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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lthik und Kapitalismus

ausgesprochen haben. Carnegie in seiner "Kaufmanns Herrschgewalt", Siemers
und Krupp haben das ehrlich und offen getan.

Ich möchte gerade in dieser Zeitschrift, die zweifellos manchen Gro߬
industriellen zum Leser hat, einen dringenden Ruf an diese Männer richten,
ihren hohen Beruf, ihren großen Erfolg und ihr Bekenntnis für die ethische,
volkserhaltende und beglückende Seite ihres Berufs immer mehr schriftlich zu
fixieren. Das muß kein Buch sein, darf keine unkontrollierbare Monographie
werden, aber ehrliche Bekenntnisse vor aller Welt. Das kann unsre Kapitalisten
nur ehren und manches Vorurteil zerbrechen. Denn ich bin gewiß, es geschieht
noch viel mehr ethische Arbeit an den Arbeitern durch das Kapital, als es die
Antikapitalisten, die Sozialisten Wort haben wollen. Ich möchte noch viel
stärker als Trciub gerade auf diese versöhnende Arbeit den Finger legen. Mancher
ungerechte Vorwurf der Arbeiter wird schwinden, wenn er Einblick in die Sorgen
seines Herrn erhält, aber auch manches schlafende Gewissen des Arbeitgebers
wird zum Wachen kommen. Die Schwierigkeiten mag ein ethischer Wille über¬
winden.

Es fehlt uns hier der Raum, auszuführen, wie sich Traub wissenschaftlich
mit allen den großen Fragen auseinandersetzt: Wesen des Kapitalismus, seine
Ankläger und Verteidiger, Wesen der Ethik, ihre falsche, einseitig beschränkte
Form als Gefühls-, Interessen-, Berufs- und Klassenethik. Der Glanzpunkt
des Buches sind die Partien über die allgemeine Ethik und das Verhältnis
von Moral und Christentum. Vielumstrittne Probleme werden hier scharf an¬
gefaßt. Bei der allgemeinen Bedeutung dieser Kontroversen darf auch hier ein
Wort darüber gesagt sein, zugleich als Probe dafür, wie Traub seinen theoretischen
Teil behandelt.

Traub weist zunächst einige Irrungen ab: 1. daß das Moralische nur ein
Teilbesitz des Gesamtwillens sei. Nein, das Moralische ist dessen Herr. 2. daß
das Moralische schwach mache und nur Schwächlinge erhalte. Nein, die stärksten
Menschen der Weltgeschichte waren ethische Charaktere, weder Schwächlinge noch
Hüter des Schwächlichen, starke Helden, die die müden Kniee wieder aufgerichtet
haben!

Welchen Beitrag hat nun das Christentum zu der allgemeinen Mensch¬
heitsmoral geleistet?

1. Sittlich ist, wer nichts Einzelnes, sondern ein Ganzes will. (Gesinnung,
nicht Erfolg macht den Charakter.)

2. Wer das, was er will, selbst will. (Freie Selbstbestimmung ist die
Atmosphäre des sittlichen Handelns.)

3. Wer sich für das, was er ist, verantwortlich weiß. (Verantwortlichkeit
steigert sittliche Größe und Urteilskraft.)

4. Kraft ist, wer in dem, was er tut, nach Einheit mit sich selber ringt
(oder nach Aufhebung der Widersprüche zwischen sittlichem Urteil und sittlichem
Willen).


Lthik und Kapitalismus

ausgesprochen haben. Carnegie in seiner „Kaufmanns Herrschgewalt", Siemers
und Krupp haben das ehrlich und offen getan.

Ich möchte gerade in dieser Zeitschrift, die zweifellos manchen Gro߬
industriellen zum Leser hat, einen dringenden Ruf an diese Männer richten,
ihren hohen Beruf, ihren großen Erfolg und ihr Bekenntnis für die ethische,
volkserhaltende und beglückende Seite ihres Berufs immer mehr schriftlich zu
fixieren. Das muß kein Buch sein, darf keine unkontrollierbare Monographie
werden, aber ehrliche Bekenntnisse vor aller Welt. Das kann unsre Kapitalisten
nur ehren und manches Vorurteil zerbrechen. Denn ich bin gewiß, es geschieht
noch viel mehr ethische Arbeit an den Arbeitern durch das Kapital, als es die
Antikapitalisten, die Sozialisten Wort haben wollen. Ich möchte noch viel
stärker als Trciub gerade auf diese versöhnende Arbeit den Finger legen. Mancher
ungerechte Vorwurf der Arbeiter wird schwinden, wenn er Einblick in die Sorgen
seines Herrn erhält, aber auch manches schlafende Gewissen des Arbeitgebers
wird zum Wachen kommen. Die Schwierigkeiten mag ein ethischer Wille über¬
winden.

