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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Die Privilegien der Reichs- und Landtagsmitglieder

beschränkt sich gewöhnlich (z. B. im Reichstag) auf den Ordnungsruf und die
"Eventualität" der Wortentziehung. Diese erfolgt gemäß § 46 der Geschäfts¬
ordnung für den Reichstag bei dem dritten Ordnungsruf durch Beschluß des
versammelten Hauses. Der sehr seltne Fall des dreimaligen Ordnungsrufs
und die dadurch praktisch gegebne Möglichkeit der Wortentziehung gehören ja
der neusten Geschichte des Reichsparlaments an. Die letzte Folge der Be¬
leidigungen des Abgeordneten Ledebour war aber, daß der Abgeordnete Kämpf,
der den Antrag auf Wortentziehung gestellt hatte, sein Amt als zweiter Vize¬
präsident des Reichstags niederlegte, weil das Haus gegen Ledebour nicht auf
Wortentziehung erkannt hat.

Das Privileg der UnVerantwortlichkeit gilt gegenwärtig für alle Abge¬
ordneten. Somit also nicht für die Mitglieder des Bundesrath, der
Ministerien, der hanseatischen Senate, wohl aber für die Mitglieder des
Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (v. Liszt, Lehrbuch des Strafrechts,
S. 113, bestritten von G. Meyer, Staatsrecht, S. 441). Unter jener UnVer¬
antwortlichkeit ist nicht nur die strafrechtliche, sondern auch die auf Schadens¬
ersatzansprüche bezügliche zu verstehn. Daß jedoch das Privileg der Straf¬
freiheit eine besonders große und nicht ungefährliche Tragweite hat, ist nicht
zu verkennen, denn jede von dem Abgeordneten bei der Ausübung seines Berufs
durch Wort oder Handlung getane Äußerung ist der kriminellen Verfolgung
entzogen. So sind die Abgeordneten gesetzlich durch die Immunität gedeckt für
alle Beleidigungen, sogar die schwersten Verleumdungen. Aber die Äußerungen
der Parlamentsmitglieder können deliktischen Charakter noch andrer Art tragen.
Man denke beispielsweise an § 92,3 des Strafgesetzbuchs: "Wer vorsätzlich ein ihm
von feiten des Deutschen Reichs oder von einem Bundesstaat aufgetragenes
Staatsgeschäft mit einer anderen Negierung zum Nachteil dessen führt, der ihm
den Auftrag erteilt hat, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft."
Dieses sogenannten diplomatischen Landesverrats kann sich ein Abgeordneter
der Regierung seines Vuudesstaats gegenüber sehr wohl schuldig machen,
wenn diese sein Auftraggeber war. Ebenso ist es denkbar, daß in den Äuße¬
rungen ein Geheimnisverrat enthalten ist oder, und das ist die gefährlichste
Möglichkeit, eine "Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechts-
giltige Verordnungen usw.", ganz abgesehen von dem Fall, daß sich der Ab¬
geordnete zu einer Aufforderung zum Hochverrat (Augriff auf den Bestand des
Staats, insbesondre dessen Oberhaupt) hinreißen laßt.

Und alle diese Fälle werden von dem parlamentarischen Privileg der Straf¬
freiheit getroffen! Wehrlose Objekte der unerhörtesten Angriffe wird es ja
solange geben, wie ungebildete Menschen für den guten Ton einer gesetzgebenden
Versammlung kein Verständnis haben, und solange der Mut dieser Menschen
sich nur in dem mutwilligen Mißbrauch der UnVerantwortlichkeit äußert. Daß
das Privileg der Immunität, die Zeugnispflicht der Abgeordneten für solche
Äußerungen unberührt läßt, ist unbestritten.


Die Privilegien der Reichs- und Landtagsmitglieder

beschränkt sich gewöhnlich (z. B. im Reichstag) auf den Ordnungsruf und die
„Eventualität" der Wortentziehung. Diese erfolgt gemäß § 46 der Geschäfts¬
ordnung für den Reichstag bei dem dritten Ordnungsruf durch Beschluß des
versammelten Hauses. Der sehr seltne Fall des dreimaligen Ordnungsrufs
und die dadurch praktisch gegebne Möglichkeit der Wortentziehung gehören ja
der neusten Geschichte des Reichsparlaments an. Die letzte Folge der Be¬
leidigungen des Abgeordneten Ledebour war aber, daß der Abgeordnete Kämpf,
der den Antrag auf Wortentziehung gestellt hatte, sein Amt als zweiter Vize¬
präsident des Reichstags niederlegte, weil das Haus gegen Ledebour nicht auf
Wortentziehung erkannt hat.

Das Privileg der UnVerantwortlichkeit gilt gegenwärtig für alle Abge¬
ordneten. Somit also nicht für die Mitglieder des Bundesrath, der
Ministerien, der hanseatischen Senate, wohl aber für die Mitglieder des
Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (v. Liszt, Lehrbuch des Strafrechts,
S. 113, bestritten von G. Meyer, Staatsrecht, S. 441). Unter jener UnVer¬
antwortlichkeit ist nicht nur die strafrechtliche, sondern auch die auf Schadens¬
ersatzansprüche bezügliche zu verstehn. Daß jedoch das Privileg der Straf¬
freiheit eine besonders große und nicht ungefährliche Tragweite hat, ist nicht
zu verkennen, denn jede von dem Abgeordneten bei der Ausübung seines Berufs
durch Wort oder Handlung getane Äußerung ist der kriminellen Verfolgung
entzogen. So sind die Abgeordneten gesetzlich durch die Immunität gedeckt für
alle Beleidigungen, sogar die schwersten Verleumdungen. Aber die Äußerungen
der Parlamentsmitglieder können deliktischen Charakter noch andrer Art tragen.
Man denke beispielsweise an § 92,3 des Strafgesetzbuchs: „Wer vorsätzlich ein ihm
von feiten des Deutschen Reichs oder von einem Bundesstaat aufgetragenes
Staatsgeschäft mit einer anderen Negierung zum Nachteil dessen führt, der ihm
den Auftrag erteilt hat, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft."
Dieses sogenannten diplomatischen Landesverrats kann sich ein Abgeordneter
der Regierung seines Vuudesstaats gegenüber sehr wohl schuldig machen,
wenn diese sein Auftraggeber war. Ebenso ist es denkbar, daß in den Äuße¬
rungen ein Geheimnisverrat enthalten ist oder, und das ist die gefährlichste
Möglichkeit, eine „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechts-
giltige Verordnungen usw.", ganz abgesehen von dem Fall, daß sich der Ab¬
geordnete zu einer Aufforderung zum Hochverrat (Augriff auf den Bestand des
Staats, insbesondre dessen Oberhaupt) hinreißen laßt.

Und alle diese Fälle werden von dem parlamentarischen Privileg der Straf¬
freiheit getroffen! Wehrlose Objekte der unerhörtesten Angriffe wird es ja
solange geben, wie ungebildete Menschen für den guten Ton einer gesetzgebenden
Versammlung kein Verständnis haben, und solange der Mut dieser Menschen
sich nur in dem mutwilligen Mißbrauch der UnVerantwortlichkeit äußert. Daß
das Privileg der Immunität, die Zeugnispflicht der Abgeordneten für solche
Äußerungen unberührt läßt, ist unbestritten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/28>, abgerufen am 05.12.2024.