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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

so wenig kann uns auch die kühle, neutrale Haltung der neuen Schule auf diesem
Punkte genügen. Damit packt man die Seelen der Menschen nicht. Warum in
aller Welt so ängstlich, fast hätte ich gesagt feige davor zurückschrecken, eine Wahr¬
heit auszusprechen, die für jeden sittlich lebendigen und sich selbst beurteilenden
Menschen ebenso eine Wahrheit ist wie dem logisch Denkenden irgendein logischer
Schluß? Freilich ist es prinzipiell falsch, die Frage nach der Willensfreiheit als
einen Satz der empirischen Wissenschaft zu behandeln. Das ist sie nicht, sondern
sie ist eine sittliche Frage; in ihrer Bejahung gibt der Mensch ein sittliches Urteil
ab, das genau so eine Wahrheit ist wie die Behauptung des Kausalitätsgesetzes."
Leser, die sich mit dem Problem beschäftigen, werden gut tun, neben dem gründ¬
lichen Buche Petersens das kleine Schriftchen von Drews zu Rate zu ziehn und von
den ältern -- nicht den ganz unverständlichen Kant -- wohl aber Lotze zu be¬
fragen. Seite 78 Zeile 21 von unten ist ein Druck- oder Flüchtigkeitsfehler stehn
geblieben; es soll offenbar heißen: die Zurechnungsfähigkeit, nicht die Unzurechnungs¬
fähigkeit, ausschließende.


Karl Rosenkranz.

In der empfehlenswerten "Sammlung von Lebens¬
bildern zur Geschichte der wissenschaftlichen Forschung und Praxis", "Männer der
Wissenschaft" betitelt, die Dr. Julius Ziehen herausgibt, erschien vor kurzem das
zehnte Heft.*) Der Gymnasialdirektor Professor Dr. R. Jonas, ein früherer Schüler
von K. Rosenkranz, stellt sich darin die dankbare Aufgabe, den Werdegang und die
geistige Entwicklung dieses Mannes, sein reiches Wirken als Universitätslehrer und
Schriftsteller zu schildern. In anziehender Weise bringt er weitem Kreisen die
hohe Bedeutung des vielseitigen Gelehrten zum Bewußtsein. Im ersten und im
zweiten Kapitel, die die erste Jugend, Schul- und Universitätszeit, akademische Lehr¬
tätigkeit und weitere Studien in Halle behandeln, benutzt er geschickt die Auto¬
biographie von Rosenkranz "Von Magdeburg bis Königsberg", im dritten Kapitel
"Akademische Lehrtätigkeit in Königsberg, Rosenkranz als Hegelianer. Schrift¬
stellerische Betätigung" hält er sich an Baumanns Geschichte der Philosophie und
an R. Quäbickers Studie über Rosenkranz. Dieses dritte Kapitel ist nicht recht
gelungen. Es fehlt jedes Eingehen auf den Literarhistoriker Rosenkranz, wir er¬
fahren nichts über den Publizisten und Journalisten, über den Politiker und Ver¬
waltungsbeamten. Für eine lebensvolle Schilderung des herrlichen Menschen hätte
das Buch "Aus einem Tagebuch. Königsberg, Herbst 1833 bis Frühjahr 1846,
von K. Rosenkranz" reiches Material geboten. Jonas gibt nur im Anhang auf
vier Seiten einige Proben daraus, die von der wirklichen Bedeutung des Tagebuchs
kaum eine Vorstellung geben.

