen
sei, da seine Truppen, wenn auch nur vorübergehend, dem jüngern General
von Stutterheim, der mit besondern Vollmachten nach Berlin ging, unter¬
stellt wurden. Er erbat, wenn der König seiner Tatkraft nicht mehr traue,
seinen Abschied ohne Pension, wiewohl er arm sei und sein Brot in fremden
Diensten suchen müsse. „Ich werde — schreibt er dem König — mit dem
wehmütigsten Gefühl einen Dienst verlassen, worin ich glaubte, noch vor meinem
Ende die vorige Ausdehnung des Staats erleben und hierzu durch rastlose
Bemühung und eigne Aufopferung tätig mitwirken zu können — Gedanken
und Wünsche, die mich, wenn mich auch keine Fessel mehr an Preußen bindet,


Grenzboten III 1907 46
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[0357] Line neue Blücher-Biographie 14. Oktober den spätern Führer unsers Heeres und dessen Reorganisator, Scharnhorst, zusammen. Prophetisch schrieb dieser nach der Kapitulation von Ratkau seinem General: „Das Schicksal muß für Sie glücklichere Begeben¬ heiten herbeiführen, oder es wäre unbeschreiblich ungerecht — und an diesen glücklichern muß ich teilnehmen." An dem Werk der nach dem Tilsiter Frieden beginnenden Reorganisation der Armee hat Blücher, der während der Friedensjahre mit dem Oberkommando in Pommern betraut war, nicht unmittelbar teilgenommen. Mittelbar hat er jedoch bei dem hohen Ansehen, das er in der Armee genoß, großen Einfluß ausgeübt. Eifrig sprach er sich auch für Steins Berufung an die leitende Stelle aus. Es ist bezeichnend, daß bei allem Freimut, den Blücher gerade König Friedrich Wilhelm dem Dritten gegenüber zur Schau trug, dieser ihm trotz vorübergehender Verstimmungen doch eigentlich immer gewogen blieb. Bei der einfachen soldatischen Weise des Generals mochte ihn das bedrückende Gefühl nicht befallen, das er geistig überlegnen Männern gegenüber sonst stets empfand. Im Sommer 1808 erkrankte Blücher ernstlich. Er verfiel darüber in tiefe Schwermut, die von den merkwürdigsten Wahnvorstellungen begleitet war, wie sie ihn ähnlich später im Feldzuge von 1814 in den Tagen von Craonne und Laon befielen und seine Tatkraft lähmten. Die wunderbare Widerstandskraft seines Körpers und die Elastizität seines Geistes halfen ihm jedoch diesen Zustand allmählich überwinden. Im Frühjahr 1809 fühlte er sich wieder völlig frisch, zur Freude aller Patrioten, deren Hoffnungen für den Tag der Rache sich auf ihn richteten. In jener Zeit schrieb ihm Scharnhorst: „Sie sind unser Anführer und Held, und müßten Sie auf einer Sänfte uns vor- und nach¬ getragen werden; nur mit Ihnen ist Entschlossenheit und Glück." Es waren jene Tage hochgradiger Erregung, in denen die Wogen, die Österreichs Befreiungskampf erregte, auch nach Preußen überzuschlagen be¬ gannen. Wie sollte Blüchers deutsches Herz davon unberührt bleiben! Das Beispiel Schills verfehlte seine Wirkung nicht. Auch Blücher scheint einen Augenblick erwogen zu haben, ob er nicht losschlagen solle, ohne den Befehl des Königs abzuwarten, er scheint entschlossen gewesen zu sein, es im Ein¬ vernehmen mit Götzen zu tun, für den Fall, daß die Franzosen in Schlesien einrücken würden. Ohnehin glaubte er, daß ihm der König nicht mehr gewogen sei, da seine Truppen, wenn auch nur vorübergehend, dem jüngern General von Stutterheim, der mit besondern Vollmachten nach Berlin ging, unter¬ stellt wurden. Er erbat, wenn der König seiner Tatkraft nicht mehr traue, seinen Abschied ohne Pension, wiewohl er arm sei und sein Brot in fremden Diensten suchen müsse. „Ich werde — schreibt er dem König — mit dem wehmütigsten Gefühl einen Dienst verlassen, worin ich glaubte, noch vor meinem Ende die vorige Ausdehnung des Staats erleben und hierzu durch rastlose Bemühung und eigne Aufopferung tätig mitwirken zu können — Gedanken und Wünsche, die mich, wenn mich auch keine Fessel mehr an Preußen bindet, Grenzboten III 1907 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/357>, abgerufen am 01.09.2024.