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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

somit vier fundamentale Begriffe in Betracht: der Stoff, die Energie, die System-
bedingnngen oder Systemkräfte und die Dominanten."

In Beziehung auf die Abstammungslehre bekennt Reinke, daß er zu ihren
Anhängern gehört; aber er gibt mit der dem gewissenhaften Forscher gebotnen
Vorsicht das Hypothetische nicht für Gewißheit aus und scheidet von dem Be¬
weismaterial, das dafür angeführt zu werden pflegt, alles nicht Tatsächliche,
nicht wirklich Bewiesne aus. "Die Entstehung neuer Arten im Sinne Linnes
ist bisher experimentell nicht beobachtet worden." Gegen die Darwinische Selek¬
tionslehre wendet er ein, daß, wenn sie gelten sollte, die wundervolle und
komplizierte Zweckmäßigkeit im Bau der Tiere und Pflanzen durch den Zufall
hervorgebracht sein müßte. Der Zufall könne aber unmöglich eine Fülle
positiver Schöpfungen hervorbringen. "Alle vorliegenden Beobachtungen drängen
wohl zu dem Schlüsse, daß die Veränderung der Lebensbedingungen in einer
Pflanze Kräfte auslösen kann, die eine zweckmäßige Umgestaltung veranlassen;
aber diese Kräfte wirken von innen heraus und nicht von außen her auf die
Pflanze, wie der Kampf ums Dasein es tut. Ganz verfehlt aber scheint es
mir zu sein, die zufällige Wirkung des Kampfes ums Dasein zu vergleichen
mit der intelligenten Auslese eines Tier- oder Pflanzeuzüchters, der aus den
Einzelwesen einer Aussaat nur solche Individuen behält, die ihm nützliche Ver¬
besserungen der Nasse zu bieten scheinen, und diese allein fortpflanzt. Mensch¬
liche Intelligenz und Zufall sind inkommensurable Werte. Dabei lehrt die Er¬
fahrung noch, daß die durch menschliche Auslese gewonnenen neuen Kulturrassen
alsbald wieder schwinden und zugrunde gehn, wenn die Intelligenz des Menschen
die Züchtung nicht fortgesetzt überwacht." Die Abstammung des Menschen vom
Affen oder einem affenähnlichen Tiere ist bis jetzt durch keine Tatsachen bewiesen.
Angenommen auch, große anatomische Ähnlichkeit zweier Organismen bewiese
die Abstammung des einen vom andern, so sind doch bis jetzt Zwischenglieder
zwischen dem Menschen und dem von diesem im anatomischen Bau sehr bedeutend
abweichenden Affen noch nicht gefunden worden. Solche Zwischenglieder müßten
aber nachgewiesen werden, wenn der allmähliche Übergang der einen Art in die
andre glaublich erscheinen sollte. Die bis jetzt gefundnen Reste des Diluvial¬
menschen beweisen, daß er ein Mensch von ähnlicher Höhe der Organisation
war wie wir. Auch die Neandertal- und Krapinaschädel sind echte Menschen¬
schädel, die nur einer tiefstehenden Rasse angehören. "Ebensowenig kann davon
die Rede sein, daß die im Jungtertiär von Java gefundnen Knochen, denen
man den Namen Pithekanthropus (Affenmensch) gegeben hat, das ersehnte Binde¬
glied zwischen Mensch und Affe beweiskräftig darstellen. Schon Virchow hat
sich mit der Vorsicht eines echten Naturforschers dahin ausgesprochen, es stehe
nicht fest, ob jene Knochen von einem und demselben Tiere herrühren, auch
wären die Skelettreste zu unvollständig, um eine klare Vorstellung von der
Beschaffenheit des Tieres gewinnen zu lassen. Der wichtigste dieser Knochen
ist ein Schädeldach mit verhältnismäßig weiter Kapsel, die auf ein relativ großes


Naturwissenschaft und Theismus

somit vier fundamentale Begriffe in Betracht: der Stoff, die Energie, die System-
bedingnngen oder Systemkräfte und die Dominanten."