Von den Königsberger Freunden sind nur K. Lehrs und L. Friedländer ge¬
nannt. Von dem vertrautesten Freunde, den Rosenkranz vor allen andern verehrte



*) Männer der Wissenschaft. Eine Sammlung von Lebensbeschreibungen zur Geschichte
der wissenschaftlichen Forschung und Praxis. Herausgegeben von Dr. Julius Ziehen, Frank¬
furt a, M. Heft 10. Karl Rosenkranz. Von Professor Dr. Richard Jonas, Direktor des König¬
lichen Gymnasiums in Kostin. Leipzig, Wilhelm Welcher, 1906. SO Seiten mit einem Porträt.
Preis 1 Mark. -- Wir möchten bei dieser Gelegenheit auch auf die andern bisher erschienenen
Hefte dieser wertvollen Sammlung hinweisen, deren Besprechung wir uns vorbehalten: Heft 1.
I. F. Herbart. Von O. Flügel. Heft 2. N. W. Bunsen. Von Geheimrat Dr. W. Ostwald. Heft 3.
F. W. Dörpfeld. Von E. Oppermann, Schulinspektor. Heft 4. Ferdinand Freiherr von Richthofen.
Gedächtnisrede. Von Professor ol'. E. von Drvgalski. Heft S. Werner von Siemers. Von
Professor or. Wilhelm Jaeger. Heft 6. Karl Friedrich Gauß. Von Professor F. Malb6.
Heft 7. Albrecht von Graefe. Von Geh. Med.-Rat Professor ol'. I. Hirschberg. Heft 8. Rudolf
Virchow. Von Professor Dr. I. Pagel. Heft 9. F. K. von Savigny. Von Neichsgerichtsrat
K. E. M. Müller. Heft 11. Richard Rothe. Von Oberkonsistorialrat v. Ehlers.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

so wenig kann uns auch die kühle, neutrale Haltung der neuen Schule auf diesem
Punkte genügen. Damit packt man die Seelen der Menschen nicht. Warum in
aller Welt so ängstlich, fast hätte ich gesagt feige davor zurückschrecken, eine Wahr¬
heit auszusprechen, die für jeden sittlich lebendigen und sich selbst beurteilenden
Menschen ebenso eine Wahrheit ist wie dem logisch Denkenden irgendein logischer
Schluß? Freilich ist es prinzipiell falsch, die Frage nach der Willensfreiheit als
einen Satz der empirischen Wissenschaft zu behandeln. Das ist sie nicht, sondern
sie ist eine sittliche Frage; in ihrer Bejahung gibt der Mensch ein sittliches Urteil
ab, das genau so eine Wahrheit ist wie die Behauptung des Kausalitätsgesetzes."
Leser, die sich mit dem Problem beschäftigen, werden gut tun, neben dem gründ¬
lichen Buche Petersens das kleine Schriftchen von Drews zu Rate zu ziehn und von
den ältern — nicht den ganz unverständlichen Kant — wohl aber Lotze zu be¬
fragen. Seite 78 Zeile 21 von unten ist ein Druck- oder Flüchtigkeitsfehler stehn
geblieben; es soll offenbar heißen: die Zurechnungsfähigkeit, nicht die Unzurechnungs¬
fähigkeit, ausschließende.


Karl Rosenkranz.

In der empfehlenswerten „Sammlung von Lebens¬
bildern zur Geschichte der wissenschaftlichen Forschung und Praxis", „Männer der
Wissenschaft" betitelt, die Dr. Julius Ziehen herausgibt, erschien vor kurzem das
zehnte Heft.*) Der Gymnasialdirektor Professor Dr. R. Jonas, ein früherer Schüler
von K. Rosenkranz, stellt sich darin die dankbare Aufgabe, den Werdegang und die
geistige Entwicklung dieses Mannes, sein reiches Wirken als Universitätslehrer und
Schriftsteller zu schildern. In anziehender Weise bringt er weitem Kreisen die
hohe Bedeutung des vielseitigen Gelehrten zum Bewußtsein. Im ersten und im
zweiten Kapitel, die die erste Jugend, Schul- und Universitätszeit, akademische Lehr¬
tätigkeit und weitere Studien in Halle behandeln, benutzt er geschickt die Auto¬
biographie von Rosenkranz „Von Magdeburg bis Königsberg", im dritten Kapitel
„Akademische Lehrtätigkeit in Königsberg, Rosenkranz als Hegelianer. Schrift¬
stellerische Betätigung" hält er sich an Baumanns Geschichte der Philosophie und
an R. Quäbickers Studie über Rosenkranz. Dieses dritte Kapitel ist nicht recht
gelungen. Es fehlt jedes Eingehen auf den Literarhistoriker Rosenkranz, wir er¬
fahren nichts über den Publizisten und Journalisten, über den Politiker und Ver¬
waltungsbeamten. Für eine lebensvolle Schilderung des herrlichen Menschen hätte
das Buch „Aus einem Tagebuch. Königsberg, Herbst 1833 bis Frühjahr 1846,
von K. Rosenkranz" reiches Material geboten. Jonas gibt nur im Anhang auf
vier Seiten einige Proben daraus, die von der wirklichen Bedeutung des Tagebuchs
kaum eine Vorstellung geben.

