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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Antiquar

Nun, wenn Sie nicht mehr verlangen! sagte sie, indem sie sich den Anschein
gab, als sei sie durch seine Argumente von der Harmlosigkeit seiner Absichten über¬
zeugt worden, ein halbes Dutzend sollen Sie haben. Also, Lieblingsbuch Nummer
eins: Bernhardt". Grundriß der römischen Literaturgeschichte. Nummer zwei: Heeren,
Geschichte des Studiums der klassischen Literatur seit dem Wiederaufleben der
Wissenschaften. Drittens: Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums oder
das erste Jahrhundert des Humanismus. Viertens: Burckhardt, Die Kultur der
Renaissance in Italien. Fünftens ---

Herr Polykarp Seyler war mit dem Kapitel über Tibull zu Ende und somit
auch geistig wieder in seinem Laden anwesend.

So, jetzt wäre der Gruppe reif zum Verkauf, sagte er. Es war gut, daß
ich noch einmal hineinsah, denn von den Ausführungen über das Buch Sulvicia
war mir schon manches entfallen.

Wenn Sie es etwa noch länger zu behalten wünschen, Herr Seyler, be¬
merkte Doktor Waetzold, so kann ich ja morgen oder übermorgen noch einmal vor¬
sprechen --

Danke vielmals, Herr Doktor. Was ich wissen wollte, weiß ich jetzt. Und
da ich ja doch entschlossen bin, Ihnen das Buch zu verkaufen, so ist es schon besser,
ich trenne mich gleich davon. Zur Not suche ich mir ein neues Exemplar. Er
wickelte den Band in einen Bogen Makulatur und händigte dem Doktor das
Pnketchen ein. Dieser verabschiedete sich von Onkel und Nichte mit einem kräftigen
Händedruck und nahm sich vor, Seylers Aufforderung: Beehren Sie mich bald
wieder! nicht als eine leere Redensart zu betrachten, sondern so bald und so oft
wie möglich zu beherzigen.

Als seine Schritte draußen ans den Steinfliesen des stillen Hofes verhallten,
seufzte der Antiquar auf.

Ach, daß die Leute immer gerade die Bücher verlangen, die einem ans Herz
gewachsen sind! sagte er. Den Schund habe ich zentnerweise daliegen, aber nach
dem fragt niemand. Was einem am liebsten ist, das muß man aus den Händen
geben.

Lieber Onkel, erwiderte Käthchen, wenn dir die Bücher so lieb und teuer
sind, dann solltest du ihnen auch gönnen, daß sie endlich aus Staub und Finsternis
an die Luft und den Sonnenschein hinauskommen. Es ist traurig genug, daß wir
beide an dieses dumpfe Loch gebunden sind. Ein billigeres Lokal würden wir in
der innern Stadt allerdings schwerlich finden.

Was heißt das, Mädel? Das sieht ja beinahe aus, als ob du dich hier nicht
Wohl fühltest?

So recht wohl nicht, Onkel. Aber es wird schon wieder vorübergehn. Weißt
du, zuweilen, wenn dort oben zwischen den hohen Dächern einmal ein Stückchen
blauen Himmels erscheint, oder wenn der Frühlingswind so frisch und ungestüm
durch den Hof Pfeife, dann ist mirs, als müßt ich hier in unserm engen, dunkeln
Gewölbe ersticken. Da ists denn ein Trost, wenn sich wieder graue Wolken über
das blane Fleckchen schieben, und wenn der Wind weiter zieht, weil er einsieht, daß
er hier weder Knospenhüllen noch Blütenblätter, sondern mir Strohhalme und Papier-
schnitzel als Spielzeug findet.