In Beziehung auf die Abstammungslehre bekennt Reinke, daß er zu ihren
Anhängern gehört; aber er gibt mit der dem gewissenhaften Forscher gebotnen
Vorsicht das Hypothetische nicht für Gewißheit aus und scheidet von dem Be¬
weismaterial, das dafür angeführt zu werden pflegt, alles nicht Tatsächliche,
nicht wirklich Bewiesne aus. „Die Entstehung neuer Arten im Sinne Linnes
ist bisher experimentell nicht beobachtet worden." Gegen die Darwinische Selek¬
tionslehre wendet er ein, daß, wenn sie gelten sollte, die wundervolle und
komplizierte Zweckmäßigkeit im Bau der Tiere und Pflanzen durch den Zufall
hervorgebracht sein müßte. Der Zufall könne aber unmöglich eine Fülle
positiver Schöpfungen hervorbringen. „Alle vorliegenden Beobachtungen drängen
wohl zu dem Schlüsse, daß die Veränderung der Lebensbedingungen in einer
Pflanze Kräfte auslösen kann, die eine zweckmäßige Umgestaltung veranlassen;
aber diese Kräfte wirken von innen heraus und nicht von außen her auf die
Pflanze, wie der Kampf ums Dasein es tut. Ganz verfehlt aber scheint es
mir zu sein, die zufällige Wirkung des Kampfes ums Dasein zu vergleichen
mit der intelligenten Auslese eines Tier- oder Pflanzeuzüchters, der aus den
Einzelwesen einer Aussaat nur solche Individuen behält, die ihm nützliche Ver¬
besserungen der Nasse zu bieten scheinen, und diese allein fortpflanzt. Mensch¬
liche Intelligenz und Zufall sind inkommensurable Werte. Dabei lehrt die Er¬
fahrung noch, daß die durch menschliche Auslese gewonnenen neuen Kulturrassen
alsbald wieder schwinden und zugrunde gehn, wenn die Intelligenz des Menschen
die Züchtung nicht fortgesetzt überwacht." Die Abstammung des Menschen vom
Affen oder einem affenähnlichen Tiere ist bis jetzt durch keine Tatsachen bewiesen.
Angenommen auch, große anatomische Ähnlichkeit zweier Organismen bewiese
die Abstammung des einen vom andern, so sind doch bis jetzt Zwischenglieder
zwischen dem Menschen und dem von diesem im anatomischen Bau sehr bedeutend
abweichenden Affen noch nicht gefunden worden. Solche Zwischenglieder müßten
aber nachgewiesen werden, wenn der allmähliche Übergang der einen Art in die
andre glaublich erscheinen sollte. Die bis jetzt gefundnen Reste des Diluvial¬
menschen beweisen, daß er ein Mensch von ähnlicher Höhe der Organisation
war wie wir. Auch die Neandertal- und Krapinaschädel sind echte Menschen¬
schädel, die nur einer tiefstehenden Rasse angehören. „Ebensowenig kann davon
die Rede sein, daß die im Jungtertiär von Java gefundnen Knochen, denen
man den Namen Pithekanthropus (Affenmensch) gegeben hat, das ersehnte Binde¬
glied zwischen Mensch und Affe beweiskräftig darstellen. Schon Virchow hat
sich mit der Vorsicht eines echten Naturforschers dahin ausgesprochen, es stehe
nicht fest, ob jene Knochen von einem und demselben Tiere herrühren, auch
wären die Skelettreste zu unvollständig, um eine klare Vorstellung von der
Beschaffenheit des Tieres gewinnen zu lassen. Der wichtigste dieser Knochen
ist ein Schädeldach mit verhältnismäßig weiter Kapsel, die auf ein relativ großes


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[0192] Naturwissenschaft und Theismus somit vier fundamentale Begriffe in Betracht: der Stoff, die Energie, die System- bedingnngen oder Systemkräfte und die Dominanten." In Beziehung auf die Abstammungslehre bekennt Reinke, daß er zu ihren Anhängern gehört; aber er gibt mit der dem gewissenhaften Forscher gebotnen Vorsicht das Hypothetische nicht für Gewißheit aus und scheidet von dem Be¬ weismaterial, das dafür angeführt zu werden pflegt, alles nicht Tatsächliche, nicht wirklich Bewiesne aus. „Die Entstehung neuer Arten im Sinne Linnes ist bisher experimentell nicht beobachtet worden." Gegen die Darwinische Selek¬ tionslehre wendet er ein, daß, wenn sie gelten sollte, die wundervolle und komplizierte Zweckmäßigkeit im Bau der Tiere und Pflanzen durch den Zufall hervorgebracht sein müßte. Der Zufall könne aber unmöglich eine Fülle positiver Schöpfungen hervorbringen. „Alle vorliegenden Beobachtungen drängen wohl zu dem Schlüsse, daß die Veränderung der Lebensbedingungen in einer Pflanze Kräfte auslösen kann, die eine zweckmäßige Umgestaltung veranlassen; aber diese Kräfte wirken von innen heraus und nicht von außen her auf die Pflanze, wie der Kampf ums Dasein es tut. Ganz verfehlt aber scheint es mir zu sein, die zufällige Wirkung des Kampfes ums Dasein zu vergleichen mit der intelligenten Auslese eines Tier- oder Pflanzeuzüchters, der aus den Einzelwesen einer Aussaat nur solche Individuen behält, die ihm nützliche Ver¬ besserungen der Nasse zu bieten scheinen, und diese allein fortpflanzt. Mensch¬ liche Intelligenz und Zufall sind inkommensurable Werte. Dabei lehrt die Er¬ fahrung noch, daß die durch menschliche Auslese gewonnenen neuen Kulturrassen alsbald wieder schwinden und zugrunde gehn, wenn die Intelligenz des Menschen die Züchtung nicht fortgesetzt überwacht." Die Abstammung des Menschen vom Affen oder einem affenähnlichen Tiere ist bis jetzt durch keine Tatsachen bewiesen. Angenommen auch, große anatomische Ähnlichkeit zweier Organismen bewiese die Abstammung des einen vom andern, so sind doch bis jetzt Zwischenglieder zwischen dem Menschen und dem von diesem im anatomischen Bau sehr bedeutend abweichenden Affen noch nicht gefunden worden. Solche Zwischenglieder müßten aber nachgewiesen werden, wenn der allmähliche Übergang der einen Art in die andre glaublich erscheinen sollte. Die bis jetzt gefundnen Reste des Diluvial¬ menschen beweisen, daß er ein Mensch von ähnlicher Höhe der Organisation war wie wir. Auch die Neandertal- und Krapinaschädel sind echte Menschen¬ schädel, die nur einer tiefstehenden Rasse angehören. „Ebensowenig kann davon die Rede sein, daß die im Jungtertiär von Java gefundnen Knochen, denen man den Namen Pithekanthropus (Affenmensch) gegeben hat, das ersehnte Binde¬ glied zwischen Mensch und Affe beweiskräftig darstellen. Schon Virchow hat sich mit der Vorsicht eines echten Naturforschers dahin ausgesprochen, es stehe nicht fest, ob jene Knochen von einem und demselben Tiere herrühren, auch wären die Skelettreste zu unvollständig, um eine klare Vorstellung von der Beschaffenheit des Tieres gewinnen zu lassen. Der wichtigste dieser Knochen ist ein Schädeldach mit verhältnismäßig weiter Kapsel, die auf ein relativ großes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/192>, abgerufen am 01.09.2024.