Von den Königsberger Freunden sind nur K. Lehrs und L. Friedländer ge¬
nannt. Von dem vertrautesten Freunde, den Rosenkranz vor allen andern verehrte



*) Männer der Wissenschaft. Eine Sammlung von Lebensbeschreibungen zur Geschichte
der wissenschaftlichen Forschung und Praxis. Herausgegeben von Dr. Julius Ziehen, Frank¬
furt a, M. Heft 10. Karl Rosenkranz. Von Professor Dr. Richard Jonas, Direktor des König¬
lichen Gymnasiums in Kostin. Leipzig, Wilhelm Welcher, 1906. SO Seiten mit einem Porträt.
Preis 1 Mark. — Wir möchten bei dieser Gelegenheit auch auf die andern bisher erschienenen
Hefte dieser wertvollen Sammlung hinweisen, deren Besprechung wir uns vorbehalten: Heft 1.
I. F. Herbart. Von O. Flügel. Heft 2. N. W. Bunsen. Von Geheimrat Dr. W. Ostwald. Heft 3.
F. W. Dörpfeld. Von E. Oppermann, Schulinspektor. Heft 4. Ferdinand Freiherr von Richthofen.
Gedächtnisrede. Von Professor ol'. E. von Drvgalski. Heft S. Werner von Siemers. Von
Professor or. Wilhelm Jaeger. Heft 6. Karl Friedrich Gauß. Von Professor F. Malb6.
Heft 7. Albrecht von Graefe. Von Geh. Med.-Rat Professor ol'. I. Hirschberg. Heft 8. Rudolf
Virchow. Von Professor Dr. I. Pagel. Heft 9. F. K. von Savigny. Von Neichsgerichtsrat
K. E. M. Müller. Heft 11. Richard Rothe. Von Oberkonsistorialrat v. Ehlers.
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[0222] Maßgebliches und Unmaßgebliches so wenig kann uns auch die kühle, neutrale Haltung der neuen Schule auf diesem Punkte genügen. Damit packt man die Seelen der Menschen nicht. Warum in aller Welt so ängstlich, fast hätte ich gesagt feige davor zurückschrecken, eine Wahr¬ heit auszusprechen, die für jeden sittlich lebendigen und sich selbst beurteilenden Menschen ebenso eine Wahrheit ist wie dem logisch Denkenden irgendein logischer Schluß? Freilich ist es prinzipiell falsch, die Frage nach der Willensfreiheit als einen Satz der empirischen Wissenschaft zu behandeln. Das ist sie nicht, sondern sie ist eine sittliche Frage; in ihrer Bejahung gibt der Mensch ein sittliches Urteil ab, das genau so eine Wahrheit ist wie die Behauptung des Kausalitätsgesetzes." Leser, die sich mit dem Problem beschäftigen, werden gut tun, neben dem gründ¬ lichen Buche Petersens das kleine Schriftchen von Drews zu Rate zu ziehn und von den ältern — nicht den ganz unverständlichen Kant — wohl aber Lotze zu be¬ fragen. Seite 78 Zeile 21 von unten ist ein Druck- oder Flüchtigkeitsfehler stehn geblieben; es soll offenbar heißen: die Zurechnungsfähigkeit, nicht die Unzurechnungs¬ fähigkeit, ausschließende. Karl Rosenkranz. In der empfehlenswerten „Sammlung von Lebens¬ bildern zur Geschichte der wissenschaftlichen Forschung und Praxis", „Männer der Wissenschaft" betitelt, die Dr. Julius Ziehen herausgibt, erschien vor kurzem das zehnte Heft.