Wie sonderbar du heute nur redest, Kind! sagte Seyler, indem er die Brille
emporschob und die Nichte mit erstaunten Angen anschaute. Hast du denn nicht
alles, was der Mensch zu seiner Existenz braucht: Nahrung, Kleidung und Bücher?
Und dann solltest du doch wissen, was es mit dem Blau des Himmels auf sich
but! Die Luft wirkt einfach als ein trübes Mittel vor dem dunkeln Hintergrunde des


Der Antiquar

Nun, wenn Sie nicht mehr verlangen! sagte sie, indem sie sich den Anschein
gab, als sei sie durch seine Argumente von der Harmlosigkeit seiner Absichten über¬
zeugt worden, ein halbes Dutzend sollen Sie haben. Also, Lieblingsbuch Nummer
eins: Bernhardt». Grundriß der römischen Literaturgeschichte. Nummer zwei: Heeren,
Geschichte des Studiums der klassischen Literatur seit dem Wiederaufleben der
Wissenschaften. Drittens: Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums oder
das erste Jahrhundert des Humanismus. Viertens: Burckhardt, Die Kultur der
Renaissance in Italien. Fünftens -—

Herr Polykarp Seyler war mit dem Kapitel über Tibull zu Ende und somit
auch geistig wieder in seinem Laden anwesend.

So, jetzt wäre der Gruppe reif zum Verkauf, sagte er. Es war gut, daß
ich noch einmal hineinsah, denn von den Ausführungen über das Buch Sulvicia
war mir schon manches entfallen.

Wenn Sie es etwa noch länger zu behalten wünschen, Herr Seyler, be¬
merkte Doktor Waetzold, so kann ich ja morgen oder übermorgen noch einmal vor¬
sprechen —

Danke vielmals, Herr Doktor. Was ich wissen wollte, weiß ich jetzt. Und
da ich ja doch entschlossen bin, Ihnen das Buch zu verkaufen, so ist es schon besser,
ich trenne mich gleich davon. Zur Not suche ich mir ein neues Exemplar. Er
wickelte den Band in einen Bogen Makulatur und händigte dem Doktor das
Pnketchen ein. Dieser verabschiedete sich von Onkel und Nichte mit einem kräftigen
Händedruck und nahm sich vor, Seylers Aufforderung: Beehren Sie mich bald
wieder! nicht als eine leere Redensart zu betrachten, sondern so bald und so oft
wie möglich zu beherzigen.

Als seine Schritte draußen ans den Steinfliesen des stillen Hofes verhallten,
seufzte der Antiquar auf.

Ach, daß die Leute immer gerade die Bücher verlangen, die einem ans Herz
gewachsen sind! sagte er. Den Schund habe ich zentnerweise daliegen, aber nach
dem fragt niemand. Was einem am liebsten ist, das muß man aus den Händen
geben.

Lieber Onkel, erwiderte Käthchen, wenn dir die Bücher so lieb und teuer
sind, dann solltest du ihnen auch gönnen, daß sie endlich aus Staub und Finsternis
an die Luft und den Sonnenschein hinauskommen. Es ist traurig genug, daß wir
beide an dieses dumpfe Loch gebunden sind. Ein billigeres Lokal würden wir in
der innern Stadt allerdings schwerlich finden.

Was heißt das, Mädel? Das sieht ja beinahe aus, als ob du dich hier nicht
Wohl fühltest?

So recht wohl nicht, Onkel. Aber es wird schon wieder vorübergehn. Weißt
du, zuweilen, wenn dort oben zwischen den hohen Dächern einmal ein Stückchen
blauen Himmels erscheint, oder wenn der Frühlingswind so frisch und ungestüm
durch den Hof Pfeife, dann ist mirs, als müßt ich hier in unserm engen, dunkeln
Gewölbe ersticken. Da ists denn ein Trost, wenn sich wieder graue Wolken über
das blane Fleckchen schieben, und wenn der Wind weiter zieht, weil er einsieht, daß
er hier weder Knospenhüllen noch Blütenblätter, sondern mir Strohhalme und Papier-
schnitzel als Spielzeug findet.

