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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Und NUN unsre herrliche Kolonialverwaltung! Dilettanten oben und unten,
daheim und draußen. Vor allem natürlich wieder unzählige Juristen aller Art --
günstigstenfalls solche, die im diplomatischen oder im Konsulatsdienst wenigstens
einmal draußen gewesen waren. Meist hatten die Herren aber nur am grünen
Tisch der Justiz einige Jahre Beschlüsse und Urteile abgesetzt oder Anklage¬
schriften verfaßt, bevor sie berufen wurden, daheim Kolonien zu "verwalten"
oder hinausgeschickt wurden, um die Verwaltung einer Kolonie einzurichten, ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse zu untersuchen und Vorschläge zu ihrer Hebung zu
machen. Ob sie das alles gelernt hätten, wurde nicht gefragt. So war im vorigen
Sommer beim Gouvernement in Südwestafrika ein Amtsrichter Referent für
Landwirtschaft, man denke sich, gerade für Landwirtschaft! Klingt das nicht
wie ein schlechter Scherz? Neben dem Gerichtsassessor gab es dann eine bunte
Fülle andrer Dilettanten aller Art: Offiziere, Staatsarchivare, Professoren und
Privatdozenten der Theologie und der Volkswirtschaftslehre und dergleichen mehr.
Einer dieser gelehrten Herren hat sogar, obwohl er niemals praktisch verwaltet
oder organisiert hatte, eine dicke Schrift über die Reform der Kolonialverwaltung
drucken lassen. Warum auch nicht? Ist es doch eine längst überwundne, gänzlich
rückständige Ansicht, daß ein Verwaltungsmann Fachkenntnisse brauche.

Und damit komme ich zu der schlimmsten Folge der geschilderten Entwick¬
lung. Sie besteht darin, daß zurzeit nicht nur bei dem großen Publikum, sondern
auch in sehr maßgebenden Negierungskreisen eine vollständige Verwirrung herrscht
in den Begriffen und den Anschauungen von dem höhern Verwaltungsdienst,
seinem Wesen, seiner Bedeutung und den Anforderungen, die man deshalb an
die im Verwaltungsdienst endigen Leute zu stellen habe.

Daß im Justizdienst, im Militärdienst, in der Industrie oder im Handel,
im Handwerk oder in einem andern abgeschlossenen Beruf nur der geschulte
Fachmann etwas leistet, hat noch niemand bezweifelt. Als die von Landwirten
gegründeten Getreideverkaufsgenossenschaften in Pommern und Sachsen, die von
einem Landwirt geleitete Milchzentrale in Berlin, die von dem Oberpräsidenten
von Goßler in Danzig angeregten Unternehmungen zur Hebung der Industrie des
Ostens in Schwierigkeiten kamen, da konnte man überall lesen und hören, daß dies
nur auf den kaufmännischen Dilettantismus der leitenden Persönlichkeiten zurück¬
zuführen sei. Zu dem Danziger Krach schrieb zum Beispiel eine große nord¬
deutsche Zeitung, daß der Dilettantismus nirgends mehr vom Übel sei als auf
dem Gebiet kaufmännisch-gewerblichen Schaffens. Immer mehr und immer dring¬
licher weisen andrerseits berufne Männer darauf hin, daß in der Landwirtschaft
nur der etwas vor sich bringe, der ein praktisch und theoretisch gründlich durch¬
gebildeter Fachmann sei.

Nur für den Verwaltungsdienst soll dies alles nicht gelten. Für diesen
hält man sogar in Kreisen, die es besser wissen müßten, den ersten besten für
hervorragend befähigt zur Bekleidung der schwierigsten Verwaltungsstellungen.
Da besetzt man neuerdings unter den Augen der höhern Stellen in einem Fach¬
ministerium mit beneidenswerten Mut reine Verwaltungsreferate mit Technikern.


Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Und NUN unsre herrliche Kolonialverwaltung! Dilettanten oben und unten,
daheim und draußen. Vor allem natürlich wieder unzählige Juristen aller Art —
günstigstenfalls solche, die im diplomatischen oder im Konsulatsdienst wenigstens
einmal draußen gewesen waren. Meist hatten die Herren aber nur am grünen
Tisch der Justiz einige Jahre Beschlüsse und Urteile abgesetzt oder Anklage¬
schriften verfaßt, bevor sie berufen wurden, daheim Kolonien zu „verwalten"
oder hinausgeschickt wurden, um die Verwaltung einer Kolonie einzurichten, ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse zu untersuchen und Vorschläge zu ihrer Hebung zu
machen. Ob sie das alles gelernt hätten, wurde nicht gefragt. So war im vorigen
Sommer beim Gouvernement in Südwestafrika ein Amtsrichter Referent für
Landwirtschaft, man denke sich, gerade für Landwirtschaft! Klingt das nicht
wie ein schlechter Scherz? Neben dem Gerichtsassessor gab es dann eine bunte
Fülle andrer Dilettanten aller Art: Offiziere, Staatsarchivare, Professoren und
Privatdozenten der Theologie und der Volkswirtschaftslehre und dergleichen mehr.
Einer dieser gelehrten Herren hat sogar, obwohl er niemals praktisch verwaltet
oder organisiert hatte, eine dicke Schrift über die Reform der Kolonialverwaltung
drucken lassen. Warum auch nicht? Ist es doch eine längst überwundne, gänzlich
rückständige Ansicht, daß ein Verwaltungsmann Fachkenntnisse brauche.

Und damit komme ich zu der schlimmsten Folge der geschilderten Entwick¬
lung. Sie besteht darin, daß zurzeit nicht nur bei dem großen Publikum, sondern
auch in sehr maßgebenden Negierungskreisen eine vollständige Verwirrung herrscht
in den Begriffen und den Anschauungen von dem höhern Verwaltungsdienst,
seinem Wesen, seiner Bedeutung und den Anforderungen, die man deshalb an
die im Verwaltungsdienst endigen Leute zu stellen habe.

Daß im Justizdienst, im Militärdienst, in der Industrie oder im Handel,
im Handwerk oder in einem andern abgeschlossenen Beruf nur der geschulte
Fachmann etwas leistet, hat noch niemand bezweifelt. Als die von Landwirten
gegründeten Getreideverkaufsgenossenschaften in Pommern und Sachsen, die von
einem Landwirt geleitete Milchzentrale in Berlin, die von dem Oberpräsidenten
von Goßler in Danzig angeregten Unternehmungen zur Hebung der Industrie des
Ostens in Schwierigkeiten kamen, da konnte man überall lesen und hören, daß dies
nur auf den kaufmännischen Dilettantismus der leitenden Persönlichkeiten zurück¬
zuführen sei. Zu dem Danziger Krach schrieb zum Beispiel eine große nord¬
deutsche Zeitung, daß der Dilettantismus nirgends mehr vom Übel sei als auf
dem Gebiet kaufmännisch-gewerblichen Schaffens. Immer mehr und immer dring¬
licher weisen andrerseits berufne Männer darauf hin, daß in der Landwirtschaft
nur der etwas vor sich bringe, der ein praktisch und theoretisch gründlich durch¬
gebildeter Fachmann sei.

Nur für den Verwaltungsdienst soll dies alles nicht gelten. Für diesen
hält man sogar in Kreisen, die es besser wissen müßten, den ersten besten für
hervorragend befähigt zur Bekleidung der schwierigsten Verwaltungsstellungen.
Da besetzt man neuerdings unter den Augen der höhern Stellen in einem Fach¬
ministerium mit beneidenswerten Mut reine Verwaltungsreferate mit Technikern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/238>, abgerufen am 02.09.2024.