*) Der Gymnasialdirektor Professor Dr. R. Jonas, ein früherer Schüler von K. Rosenkranz, stellt sich darin die dankbare Aufgabe, den Werdegang und die geistige Entwicklung dieses Mannes, sein reiches Wirken als Universitätslehrer und Schriftsteller zu schildern. In anziehender Weise bringt er weitem Kreisen die hohe Bedeutung des vielseitigen Gelehrten zum Bewußtsein. Im ersten und im zweiten Kapitel, die die erste Jugend, Schul- und Universitätszeit, akademische Lehr¬ tätigkeit und weitere Studien in Halle behandeln, benutzt er geschickt die Auto¬ biographie von Rosenkranz „Von Magdeburg bis Königsberg", im dritten Kapitel „Akademische Lehrtätigkeit in Königsberg, Rosenkranz als Hegelianer. Schrift¬ stellerische Betätigung" hält er sich an Baumanns Geschichte der Philosophie und an R. Quäbickers Studie über Rosenkranz. Dieses dritte Kapitel ist nicht recht gelungen. Es fehlt jedes Eingehen auf den Literarhistoriker Rosenkranz, wir er¬ fahren nichts über den Publizisten und Journalisten, über den Politiker und Ver¬ waltungsbeamten. Für eine lebensvolle Schilderung des herrlichen Menschen hätte das Buch „Aus einem Tagebuch. Königsberg, Herbst 1833 bis Frühjahr 1846, von K. Rosenkranz" reiches Material geboten. Jonas gibt nur im Anhang auf vier Seiten einige Proben daraus, die von der wirklichen Bedeutung des Tagebuchs kaum eine Vorstellung geben. Von den Königsberger Freunden sind nur K. Lehrs und L. Friedländer ge¬ nannt. Von dem vertrautesten Freunde, den Rosenkranz vor allen andern verehrte *) Männer der Wissenschaft. Eine Sammlung von Lebensbeschreibungen zur Geschichte der wissenschaftlichen Forschung und Praxis. Herausgegeben von Dr. Julius Ziehen, Frank¬ furt a, M. Heft 10. Karl Rosenkranz. Von Professor Dr. Richard Jonas, Direktor des König¬ lichen Gymnasiums in Kostin. Leipzig, Wilhelm Welcher, 1906. SO Seiten mit einem Porträt. Preis 1 Mark. — Wir möchten bei dieser Gelegenheit auch auf die andern bisher erschienenen Hefte dieser wertvollen Sammlung hinweisen, deren Besprechung wir uns vorbehalten: Heft 1. I. F. Herbart. Von O. Flügel. Heft 2. N. W. Bunsen. Von Geheimrat Dr. W. Ostwald. Heft 3. F. W. Dörpfeld. Von E. Oppermann, Schulinspektor. Heft 4. Ferdinand Freiherr von Richthofen. Gedächtnisrede. Von Professor ol'. E. von Drvgalski. Heft S. Werner von Siemers. Von Professor or. Wilhelm Jaeger. Heft 6. Karl Friedrich Gauß. Von Professor F. Malb6. Heft 7. Albrecht von Graefe. Von Geh. Med.-Rat Professor ol'. I. Hirschberg. Heft 8. Rudolf Virchow. Von Professor Dr. I. Pagel. Heft 9. F. K. von Savigny. Von Neichsgerichtsrat K. E. M. Müller. Heft 11. Richard Rothe. Von Oberkonsistorialrat v. Ehlers.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/222>, abgerufen am 12.12.2024.