Es fehlt uns hier der Raum, auszuführen, wie sich Traub wissenschaftlich
mit allen den großen Fragen auseinandersetzt: Wesen des Kapitalismus, seine
Ankläger und Verteidiger, Wesen der Ethik, ihre falsche, einseitig beschränkte
Form als Gefühls-, Interessen-, Berufs- und Klassenethik. Der Glanzpunkt
des Buches sind die Partien über die allgemeine Ethik und das Verhältnis
von Moral und Christentum. Vielumstrittne Probleme werden hier scharf an¬
gefaßt. Bei der allgemeinen Bedeutung dieser Kontroversen darf auch hier ein
Wort darüber gesagt sein, zugleich als Probe dafür, wie Traub seinen theoretischen
Teil behandelt.

Traub weist zunächst einige Irrungen ab: 1. daß das Moralische nur ein
Teilbesitz des Gesamtwillens sei. Nein, das Moralische ist dessen Herr. 2. daß
das Moralische schwach mache und nur Schwächlinge erhalte. Nein, die stärksten
Menschen der Weltgeschichte waren ethische Charaktere, weder Schwächlinge noch
Hüter des Schwächlichen, starke Helden, die die müden Kniee wieder aufgerichtet
haben!

Welchen Beitrag hat nun das Christentum zu der allgemeinen Mensch¬
heitsmoral geleistet?

1. Sittlich ist, wer nichts Einzelnes, sondern ein Ganzes will. (Gesinnung,
nicht Erfolg macht den Charakter.)

2. Wer das, was er will, selbst will. (Freie Selbstbestimmung ist die
Atmosphäre des sittlichen Handelns.)

3. Wer sich für das, was er ist, verantwortlich weiß. (Verantwortlichkeit
steigert sittliche Größe und Urteilskraft.)

4. Kraft ist, wer in dem, was er tut, nach Einheit mit sich selber ringt
(oder nach Aufhebung der Widersprüche zwischen sittlichem Urteil und sittlichem
Willen).


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[0302] Lthik und Kapitalismus ausgesprochen haben. Carnegie in seiner „Kaufmanns Herrschgewalt", Siemers und Krupp haben das ehrlich und offen getan. Ich möchte gerade in dieser Zeitschrift, die zweifellos manchen Gro߬ industriellen zum Leser hat, einen dringenden Ruf an diese Männer richten, ihren hohen Beruf, ihren großen Erfolg und ihr Bekenntnis für die ethische, volkserhaltende und beglückende Seite ihres Berufs immer mehr schriftlich zu fixieren. Das muß kein Buch sein, darf keine unkontrollierbare Monographie werden, aber ehrliche Bekenntnisse vor aller Welt. Das kann unsre Kapitalisten nur ehren und manches Vorurteil zerbrechen. Denn ich bin gewiß, es geschieht noch viel mehr ethische Arbeit an den Arbeitern durch das Kapital, als es die Antikapitalisten, die Sozialisten Wort haben wollen. Ich möchte noch viel stärker als Trciub gerade auf diese versöhnende Arbeit den Finger legen. Mancher ungerechte Vorwurf der Arbeiter wird schwinden, wenn er Einblick in die Sorgen seines Herrn erhält, aber auch manches schlafende Gewissen des Arbeitgebers wird zum Wachen kommen. Die Schwierigkeiten mag ein ethischer Wille über¬ winden. Es fehlt uns hier der Raum, auszuführen, wie sich Traub wissenschaftlich mit allen den großen Fragen auseinandersetzt: Wesen des Kapitalismus, seine Ankläger und Verteidiger, Wesen der Ethik, ihre falsche, einseitig beschränkte Form als Gefühls-, Interessen-, Berufs- und Klassenethik. Der Glanzpunkt des Buches sind die Partien über die allgemeine Ethik und das Verhältnis von Moral und Christentum. Vielumstrittne Probleme werden hier scharf an¬ gefaßt. Bei der allgemeinen Bedeutung dieser Kontroversen darf auch hier ein Wort darüber gesagt sein, zugleich als Probe dafür, wie Traub seinen theoretischen Teil behandelt. Traub weist zunächst einige Irrungen ab: 1. daß das Moralische nur ein Teilbesitz des Gesamtwillens sei. Nein, das Moralische ist dessen Herr. 2. daß das Moralische schwach mache und nur Schwächlinge erhalte. Nein, die stärksten Menschen der Weltgeschichte waren ethische Charaktere, weder Schwächlinge noch Hüter des Schwächlichen, starke Helden, die die müden Kniee wieder aufgerichtet haben! Welchen Beitrag hat nun das Christentum zu der allgemeinen Mensch¬ heitsmoral geleistet? 1. Sittlich ist, wer nichts Einzelnes, sondern ein Ganzes will. (Gesinnung, nicht Erfolg macht den Charakter.) 2. Wer das, was er will, selbst will. (Freie Selbstbestimmung ist die Atmosphäre des sittlichen Handelns.) 3. Wer sich für das, was er ist, verantwortlich weiß. (Verantwortlichkeit steigert sittliche Größe und Urteilskraft.) 4. Kraft ist, wer in dem, was er tut, nach Einheit mit sich selber ringt (oder nach Aufhebung der Widersprüche zwischen sittlichem Urteil und sittlichem Willen).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/302>, abgerufen am 01.09.2024.