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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

barmherzig, nur keine Barmherzige Schwester war, und dann die Dame mit
denk Fasan. Das war eine redselige, frische Frau von vielleicht ein paar mehr
als dreißig Jahren, eine Beamtengattin auf der Besnchsreisc, die trotz ihrer
anreihenden dreizehnjährigen Tochter ein lebhaftes Anlehnungsbedürfnis empfand
und Anknüpfung auf die Art suchte, daß sie uns Abends einen lebenden Fasan
im Bauer ins Abteil setzte und öfter nach ihm zu sehen kam. Mit unbedingter
ehelicher Treue es genau zu nehmen, paßt nicht in die "breitangelegte Natur"
des Russen. Unsre etwas ablehnende Haltung belohnte sie mit einem unsre
Männlichkeit stark in Zweifel ziehenden Epitheton.

Unterwegs kristallisierten sich immer mehr und leider nicht immer bessere
Menschen an. Man stelle sich unsern Schrecken vor, als wir am dritten Morgen
einen kleinen Bahnbeamten in Schmierstiefeln mit seinem schmutzigen in Filz
gehüllten Bengel und seiner Frau sowie der Erwartung auf demnächstigen
Zuwachs und den unzähligen Sachen reisender Nüssen bei uns eingenistet
erblickten. Wir hatten nämlich inzwischen die Idylle im Pnllmanwagen verlassen
müssen und im Zuge des Nordabschnitts zwar zwei Abteile, aber nicht ab¬
geschlossene, sondern zum Durchgang benutzte erobert, und Fr. hatte, um sich
die aufsteigende Wärme zu sichern, ein oberes Polster belegt. Das Teefrühstück
nach der Entdeckung war gräßlich. Glücklicherweise ließ sich der Eisenbahner
auf den Tausch gegen einen russischen Kapitän ein, der zu uns zog. Fr. hielt
aber in der nächsten Nacht Wache gegen ähnliche Überfülle, indem er sich mit
Teppichen und Decken auf der einen Fensterseite eine ganz schmale Klause
einrichtete, in der er die ganze Nacht studierte. Wir schliefen lieber langaus¬
gestreckt und ausgekleidet. Man wird erstaunlich unbefangen im russischen
Eisenbahnwagen und legt ab, was irgendwie stört.

Unser Kapitän war eine Seele von einem Menschen. Wir hatten ihn am
ersten Abend auf einer der Stationen kennen gelernt und uns mit ihm sehr
bald so angefreundet, daß er uns besuchen kam und Tee trinken half. Auf
einer der größern Stationen fühlte er sich plötzlich gedrungen, eine Flasche
Pommery zu stiften und auf Waffenbrüderschaft anzustoßen. Er war aus dem
ersten Turkestanschützenbataillon in das vierte vstsibirische Schützenregiment auf
den Kriegsschauplatz versetzt und reiste nun in seiner Feldzugsuniform mit der
mächtigen Schaffellmütze seinem Schicksal entgegen, während seine Frau nach
Petersburg übersiedeln sollte. In Anbetracht der billigen Fahrpreise auf der
sibirischen Eisenbahn und der Vergünstigungen für Offiziere bei Eiscnbahn-
fahrten scheint der russische Staat für seine Offiziere während des Krieges
gut gesorgt zu haben. Der Kapitän hatte 2600 Rubel Reisekosten, seine Frau
noch 300 Rubel, ferner Umzugskosten, drei Monate Friedensgehalt Und
Anspruch auf einen Burschen erhalten. Als Kricgsgehalt standen ihm 300 Rubel
zu, wovon er monatlich 200 Rubel zu erübrigen hoffte. Woher hatte Nu߬
land, das seine Offiziere und Beamten bisher so jämmerlich besoldete, das
viele Geld? Der Kapitän war rührend. Nicht nur, daß er uns durchaus von


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

barmherzig, nur keine Barmherzige Schwester war, und dann die Dame mit
denk Fasan. Das war eine redselige, frische Frau von vielleicht ein paar mehr
als dreißig Jahren, eine Beamtengattin auf der Besnchsreisc, die trotz ihrer
anreihenden dreizehnjährigen Tochter ein lebhaftes Anlehnungsbedürfnis empfand
und Anknüpfung auf die Art suchte, daß sie uns Abends einen lebenden Fasan
im Bauer ins Abteil setzte und öfter nach ihm zu sehen kam. Mit unbedingter
ehelicher Treue es genau zu nehmen, paßt nicht in die „breitangelegte Natur"
des Russen. Unsre etwas ablehnende Haltung belohnte sie mit einem unsre
Männlichkeit stark in Zweifel ziehenden Epitheton.

Unterwegs kristallisierten sich immer mehr und leider nicht immer bessere
Menschen an. Man stelle sich unsern Schrecken vor, als wir am dritten Morgen
einen kleinen Bahnbeamten in Schmierstiefeln mit seinem schmutzigen in Filz
gehüllten Bengel und seiner Frau sowie der Erwartung auf demnächstigen
Zuwachs und den unzähligen Sachen reisender Nüssen bei uns eingenistet
erblickten. Wir hatten nämlich inzwischen die Idylle im Pnllmanwagen verlassen
müssen und im Zuge des Nordabschnitts zwar zwei Abteile, aber nicht ab¬
geschlossene, sondern zum Durchgang benutzte erobert, und Fr. hatte, um sich
die aufsteigende Wärme zu sichern, ein oberes Polster belegt. Das Teefrühstück
nach der Entdeckung war gräßlich. Glücklicherweise ließ sich der Eisenbahner
auf den Tausch gegen einen russischen Kapitän ein, der zu uns zog. Fr. hielt
aber in der nächsten Nacht Wache gegen ähnliche Überfülle, indem er sich mit
Teppichen und Decken auf der einen Fensterseite eine ganz schmale Klause
einrichtete, in der er die ganze Nacht studierte. Wir schliefen lieber langaus¬
gestreckt und ausgekleidet. Man wird erstaunlich unbefangen im russischen
Eisenbahnwagen und legt ab, was irgendwie stört.

Unser Kapitän war eine Seele von einem Menschen. Wir hatten ihn am
ersten Abend auf einer der Stationen kennen gelernt und uns mit ihm sehr
bald so angefreundet, daß er uns besuchen kam und Tee trinken half. Auf
einer der größern Stationen fühlte er sich plötzlich gedrungen, eine Flasche
Pommery zu stiften und auf Waffenbrüderschaft anzustoßen. Er war aus dem
ersten Turkestanschützenbataillon in das vierte vstsibirische Schützenregiment auf
den Kriegsschauplatz versetzt und reiste nun in seiner Feldzugsuniform mit der
mächtigen Schaffellmütze seinem Schicksal entgegen, während seine Frau nach
Petersburg übersiedeln sollte. In Anbetracht der billigen Fahrpreise auf der
sibirischen Eisenbahn und der Vergünstigungen für Offiziere bei Eiscnbahn-
fahrten scheint der russische Staat für seine Offiziere während des Krieges
gut gesorgt zu haben. Der Kapitän hatte 2600 Rubel Reisekosten, seine Frau
noch 300 Rubel, ferner Umzugskosten, drei Monate Friedensgehalt Und
Anspruch auf einen Burschen erhalten. Als Kricgsgehalt standen ihm 300 Rubel
zu, wovon er monatlich 200 Rubel zu erübrigen hoffte. Woher hatte Nu߬
land, das seine Offiziere und Beamten bisher so jämmerlich besoldete, das
viele Geld? Der Kapitän war rührend. Nicht nur, daß er uns durchaus von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/208>, abgerufen am 02.09.2024.