Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren ^9^6 ^07 schon reichlich spät. Arbeiter in größerer Zahl werden sich für die "vater¬ Ist nun die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, an der Man sieht also, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung noch lange nicht Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern werden die gelben Gewerk¬ Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren ^9^6 ^07 schon reichlich spät. Arbeiter in größerer Zahl werden sich für die »vater¬ Ist nun die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, an der Man sieht also, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung noch lange nicht Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern werden die gelben Gewerk¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303041"/> <fw type="header" place="top"> Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren ^9^6 ^07</fw><lb/> <p xml:id="ID_2033" prev="#ID_2032"> schon reichlich spät. Arbeiter in größerer Zahl werden sich für die »vater¬<lb/> ländischen Arbeitervereine« ebensowenig finden, wie die »katholischen Fach¬<lb/> abteilungen« trotz intensiver Agitation solche nicht zu sammeln vermochten. Es<lb/> hieße den gesunden Sinn der deutschen Arbeiterwelt tief einschätzen, annehmen zu<lb/> wollen, daß, nachdem die gewerkschaftlichen Erfolge der letzten Jahre so offen¬<lb/> sichtlich vorliegen, für solche Bevormundungsgebilde sich noch ein breiterer Boden<lb/> fände. Die sechzig Jahre deutscher Preßfreiheit und vierzig Jahre allgemeinen<lb/> direkten Wahlrechts müßten spurlos an großen Massen vorbeigegangen sein.<lb/> Die Sozialdemokratie verfügte bei der letzten Reichstagswahl über dreieinviertel<lb/> Millionen Stimmen, den mit ihr verbündeten Gewerkschaften gehören gegenwärtig<lb/> 1800000 Mitglieder an. Und dieser Bewegung glaubt man mit solch faulen<lb/> Gründungen begegnen zu können."</p><lb/> <p xml:id="ID_2034"> Ist nun die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, an der<lb/> hauptsächlich die „freien" Gewerkschaften infolge ihres sozialistischen Neben¬<lb/> charakters schuld sind, wie gesagt, eine sehr bedauerliche Erscheinung, so hat<lb/> man auf der andern Seite — so machtvoll die Gewerkschaftsbewegung in<lb/> Deutschland auch dasteht — damit zu rechnen, daß weite Kreise der deutschen<lb/> Unternehmerschaft diese noch nicht als die berechtigte Interessenvertretung der<lb/> deutschen Arbeiter ansehen. Mag die deutsche Industrie noch so stolz sein auf<lb/> eine gewisse Ebenbürtigkeit mit der englischen Industrie, jener freie Blick und<lb/> das gesunde Urteil gerade über die Organisationsbestrebungen der Arbeiter,<lb/> Eigenschaften, die der englischen Industrie eigen sind und sie groß gemacht haben,<lb/> die fehlen noch so recht einem großen Teile der deutschen Unternehmerschaft.<lb/> Dort Anerkennung der Gewerkschaften als selbstverständliche und notwendige<lb/> Interessenvertretung der Arbeiter, hier noch vielfach offner Kampf gegen die<lb/> Idee an sich, Mißtrauen und nur verhältnismüßig spärliches Verständnis! Die<lb/> deutschen Arbeitgeber organisieren sich teilweise noch zunächst unter dem Ge¬<lb/> danken des Niederkämpfens der Gewerkschaften — statt zum Ausgleich des<lb/> Kräfteverhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber.</p><lb/> <p xml:id="ID_2035"> Man sieht also, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung noch lange nicht<lb/> innerlich so konsolidiert ist, wie es vom rein volkswirtschaftlichen Standpunkte<lb/> zu wünschen wäre. Anstatt nun die Gewerkschaftsbewegung zu stärken, versucht<lb/> man, sie zu zersplittern. Den Anfang haben wir bei dem „Bund vaterländischer<lb/> Arbeitervereine". Mit Recht kann man diese neue Gründung „gelbe Gewerk¬<lb/> schaft" nennen, da sie in Wirklichkeit weiter nichts als eine Organisation ist, wobei<lb/> die Mitglieder des Bundes auf ihr Koalitionsrecht