Wie sonderbar du heute nur redest, Kind! sagte Seyler, indem er die Brille
emporschob und die Nichte mit erstaunten Angen anschaute. Hast du denn nicht
alles, was der Mensch zu seiner Existenz braucht: Nahrung, Kleidung und Bücher?
Und dann solltest du doch wissen, was es mit dem Blau des Himmels auf sich
but! Die Luft wirkt einfach als ein trübes Mittel vor dem dunkeln Hintergrunde des


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[0325] Der Antiquar Nun, wenn Sie nicht mehr verlangen! sagte sie, indem sie sich den Anschein gab, als sei sie durch seine Argumente von der Harmlosigkeit seiner Absichten über¬ zeugt worden, ein halbes Dutzend sollen Sie haben. Also, Lieblingsbuch Nummer eins: Bernhardt». Grundriß der römischen Literaturgeschichte. Nummer zwei: Heeren, Geschichte des Studiums der klassischen Literatur seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften. Drittens: Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums oder das erste Jahrhundert des Humanismus. Viertens: Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Fünftens -— Herr Polykarp Seyler war mit dem Kapitel über Tibull zu Ende und somit auch geistig wieder in seinem Laden anwesend. So, jetzt wäre der Gruppe reif zum Verkauf, sagte er. Es war gut, daß ich noch einmal hineinsah, denn von den Ausführungen über das Buch Sulvicia war mir schon manches entfallen. Wenn Sie es etwa noch länger zu behalten wünschen, Herr Seyler, be¬ merkte Doktor Waetzold, so kann ich ja morgen oder übermorgen noch einmal vor¬ sprechen — Danke vielmals, Herr Doktor. Was ich wissen wollte, weiß ich jetzt. Und da ich ja doch entschlossen bin, Ihnen das Buch zu verkaufen, so ist es schon besser, ich trenne mich gleich davon. Zur Not suche ich mir ein neues Exemplar. Er wickelte den Band in einen Bogen Makulatur und händigte dem Doktor das Pnketchen ein. Dieser verabschiedete sich von Onkel und Nichte mit einem kräftigen Händedruck und nahm sich vor, Seylers Aufforderung: Beehren Sie mich bald wieder! nicht als eine leere Redensart zu betrachten, sondern so bald und so oft wie möglich zu beherzigen. Als seine Schritte draußen ans den Steinfliesen des stillen Hofes verhallten, seufzte der Antiquar auf. Ach, daß die Leute immer gerade die Bücher verlangen, die einem ans Herz gewachsen sind! sagte er. Den Schund habe ich zentnerweise daliegen, aber nach dem fragt niemand. Was einem am liebsten ist, das muß man aus den Händen geben. Lieber Onkel, erwiderte Käthchen, wenn dir die Bücher so lieb und teuer sind, dann solltest du ihnen auch gönnen, daß sie endlich aus Staub und Finsternis an die Luft und den Sonnenschein hinauskommen. Es ist traurig genug, daß wir beide an dieses dumpfe Loch gebunden sind. Ein billigeres Lokal würden wir in der innern Stadt allerdings schwerlich finden. Was heißt das, Mädel? Das sieht ja beinahe aus, als ob du dich hier nicht Wohl fühltest? So recht wohl nicht, Onkel. Aber es wird schon wieder vorübergehn. Weißt du, zuweilen, wenn dort oben zwischen den hohen Dächern einmal ein Stückchen blauen Himmels erscheint, oder wenn der Frühlingswind so frisch und ungestüm durch den Hof Pfeife, dann ist mirs, als müßt ich hier in unserm engen, dunkeln Gewölbe ersticken. Da ists denn ein Trost, wenn sich wieder graue Wolken über das blane Fleckchen schieben, und wenn der Wind weiter zieht, weil er einsieht, daß er hier weder Knospenhüllen noch Blütenblätter, sondern mir Strohhalme und Papier- schnitzel als Spielzeug findet. Wie sonderbar du heute nur redest, Kind! sagte Seyler, indem er die Brille emporschob und die Nichte mit erstaunten Angen anschaute. Hast du denn nicht alles, was der Mensch zu seiner Existenz braucht: Nahrung, Kleidung und Bücher? Und dann solltest du doch wissen, was es mit dem Blau des Himmels auf sich but! Die Luft wirkt einfach als ein trübes Mittel vor dem dunkeln Hintergrunde des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/325>, abgerufen am 12.12.2024.