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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lebl? und Kapitalismus

Ethik ist treibende Macht, nicht rückständige Gewalt. Sie veranlaßt geradezu
den Fortschritt im materiellen und geistigen Leben. Das Böse bringt sein
Programm zu Ende; das kommt ans Ziel. Das Gute ist ein grenzenloser
Prozeß und ist nie mit dem Erreichten zufrieden. So wirft die Ethik in das
Wirtschaftsleben der Völker den unstillbaren Drang nach Reform. Ein sittlicher
Mensch ist nie fertig; ein wirtschaftendes Volk erfährt von der Ethik her den
immer erneuten Anstoß zur Weiterarbeit. Zugleich beginnt die Ethik die Auslese
unter den wirtschaftlich Tüchtigsten. Es ist immer noch an dem, daß Ehrlichkeit,
Wahrhaftigkeit, Geschicklichkeit, Treue, Mut die einzigen Pfeiler des wirtschaft¬
lichen Gebäudes sind, auf die man sich verlassen darf."

Die zweite Gedankenreihe gebe ich am Schluß der Besprechung. Diese
Gedankenreihe gipfelt in der Erkenntnis, daß die alten ethischen Kräfte: Mut,
Liebe, Opfersinn auch ferner die Leiter jeder volkswirtschaftlichen Entwicklung
bleiben werden.

Wir werden uns bei diesen Resultaten nicht getrost auf den behäbigen
Altenteil zurückziehn und sagen, wie so oft geschieht: Also nur Mut! Es geht
auch in der Gegenwart alles hübsch nach den alten Gesetzen, nach "den Kräften
ewiger Wahrheit"! Nein, bis wir zu diesem beruhigenden Ende kommen, das
uns nur stark machen soll, in dem Riesenkampfe moderner Material- und Geistes¬
werte ruhig zu bleiben und auf keine neuen Offenbarungen, seis vom Himmel,
seis von der Erde, müßig zu warten. Nein, wir sollen mit den gegebnen Mitteln
der Ethik eben den Riesen Kapitalismus bezwingen, und das Ziel der Ethik ist
im Kampfe nicht Tötung, sondern Beherrschung -- Dienstbarmachung für die
letzten Ziele der Menschheit, das heißt für ein Maß von materiellem Glücks¬
dasein, das den Menschen tüchtig und lustig macht, seine geistigen Anlagen zu
fördern und zu genießen.

Beide Begriffe: Kapitalismus und Ethik sind spröde bei ihrer nähern Be¬
stimmung. Traub begrenzt den Kapitalismus den Gewerben und der Land¬
wirtschaft gegenüber. Er bezeichnet sie als dessen Feinde. Nach meiner Über¬
zeugung ist das aber das Zeichen des Übergangskampfes. Für das deutsche
Volk muß eine Zeit kommen, wo Kapitalismus -- Traub könnte auch sagen:
Industrie --, Gewerbe und Landwirtschaft wieder Bruder werden. Es scheint
sich jetzt schon ein Verständnis dafür anzubahnen. In diesem Punkt ist Traub,
wie Naumann, wohl zu sehr von dem einen Gedanken: Kapitalismus -- In¬
dustrie gefangen genommen. Es mag die berechtigte Einseitigkeit sein, ohne
die man nie zum Ziele kommt. Den Begriff des Kapitalismus scharf zu be¬
stimmen hindert uns Deutsche auch unser eben nicht ohne Bangen und Sorge
sich vollziehender Übergang von der Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft. Wenn
Traub befürchtet, daß es durch die Unberechenbarkeit des technischen Fort¬
schritts dem Sozialethiker immer schwieriger werde, bestimmte Richtungslinien zu
ziehn, so darf man wohl diesen Fortschritt in der Möglichkeit, die ethischen
Forderungen anders zu gestalten, nicht überschützen. Schwer sind hier Fragen:


Lebl? und Kapitalismus

Ethik ist treibende Macht, nicht rückständige Gewalt. Sie veranlaßt geradezu
den Fortschritt im materiellen und geistigen Leben. Das Böse bringt sein
Programm zu Ende; das kommt ans Ziel. Das Gute ist ein grenzenloser
Prozeß und ist nie mit dem Erreichten zufrieden. So wirft die Ethik in das
Wirtschaftsleben der Völker den unstillbaren Drang nach Reform. Ein sittlicher
Mensch ist nie fertig; ein wirtschaftendes Volk erfährt von der Ethik her den
immer erneuten Anstoß zur Weiterarbeit. Zugleich beginnt die Ethik die Auslese
unter den wirtschaftlich Tüchtigsten. Es ist immer noch an dem, daß Ehrlichkeit,
Wahrhaftigkeit, Geschicklichkeit, Treue, Mut die einzigen Pfeiler des wirtschaft¬
lichen Gebäudes sind, auf die man sich verlassen darf."

Die zweite Gedankenreihe gebe ich am Schluß der Besprechung. Diese
Gedankenreihe gipfelt in der Erkenntnis, daß die alten ethischen Kräfte: Mut,
Liebe, Opfersinn auch ferner die Leiter jeder volkswirtschaftlichen Entwicklung
bleiben werden.

Wir werden uns bei diesen Resultaten nicht getrost auf den behäbigen
Altenteil zurückziehn und sagen, wie so oft geschieht: Also nur Mut! Es geht
auch in der Gegenwart alles hübsch nach den alten Gesetzen, nach „den Kräften
ewiger Wahrheit"! Nein, bis wir zu diesem beruhigenden Ende kommen, das
uns nur stark machen soll, in dem Riesenkampfe moderner Material- und Geistes¬
werte ruhig zu bleiben und auf keine neuen Offenbarungen, seis vom Himmel,
seis von der Erde, müßig zu warten. Nein, wir sollen mit den gegebnen Mitteln
der Ethik eben den Riesen Kapitalismus bezwingen, und das Ziel der Ethik ist
im Kampfe nicht Tötung, sondern Beherrschung — Dienstbarmachung für die
letzten Ziele der Menschheit, das heißt für ein Maß von materiellem Glücks¬
dasein, das den Menschen tüchtig und lustig macht, seine geistigen Anlagen zu
fördern und zu genießen.

Beide Begriffe: Kapitalismus und Ethik sind spröde bei ihrer nähern Be¬
stimmung. Traub begrenzt den Kapitalismus den Gewerben und der Land¬
wirtschaft gegenüber. Er bezeichnet sie als dessen Feinde. Nach meiner Über¬
zeugung ist das aber das Zeichen des Übergangskampfes. Für das deutsche
Volk muß eine Zeit kommen, wo Kapitalismus — Traub könnte auch sagen:
Industrie —, Gewerbe und Landwirtschaft wieder Bruder werden. Es scheint
sich jetzt schon ein Verständnis dafür anzubahnen. In diesem Punkt ist Traub,
wie Naumann, wohl zu sehr von dem einen Gedanken: Kapitalismus — In¬
dustrie gefangen genommen. Es mag die berechtigte Einseitigkeit sein, ohne
die man nie zum Ziele kommt. Den Begriff des Kapitalismus scharf zu be¬
stimmen hindert uns Deutsche auch unser eben nicht ohne Bangen und Sorge
sich vollziehender Übergang von der Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft. Wenn
Traub befürchtet, daß es durch die Unberechenbarkeit des technischen Fort¬
schritts dem Sozialethiker immer schwieriger werde, bestimmte Richtungslinien zu
ziehn, so darf man wohl diesen Fortschritt in der Möglichkeit, die ethischen
Forderungen anders zu gestalten, nicht überschützen. Schwer sind hier Fragen:


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[0300] Lebl? und Kapitalismus Ethik ist treibende Macht, nicht rückständige Gewalt. Sie veranlaßt geradezu den Fortschritt im materiellen und geistigen Leben. Das Böse bringt sein Programm zu Ende; das kommt ans Ziel. Das Gute ist ein grenzenloser Prozeß und ist nie mit dem Erreichten zufrieden. So wirft die Ethik in das Wirtschaftsleben der Völker den unstillbaren Drang nach Reform. Ein sittlicher Mensch ist nie fertig; ein wirtschaftendes Volk erfährt von der Ethik her den immer erneuten Anstoß zur Weiterarbeit. Zugleich beginnt die Ethik die Auslese unter den wirtschaftlich Tüchtigsten. Es ist immer noch an dem, daß Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Geschicklichkeit, Treue, Mut die einzigen Pfeiler des wirtschaft¬ lichen Gebäudes sind, auf die man sich verlassen darf." Die zweite Gedankenreihe gebe ich am Schluß der Besprechung. Diese Gedankenreihe gipfelt in der Erkenntnis, daß die alten ethischen Kräfte: Mut, Liebe, Opfersinn auch ferner die Leiter jeder volkswirtschaftlichen Entwicklung bleiben werden. Wir werden uns bei diesen Resultaten nicht getrost auf den behäbigen Altenteil zurückziehn und sagen, wie so oft geschieht: Also nur Mut! Es geht auch in der Gegenwart alles hübsch nach den alten Gesetzen, nach „den Kräften ewiger Wahrheit"! Nein, bis wir zu diesem beruhigenden Ende kommen, das uns nur stark machen soll, in dem Riesenkampfe moderner Material- und Geistes¬ werte ruhig zu bleiben und auf keine neuen Offenbarungen, seis vom Himmel, seis von der Erde, müßig zu warten. Nein, wir sollen mit den gegebnen Mitteln der Ethik eben den Riesen Kapitalismus bezwingen, und das Ziel der Ethik ist im Kampfe nicht Tötung, sondern Beherrschung — Dienstbarmachung für die letzten Ziele der Menschheit, das heißt für ein Maß von materiellem Glücks¬ dasein, das den Menschen tüchtig und lustig macht, seine geistigen Anlagen zu fördern und zu genießen. Beide Begriffe: Kapitalismus und Ethik sind spröde bei ihrer nähern Be¬ stimmung. Traub begrenzt den Kapitalismus den Gewerben und der Land¬ wirtschaft gegenüber. Er bezeichnet sie als dessen Feinde. Nach meiner Über¬ zeugung ist das aber das Zeichen des Übergangskampfes. Für das deutsche Volk muß eine Zeit kommen, wo Kapitalismus — Traub könnte auch sagen: Industrie —, Gewerbe und Landwirtschaft wieder Bruder werden. Es scheint sich jetzt schon ein Verständnis dafür anzubahnen. In diesem Punkt ist Traub, wie Naumann, wohl zu sehr von dem einen Gedanken: Kapitalismus — In¬ dustrie gefangen genommen. Es mag die berechtigte Einseitigkeit sein, ohne die man nie zum Ziele kommt. Den Begriff des Kapitalismus scharf zu be¬ stimmen hindert uns Deutsche auch unser eben nicht ohne Bangen und Sorge sich vollziehender Übergang von der Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft. Wenn Traub befürchtet, daß es durch die Unberechenbarkeit des technischen Fort¬ schritts dem Sozialethiker immer schwieriger werde, bestimmte Richtungslinien zu ziehn, so darf man wohl diesen Fortschritt in der Möglichkeit, die ethischen Forderungen anders zu gestalten, nicht überschützen. Schwer sind hier Fragen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/300>, abgerufen am 01.09.2024.