verzichten müssen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2036" next="#ID_2037"> Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern werden die gelben Gewerk¬<lb/> schaften nicht ohne Grund heftig bekämpft. Niemand wird etwas dagegen haben,<lb/> daß wohlwollende Arbeitgeber durch Wohlfahrtseinrichtungen, gesellige Ver¬<lb/> gnügungen usw. den Arbeitern zu Hilfe zu kommen und ein persönliches Band<lb/> zwischen sich und ihnen zu knüpfen versuchen. Sobald aber solche Bestrebungen<lb/> darauf ausgehn, die Gutmütigkeit oder die Unerfahrenheit des Arbeiters aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0339]
Die christlichen Gewerkschaften in den Jahren ^9^6 ^07
schon reichlich spät. Arbeiter in größerer Zahl werden sich für die »vater¬
ländischen Arbeitervereine« ebensowenig finden, wie die »katholischen Fach¬
abteilungen« trotz intensiver Agitation solche nicht zu sammeln vermochten. Es
hieße den gesunden Sinn der deutschen Arbeiterwelt tief einschätzen, annehmen zu
wollen, daß, nachdem die gewerkschaftlichen Erfolge der letzten Jahre so offen¬
sichtlich vorliegen, für solche Bevormundungsgebilde sich noch ein breiterer Boden
fände. Die sechzig Jahre deutscher Preßfreiheit und vierzig Jahre allgemeinen
direkten Wahlrechts müßten spurlos an großen Massen vorbeigegangen sein.
Die Sozialdemokratie verfügte bei der letzten Reichstagswahl über dreieinviertel
Millionen Stimmen, den mit ihr verbündeten Gewerkschaften gehören gegenwärtig
1800000 Mitglieder an. Und dieser Bewegung glaubt man mit solch faulen
Gründungen begegnen zu können."
Ist nun die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, an der
hauptsächlich die „freien" Gewerkschaften infolge ihres sozialistischen Neben¬
charakters schuld sind, wie gesagt, eine sehr bedauerliche Erscheinung, so hat
man auf der andern Seite — so machtvoll die Gewerkschaftsbewegung in
Deutschland auch dasteht — damit zu rechnen, daß weite Kreise der deutschen
Unternehmerschaft diese noch nicht als die berechtigte Interessenvertretung der
deutschen Arbeiter ansehen. Mag die deutsche Industrie noch so stolz sein auf
eine gewisse Ebenbürtigkeit mit der englischen Industrie, jener freie Blick und
das gesunde Urteil gerade über die Organisationsbestrebungen der Arbeiter,
Eigenschaften, die der englischen Industrie eigen sind und sie groß gemacht haben,
die fehlen noch so recht einem großen Teile der deutschen Unternehmerschaft.
Dort Anerkennung der Gewerkschaften als selbstverständliche und notwendige
Interessenvertretung der Arbeiter, hier noch vielfach offner Kampf gegen die
Idee an sich, Mißtrauen und nur verhältnismüßig spärliches Verständnis! Die
deutschen Arbeitgeber organisieren sich teilweise noch zunächst unter dem Ge¬
danken des Niederkämpfens der Gewerkschaften — statt zum Ausgleich des
Kräfteverhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber.
Man sieht also, daß die deutsche Gewerkschaftsbewegung noch lange nicht
innerlich so konsolidiert ist, wie es vom rein volkswirtschaftlichen Standpunkte
zu wünschen wäre. Anstatt nun die Gewerkschaftsbewegung zu stärken, versucht
man, sie zu zersplittern. Den Anfang haben wir bei dem „Bund vaterländischer
Arbeitervereine". Mit Recht kann man diese neue Gründung „gelbe Gewerk¬
schaft" nennen, da sie in Wirklichkeit weiter nichts als eine Organisation ist, wobei
die Mitglieder des Bundes auf ihr Koalitionsrecht verzichten müssen!
Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern werden die gelben Gewerk¬
schaften nicht ohne Grund heftig bekämpft. Niemand wird etwas dagegen haben,
daß wohlwollende Arbeitgeber durch Wohlfahrtseinrichtungen, gesellige Ver¬
gnügungen usw. den Arbeitern zu Hilfe zu kommen und ein persönliches Band
zwischen sich und ihnen zu knüpfen versuchen. Sobald aber solche Bestrebungen
darauf ausgehn, die Gutmütigkeit oder die Unerfahrenheit des Arbeiters aus-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |